1. Beziehungspauseneuphemismus

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~ 07.07.2023 ~

„Beziehungspause? Dein Ernst, Em?"

Meine beste Freundin Lena schaut mich mit einem so ungläubigen Gesichtsausdruck an, dass man meinen könnte, ich hätte ihr soeben eröffnet, dass ich fest daran glaube, dass die Erde eine Scheibe ist. Oder schlimmer, dass sie gar nicht existiert. Beziehungspause scheint ein Wort zu sein, das in Lenas Lebenswelt bislang nur als theoretische Möglichkeit vorzukommen schien.

Ich halte ihrem starrenden Blick stand. Jetzt bloß nicht einknicken, Emilia. „Ja, mein voller Ernst", bestätige ich. „Mark und ich waren uns einig, dass das im Moment das Beste für uns ist."

Die Röte schießt mir in die Wangen und ich greife nach den Resten meines Cocktails, der auf dem kleinen, quadratischen Hochtisch zwischen Lena und mir steht. Ihre weit aufgerissenen, braunen Augen mustern mich weiterhin, während ich an dem gläsernen Strohhalm sauge. Das Getränk in meinem Mund schmeckt, als würde es nur noch zu einem Drittel aus Sex on the Beach und dafür zu zwei Dritteln aus geschmolzenen Eiswürfeln bestehen und ich winke zum Tresen.

„Möchtest du noch einen?", frage ich Lena. Sie nickt. Ich deute auf mein Glas und halte zwei Finger in die Luft. Der Kellner mit den dunklen Haaren und den kleinen Grübchen in den Wangen hebt den Daumen, greift hinter sich nach einigen der vielen bunten Flaschen und stellt sie vor die blonde Barkeeperin.

Es war Lenas Idee gewesen, den heutigen Freitag im Moralist ausklingen zu lassen, einer Szene-Bar in der Kieler Innenstadt. Ich beobachte das Geschehen um uns herum. Die größeren Gruppen auf den goldenen Loungemöbeln, erhellt vom Licht des Kronleuchters, die Männer auf den Tresenstühlen in bierseliger guter Laune oder die Freundinnen und Paare, die wie Lena und ich auf Hochstühlen am Fenster zur Holtenauer Straße sitzen. Fetzen der vielen Gespräche umhüllen uns und ich könnte mich in ihrem Strom treiben lassen, doch Lena lässt mich nicht.

„Du glaubst nicht ernsthaft, dass wir mit dem Thema schon fertig sind, oder? Komm schon. Wir wissen beide, dass ‚Beziehungspause' nur ein geschönter Ausdruck für ,eigentlich hat einer von uns keinen Bock mehr auf die Beziehung' ist. Und im Zweifelsfall warst du dieser ‚einer'."

„Ein Euphemismus!"

„Was?"

„Ein beschönigender Ausdruck für irgendwas ist ein Euphemismus. Und nein, so ist das nicht mit Mark und mir", erkläre ich und lüge mich selbst an.

Lena zwirbelt eine Locke ihrer mittellangen, braunen Haare um ihren Finger und seufzt. „Alles klar. Der emilianische Klugscheißermodus ist aktiviert, das heißt, es ist ernst. Also rück schon raus damit: Was ist passiert? Mark ist doch ein super Typ!"

Ihre Augen scannen mich erneut und mein Gott, sie sollte echt bei einem Röntgenlabor anheuern, so gern wie sie Leute durchleuchtet.

Das Problem ist: Sie hat recht. Mark ist wirklich ein super Typ. Mit seinen kurzen, blonden Haaren und den strahlend blauen Augen sieht er richtig gut aus. Er ist sportlich und am Wichigsten: Er ist immer höflich und hilfsbereit. Geradezu perfekt. Es gibt nur einen Makel:

„Er hat gesagt, dass er mich liebt!", nuschele ich und schnappe dankbar nach dem neuen Cocktail, den der Kellner soeben vor uns auf dem Tisch abgestellt hat. Rettung in letzter Sekunde, denn Lena schmeißt sich nach meiner Offenbarung so stark nach vorne, dass die Hälfte des Inhalts ihres Getränks über den Rand schwappt. Die Flüssigkeit tropft von dem dunklen Holz auf den Boden, aber Lena kümmert es nicht. So bin ich es, die ihr Glas wieder abstellt, aufspringt und alle erreichbaren Servietten, auf die sich ausbreitende Pfütze schmeißt. Inklusive derer, die mir von den Nachbartischen hastig gereicht werden.

„Hast du gerade gesagt, dass er gesagt hat, dass er dich liebt?" Jetzt klingt Lenas Stimme wirklich so, als hätte ich eröffnet, dass ich die Existenz der Erde leugne.

„Ja, das wurde jeweils gesagt", bestätige ich und tupfe die letzten Flecken des Cocktails am Boden weg. Ich richte mich wieder auf und werfe die durchweichten Papiertücher in einen Eimer, den mir der herbeigeilte Kellner hinhält. Mit dem feuchten Lappen in seiner anderen Hand wischt er über unseren Tisch und über den Boden.

„Danke!", sage ich.

„Gerne." Er hebt seine linke Augenbraue und scannt mich kurz, ehe er sich wieder abwendet. Anscheinend ist heute der Ich-mustere-Emilia-Tag.

Seufzend steige ich wieder auf meinen Stuhl.

„Du wirst verstehen, dass ich noch ein bisschen Kontext brauche, Em", lässt Lena nicht locker. „Was genau ist zwischen seinem ‚Ich liebe dich' und der Beziehungspause passiert?"

„Ich konnte es nicht erwidern. Es gab ein großes Drama. Mark meinte, ich solle mir über meine Gefühle klar werden. Jetzt haben wir eine Beziehungspause, und ich möchte eigentlich echt nicht mehr darüber reden", antworte ich und schließe kurz die Augen. Es war erst einen Tag her und es war ein fürchterliches Gespräch gewesen.

„Das tut mir leid!" Lena greift nach meiner Hand und drückt sie. Ich merke, dass sie noch tausende Fragen hat. Vor Unruhe rutscht sie mit dem Po auf ihrem Hocker herum und ich bin mir sicher, dass sie vor Neugier förmlich platzt, doch sie sagt: „Du weißt, dass ich für dich da bin, wenn du so weit bist, oder?"

„Ja, das weiß ich. Das bist du immer." Ich lächle sie dankbar an.

„Genau, weil ich die allerbeste Freundin auf dieser Erde bin. Und wenn du so weit bist, suchen wir einen Psychologen für dich, der dir erklärt, warum du einen Knaller-Typen nach dem nächsten laufen lässt."

Sie lacht und ich knuffe ihr in die Seite.

„Was denn? Stimmt doch!", sagt sie und stupst meine Hand weg. „Na komm. Es ist schon spät. Lass uns zahlen."

Ich blicke auf die Uhr. Es ist Viertel vor zwölf. Verflixt, ich habe meinem Vater versprochen, dass ich bis Mitternacht zu Hause sein würde. Na ja, es wird ihm nicht auffallen, wenn ich mich verspäte. Es ist ihm bislang nie aufgefallen. Ich schüttle den Gedanken ab und greife nach meiner pinken Handtasche.

„Können wir die Rechnung haben?", frage ich den Kellner, der gerade an uns vorbeiläuft.

„Klar." Er bleibt stehen, greift nach dem kleinen Tablet, das in seine schwarze Hose geklemmt ist und tippt darauf. Ich nutze den Moment und krame nach meinem abgegriffenen, ledernen Portemonnaie, das ich vor mich lege.

„Das macht siebenundsechzig Euro", sagt der Ober und zählt die sechs Getränke auf, die wir im Laufe des Abends zu uns genommen haben. „Geht das zusammen oder getrennt?"

„Zusammen", antwortete Lena, bevor ich den Mund aufbekomme, und reicht dem Mann ihre Bankkarte. „Mach siebzig draus." Sie wendet sich zu mir. „Jetzt guck nicht so. Du kannst eine kleine Aufmunterung gebrauchen und wenn sie nur in einer finanziellen Zuwendung in Form von Alkoholika besteht." Sie zwinkert mir zu, nimmt ihre Karte wieder an sich und steckt sie ins Portemonnaie.

Der Kellner reicht ihr die Belege. „Dann wünsche ich euch beiden noch einen schönen Abend!", sagt er und mir entgeht nicht, dass er dabei nicht einmal Lena anguckt, sondern nur mich.

„Danke gleichfalls", erwidern Lena und ich wie aus einem Mund, streifen unsere Jacken über und verlassen das Lokal.

Auf all die Hoffnungsschimmer dieses UniversumsWhere stories live. Discover now