Während sich Clifton in die Maschine vertiefte, die Claribel schon bei ihrem ersten Besuch gesehen hatte, bot sich Logan dazu an, ihr alles zu zeigen.
Gerne ließ sie sich durch die Werkstatt führen, denn obwohl sie diese schon sehr genau unter die Lupe genommen hatte, hätte sie doch nur die Hälfte der Vorrichtungen benennen können.
Noch ehe sie aber einen Blick auf die Regale warfen, führte Logan sie zu der Türe im hinteren Bereich des Raumes.
Dahinter kam ein Büro mit zwei Schreibtischen zum Vorschein.
„Du kannst deinen Mantel und deine Tasche hier ablegen", bot Logan an und entzündete eine Lampe an der Wand.
„Und meinen Hut?", erkundigte sie sich unsicher.
Ein Lächeln huschte über Logans Gesicht. „Mein Vater hat eine Neigung zum Aberglauben. Nachdem sich eine Taube auf seinen Glückshut erleichtert hat, hatte er lange Zeit keine guten Ideen mehr. Erst nach einem Besuch an Armatos Grab hat sich das wieder geändert. Damit ihm das nicht noch einmal passiert, lässt er seinen Hut lieber in der Werkstatt. Ich mache es ihm zuliebe ebenso."

Zurück in der Werkstatt erfasste Claribel ein eisiges Lüftchen. Die Fenster waren noch immer offen und es hatte im Inneren deutlich abgekühlt.
Sie würde wohl am nächsten Tag eine ihrer wärmeren Leinenblusen anziehen.
Clifton schien sich nicht daran zu stören, hatte sogar die Hemdsärmel zurückgekrempelt und stand dabei direkt vor einem der offenen Fenster. Allerdings schätzte Claribel ihn schon jetzt so ein, dass er nichts um sich herum wahrnahm, wenn er vor sich hin werkelte.
Eine Eigenschaft, die Claribel von sich selbst kannte, denn auch sie konnte alles andere vergessen, wenn sie konzentriert an ihren Erfindungen arbeitete.

„Wo ist die Kurbel?", wollte Claribel wissen und betrachtete eingehend die Apparatur auf dem Tisch vor ihr.
Ein Tischbohrer schätzte sie, auch wenn er anders aussah, als der, den es in Graysons Werkstatt gab. Aber der senkrecht eingespannte Bohrer und die beiden Schraubzwingen darunter an der Tischkante waren gleich.
„Dafür brauchen wir keine Kurbel mehr", meinte Logan. Er zeigte auf den Bunsenbrenner, der neben dem Tischbohrer stand, darüber ein Kessel im Miniaturformat, von dem dünne Rohre zum Bohrer verliefen. „Wir nutzen den Druck des Wasserdampfs, der dann den Bohrer antreibt."
„Praktisch", murmelte Claribel.
„In der Tat. Ebenso wie die Säge dort drüben, die auf die gleiche Weise angetrieben wird."

Claribel folgte seinem Blick zum nächsten Tisch und erkannte eine recht ähnliche Apparatur. Nur war bei dieser anstelle eines Bohrers ein Sägeblatt eingespannt.
„Bevor mein Vater diese Gerätschaften gebaut hat, mussten wir immer wieder in eine der Fabriken gehen, um Bauteile anfertigen zu lassen. Dort gibt es die großen dampfbetriebenen Bohrer und Sägen schon lange. Aber es war immer sehr aufwendig, jemanden zu finden, der anhand einer Zeichnung etwas zusägen konnte. Zumal in dieser Zeit die vom Vorarbeiter geforderten Teile nicht weiterproduziert werden konnten. Irgendwann hatte mein Vater genug davon und setzte sich daran kleinere Modell für unsere Verwendung herzustellen."
Logan deutete zur Decke, an der Claribel eine kleine Eindellung und einen leicht glänzenden Fleck entdeckte.
„Fünf oder sechs der kleinen Kessel sind in die Luft geflogen. Einer hat es bis zur Decke geschafft", erklärte er grinsend.
Darüber musste auch Claribel schmunzeln und es war beruhigend zu wissen, dass auch einem alteingesessenen Erfinder, wie Clifton, mal etwas misslang.

„Clifton hat mir von deinen Notizbüchern erzählt", fing Logan an, als sie an einem Regal voller Bücher ankamen. „Klingt interessant, welche Säure nutzt du dafür?"
„Knabberwasser", antwortete sie und ließ ihren Blick über die Buchrücken gleiten.
„Carosche Säure; gefährlich in der Handhabung, aber effektiv für deine Zwecke", erwiderte er.
Für einen Augenblick war Claribel sprachlos und starrte Logan irritiert an, bevor ihr bewusst wurde, dass sie hier nicht mit Elva sprach. Logan kannte sich natürlich aus.
„Ähm, ja", stimmte sie zu. „Zudem bleibt sie licht- und luftgeschützt lange stabil."
Zustimmend nickte Logan. „Ich bin gespannt eines dieser Bücher zu sehen."
Claribel spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Von Augustus hatte sie erfahren, dass Logan ebenfalls ein erfolgreicher und aufstrebender Tüftler war. Er arbeitete nicht als Gehilfe seines Vaters, sonder als ebenbürtiger Erfinder.
Von ihm nun diesen Zuspruch zu erfahren, ehrte sie.


Der Tag plätscherte eher träge vor sich hin.
Kurz nach ihrem Gespräch über Claribels Notizbücher hatte Clifton Logan zu sich gerufen und ihn mit einer Aufgabe außerhalb betraut.
Claribel hielt sich seitdem in Cliftons Nähe auf, reichte ihm hin und wieder Werkzeuge, hatte ansonsten jedoch nichts zu tun. In sein Tun bezog er sie weder ein, noch kam irgendein Gespräch über andere Themen in Gang.
So hatte sie sich die Arbeit sicher nicht vorgestellt, gestand sie sich ein.
Immerhin bekam sie mittags die Aufgabe, für Clifton und sich selbst etwas zu essen zu besorgen, als von draußen mehrere Essensglocken zu hören waren.

Auch in Claribels Viertel gab es auf dem Platz vor dem Quartier des Stadtteilordnungsmeisters immer wieder den einen oder anderen fahrenden Koch, aber so viele wie hier, hatte sie noch nie auf einmal gesehen.
Sie alle zogen große Kochtöpfe auf Handkarren hinter sich her, priesen lautstark ihre Gerichte an und ließen zwischendurch ihre Essensglocken läuten.
Wildeintopf, Kesselfleisch, Erbseneintopf, grobe Würste mit Bohnen, Graupensuppe...
Zwischen den Wagen wuselten Arbeiter mit ihren blechernen Lunchboxen, die sie sich für einen halben Fumie pro Schöpfkelle füllen ließen.
Erschlagen von dem Angebot, steuerte Claribel den Wagen an, der ihr am nächsten stand.
Für einen Fumie wanderten zwei Schöpfer Erbseneintopf in einen ihrer Behälter. Am Nachbarstand gab es den Wildeintopf und sie entschied sich dafür.
Egal, welchen der Eintöpfe Clifton wählen würde, sie wäre mit dem andern zufrieden, denn sie mochte beide.
Und der leckere Duft, der sie nach oben in Cliftons Werkstatt begleitete, hob auch ihre Stimmung wieder.


Selbst beim essen war Clifton schweigsam, kritzelte nebenher jedoch eine kleine Zeichnung und ein paar Notizen auf ein Blatt Papier.
Würde sie also nach dem Essen endlich eine Aufgabe bekommen? Immerhin hatte er ihr doch erklärt, dass es zu ihren Aufgaben gehören würde, seine Notizen lesbar niederzuschreiben. Nur die Zeichnung bereitete ihr Sorgen. Ob sie diese wirklich sauber und zufriedenstellend übertragen konnte, wusste sie nicht. Zeichnen gehörte nicht gerade zu ihren Talenten.

Aber noch bevor es überhaupt dazu kam, kehrte Logan mit einer runden großen Schachtel zurück in die Werkstatt.
Mit einem breiten Lächeln überreichte er die Schachtel Claribel und nicht, wie von ihr angenommen, seinem Vater.
Überrascht griff sie danach. „Für mich? Aber wieso?"
„Für den Geist Artamos", antwortete Clifton, lächelte breit und schien Claribel an diesem Tag zum ersten Mal richtig anzusehen. „Mach es auf. Logan hat ihn extra noch zu Artamos Grab gebracht."
Claribels Vorahnung bestätigte sich, als sie die Schachtel öffnete und einen rostroten Glockenhut darin liegen sah. An dem schwarzen Lederhutband war ein Luftschiffpin befestigt.
„Setz ihn auf", forderte Logan grinsend. „Erst dann bist du eine von uns."
„Eine von den Großen", fügte Clifton mit strahlenden Augen hinzu. 

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