Komplet - Epilog

8 2 0
                                    

Franz saß in der Küche und hatte einige Zettel vor sich auf dem Tisch ausgebreitet. Als Lila eintrat, drehte er sich lächelnd zu ihr um.

»Es kommt nicht oft vor, dass die Nonnen mich um so einen Gefallen bitten«, grinste er. Dann bedeutete er Lila mit einer öffnenden Geste, sich an den Tisch zu setzen.
»Was ist das?«, fragte Lila.

»Ansätze. Ich komme mit und suche Anna«, antwortete Franz, während er einige Zettel zusammenschob. »Wichtig ist jetzt aber das hier, ergänzte er und zog einen Zettel von weiter unten aus dem Stapel. Das hier ist die Anmeldung für die Schule, auf die Julian auch geht. Wir können sie gemeinsam ausfüllen, wenn du willst. Wir haben noch etwas Zeit, bevor wir losmüssen.«

Zwei Stunden später saßen Franz und Lila nebeneinander im Auto und fuhren nach Prien. Viele Worte fielen nicht. Die meiste Zeit war es still und so hatte Lila noch mehr Zeit, um über die vergangenen Stunden nachzudenken.

Sie war auf dem Weg in ein neues Leben. Frei von ihren Eltern. Frei von den Schwestern aus dem Kloster. Und doch nicht ganz frei von Nonnen, denn sie würde den Brief so schnell nicht vergessen. Zweifel, ob das hier wirklich richtig war, waren Lila auch schon mehrfach gekommen. Und über all dem schwebte ein diffuses Gefühl von Beklemmung. Was, wenn das alles schief ging? Und was würden ihre Eltern überhaupt tun? Würden sie nach ihr suchen? Oder würden sie doch nur eine Vermisstenanzeige aufgeben und ansonsten nichts tun?

Und was wäre mit ihren alten Freundinnen? Julian könnte sie vielleicht noch sehen, aber was war mit den anderen? Würden ihre Eltern darüber an sie herankommen? Andererseits kannten sie nur einen einzigen Namen, und der war Julia. Trotzdem: Menschen in Krimis, die ins Zeugenschutzprogramm kamen, durften auch nie mit alten Bekannten, Familie oder Freunden kommunizieren.

Gut, das hatte nicht wirklich was mit Lilas Situation zu tun, aber Lila kam doch ins Grübeln.

Mitten in Lilas Gedanken hinein hielt Franz das Auto an. Sie standen auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof von Prien.

»Ist alles gut, Lila?«, fragte Franz.
»Joa«, antwortete sie wenig überzeugend.
»Wirklich? Noch können wir umdrehen.«
»Nein, wirklich«, meinte Lila mit festerer Stimme. »Ich bin bereit für mein neues Leben.«
»Das ist gut, Lila«, lächelte Franz. Dann öffnete er seine Tür. »Los, komm. Die Bahn wartet nicht auf uns.«

Kichernd stolperte Lila hinter Franz her auf den Bahnsteig. Der Zug war bereits angeschlagen, mit dem Vermerk einer leichten Verspätung. Wenige Minuten später fuhr er ein.

Franz schaute kurz auf seine Uhr und bemerkte: »Schau mal, Lila. Das hier ist jetzt dein ganz persönlicher Mitternachtsexpress.«

»23:58 Uhr, Franz, das ist nicht Mitternacht.«
»Aber fast.«
Lila grinste, als der Zug vor ihnen zum Stehen kam.
»Und es ist kein Express. Es ist eine Regionalbahn.«
»Jaja«, murrte Franz.

Einen Moment lang stand Lila vor der geöffneten Tür und zögerte. Dann ging ein Ruck durch sie und sie machte ganz bewusst den Schritt ihres Lebens. Jetzt gab es keine Umkehr mehr. Sie stieg in den Zug, stolperte und stürzte.

Sofort beugte sich Franz zu ihr herunter und auch eine Frau, die schon im Zug saß, kam herbeigeeilt. Etwas desorientiert setzte Lila sich in der Tür auf.

»Was ist denn los?«, fragte Franz. »Willst du doch lieber nicht?«
»Doch«, widersprach Lila und stemmte sich hoch. »Aber es läuft ja nun mal nicht alles so, wie man es gerne hätte, oder?«
»Da hast du auch wieder recht, meinte Franz und fügte dann nachdenklich hinzu: Meinst du, das ist ein schlechtes Omen?«
»Nein«, grinste Lila und deutete auf die Uhr, als sie sich setzten.

Die Türen schlossen sich und gerade, als der Zug sich in Bewegung setzte, wanderte der Sekundenzeiger über die Zwölf.

»Ich habe den Zug zu einem Mitternachtsexpress gemacht!«

Der MitternachtsexpressWhere stories live. Discover now