2. Überlebensinstinktproblematiken

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Draußen angekommen, schreibt Lena ihrem Freund Lennart, der den Abend mit Freunden in einer nahegelegenen Kneipe verbringt

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Draußen angekommen, schreibt Lena ihrem Freund Lennart, der den Abend mit Freunden in einer nahegelegenen Kneipe verbringt.

Wir haben gerade ausgemacht, wann wir uns das nächste Mal treffen möchten, da sehen wir schon wie ein junger, groß gewachsener, blonder Mann in schwarzer Jeans und T-Shirt um die Ecke biegt.

Freudig läuft Lena auf ihn zu und nach einer kurzen, kussintensiven Begrüßung, stellen die beiden sich wieder zu mir.

„Du bist dir sicher, dass wir dich nicht nach Hause bringen sollen? Ich mag es nicht so gerne, wenn du nachts allein unterwegs bist." Während Lena redet tippelt sie unruhig von einem Fuß auf den anderen. Es ist für Kieler Verhältnisse eine laue Sommernacht, aber trotzdem scheint sie ihr in ihrem kurzen, roten Sommerkleid und der blauen Jeansjacke kalt zu sein. Lena friert immer.

„Nein, das braucht ihr wirklich nicht. Es ist doch nur ein kurzer Weg und wir sind hier mitten in der Kieler Innenstadt", entgegne ich. Ich bemerke, wie Lennart seine Jacke, die er unter dem Arm getragen hat, um Lenas Schultern legt. Sie schmiegt sich lächelnd an ihn und kurz, nur einen flüchtigen Augenblick lang, vermisse ich Mark.

„Es wäre echt kein Problem. Wir machen das gerne!", insistiert Lennart, aber ich verneine erneut.

Ich mag die Nacht. Die Luft ist kühl, alles ist ruhig, es gibt kaum jemanden, den man auf seinem Weg trifft, und das Zusammenspiel der Beleuchtung und des Sternenlichtes beruhigt mich.

„Aber du meldest dich sofort, wenn du zu Hause bist, oder? Sonst kann ich nicht schlafen." Lena zieht einen Schmollmund, kommt auf mich zu und zieht mich an sich. „Versprich es mir!"

„Versprochen!", sage ich, löse mich aus ihrer Umarmung und drücke auch Lennart kurz zum Abschied.

„Wehe, wenn nicht." Lena legt ihren Arm um Lennart und ich hebe nochmal die Hand, bevor die beiden gemeinsam die Straße vor uns überqueren.

Ich wende mich ab und gehe in die entgegengesetzte Richtung.

Die Straße, in die ich einbiege, ist noch nicht völlig leergefegt. Auf meiner rechten Seite stehen ein paar Leute vor der Kneipe, aus der Lennart gekommen ist und ich höre durch die Luft wabern. Diffus, wie Nebel, der über einem Feld hängt. Ich möchte mich davon abzuschirmen, versuche die Geräusche um mich zu ignorieren, und laufe weiter neben den etwa vierstöckigen Mehrfamilienhäusern entlang, die die Straßenränder säumen.

Ich passiere ein weiteres, kleines Lokal, als ich plötzlich Schritte hinter mir höre. Schritte, die sich exakt im Takt von meinen bewegen. Ich sollte Angst haben. So etwas, wie einen gesunden Instinkt, der mir sagt, dass ich mich umdrehen und mich versichern soll, dass alles in Ordnung ist. Doch ich gehe einfach weiter. Der Takt fremder Füße hallt weiter in meinen Ohren.

„Kannst du bitte mal stehenbleiben?"

Irgendwas an dem Klang der Stimme kommt mir bekannt vor. Sie ist rau, aber gleichzeitig melodisch.

„Jetzt bleib schon stehen! Ich laufe dir bereits die ganze Straße hinterher!"

Etwas in meinem Kopf rastet ein. Natürlich, es ist dieselbe Stimme, die Lena und mir vorhin zusammengefasst hatte, dass wir sechs Sex on the beach getrunken haben. Ich halte an und wende mich um.

„Du hast echt keinen Überlebensinstikt, wenn ich das mal anmerken darf!" Der Typ lächelt, sodass seine Grübchen zur Geltung kommen und eine Strähne seiner braunen Haare fällt ihm vor die Augen, deren Farbe ich im Dämmerlicht der Straßenlaternen nicht erkennen kann.

„Was willst du?", fahre ich ihn an. Warum folgt dieser Kerl mir?

Zu meiner Überraschung grinst unser Kellner von eben weiterhin. „Hier das hast du vergessen." Er greift in seine Hosentasche und hält mir ein kleines, abgegriffenes, ledernes Ding hin. Mein Portemonnaie.

Verflixt! Natürlich, ich hatte es auf unserem Tisch liegen gelassen.

Ich schnappe danach! „Danke!"

„Gerne! Und mal ehrlich, wieso hast du keine Angst? Ich laufe dir schon eine Weile hinterher und du hast dich nicht einmal umgedreht. Solltest du nicht längst deine Schlüssel zwischen deine Finger gesteckt, dich einer Menschengruppe bei einer der Kneipe angeschlossen haben, oder so was in der Art?"

Er ist ein gutes Stück größer als ich, sodass ich meinen Kopf recken muss, um ihm direkt in die Augen zu sehen. „Es macht keinen Sinn, Angst zu haben. Warum sollte ich mich vor einer abstrakten Gefahr fürchten, die im Dunkeln lauern könnte, wenn sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach niemals zeigt?"

„Keine Ahnung!" Er zuckt mit den Schultern. „Weil es menschlich ist. Also versteh mich nicht falsch. Ich möchte nicht, dass du Angst hast, aber all meine Freundinnen berichten davon, dass sie ein ungutes Gefühl haben, wenn sie allein nach Hause gehen. Deswegen bringe ich sie immer heim."

„All deine Freundinnen berichten das? Und du bringst sie immer heim? Das ist wirklich sehr ritterlich von dir", kann ich mir einen schnippischen Kommentar nicht verkneifen und mustere mein Gegenüber genauer. Die mittellangen, braunen Haare, das markante Kinn, der Dreitagebart und die sportliche Statur: Ich bin mir sicher all seine Freundinnen wissen das zu schätzen. Er wischt sich die Haarsträhne aus dem Gesicht und hebt die linke Augenbraue.

„So meinte ich das nicht. Und warst du nicht, diejenige, die mit ihrem Freund Schluss gemacht hat, weil er gesagt hat, dass er sie liebt? Klingt nicht viel besser, als mein Satz eben."

Das war ein Tiefschlag. Ich plustere mich weiter auf und stehe nun komplett auf meinen Zehenspitzen. „Was geht dich das an? Belauschst du immer die Gespräche deiner Gäste? Das ist aber nicht die feine englische Art, Mr. „Ich-geleite-alle-Frauen-nachts-heim! Außerdem habe ich nicht Schuss gemacht! Es ist eine Beziehungspause."

Er grinst noch breiter und seine Grübchen vertiefen sich. Verflixt, warum fällt mir das überhaupt auf?

„Wir wissen alle, dass eine Beziehungspause nur eine Vorstufe des Endes ist. Und ich musste nicht lauschen, deine Freundin war laut genug." In seinen Augen schimmert deutlich sichtbares Vergnügen. Jetzt, wo ich ihnen näher bin, kann ich auch ihre Farbe erkennen. Sie sind blau mit einem leicht grünen Schimmer. Stürmisch wie der Ozean und sanft wie die Wälder.

Oh man, Emilia! Reiß dich zusammen! Das muss der Sex on the beach sein, der meine innere Stimme leitet. Ich starre ihn an, unfähig eine schlagfertige Antwort zu finden und ... verliere das Gleichgewicht. Es scheint nicht ratsam zu sein, unkonzentriert zu werden, wenn man auf den Fußspitzen steht. Mein großer Zeh knickt weg, mein Fuß hinterher und ich falle direkt gegen die Brust des Kellners.

„Wow, nicht so stürmisch. Das geht mir etwas zu schnell." Er lacht in mein Ohr. Ich spüre seinen Atem auf meiner Wange. Dann legt die Hände an meine Hüfte und hilft mir behutsam, mich erneut auf die eigenen Beine zu stellen.

„Jetzt, wo du wieder so souverän auf deinen Füßen stehst, würde ich mal zurück zur Arbeit gehen. Es sein denn natürlich, du möchtest, dass ich dich nach Hause bringe."

Ich schnaufe laut durch die Nase. „Auf gar keinen Fall!" Das Dauergrinsen des Typen treibt mich in den Wahnsinn! „Wie gesagt, ich habe keine Angst vor abstrakten Gefahren. Ich komm schon zurecht!"

„Daran habe ich keinerlei Zweifel." Seine Grübchen strahlen mich an. „Dann wünsche ich dir einen guten Heimweg und wenn du Sehnsucht nach mir hast, du weißt ja, wo du mich findest."

Er lacht erneut und wendet sich ab.

„Das wird nicht passieren!", rufe ich ihm hinterher. Verflixt, warum habe ich nicht einfach den Mund gehalten!

„Frag nach Tyler, wenn du mich suchst", er dreht sich um, grinst mich noch einmal an, dreht sich um, und setzt seinen Weg zurück zur Bar fort.

Aus irgendeinem Grund starre ich ihm hinterher, bis die Dunkelheit auch den letzten Schatten seines Umrisses verschluckt.

Auf all die Hoffnungsschimmer dieses UniversumsWhere stories live. Discover now