Claribels Welt Teil 4/5

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Lautes Gezeter riss Claribel aus ihrer Konzentration. Sie hatte gerade die Seiten mit Leim zusammengeklebt und die Buchbindegaze angebracht.
Jetzt stand sie auf, ging zum Fenster ihres Zimmers und sah hinaus, um die Ursache des Streites auf offener Straße auszumachen. Ihr Blick fing dabei eine aufgebracht keifende Elva ein.

Ohne zu zögern oder sich die dicke Lederschürze auszuziehen, stürmte Claribel aus ihrem Zimmer und danach aus der Wohnung.
Schon im Treppenhaus drangen vereinzelte Worte an ihr Ohr.
„Tunichtgut... Schwartenrutscher... Büchsenscheißer... Furznickel..."
Elva schien in allerbester Schimpflaune zu sein.

Auf der Straße hatte sich bereits eine kleine Menschenmenge versammelt und erschwerte es Claribel, die Situation gleich zu erfassen.
Neben den Beschimpfungen von Elva war ein Keuchen und Stöhnen zu hören.
Schnell drängte sich Claribel durch die Maulaffen feilhaltenden Umstehenden zu ihrer Schwester.

Vor dieser auf dem Boden wälzten sich zwei Männer ringend über die dreckige Straße. Auf den zweiten Blick erkannte Claribel, dass es sich bei einem der beiden Männer um Augustus handelte.
„Was in Artamos Namen ist hier denn los?"
„Dieser... dieser Gießkannenscheißer..." Elva deutete mit zitterndem Arm auf die beiden Männer auf dem Boden. „Er wollte Augustus bestehlen."

Ein Aufschrei zog die Aufmerksamkeit der beiden jungen Frauen auf sich. Augustus' Gegner hielt sich eine Hand auf sein linkes Auge. Augustus reagierte sofort, griff sich die andere Hand, drehte den Dieb auf den Bauch und dessen Arm auf seinen Rücken. Schließlich setzte er sich auf den Hintern des am Boden Liegenden, der strampelnd versuchte, wieder frei zu kommen.

Mit einer Blutspur unter der Nase sah Augustus auf zu Elva und Claribel. Schmutz klebte an seiner Wange, seine Haare standen wirr nach allen Seiten ab und sein Zylinder lag in einer kleinen Pfütze neben dem Bordstein.
Auch seine Oberbekleidung hatte die Rangelei nicht unbeschadet überstanden. An der Weste fehlte der oberste Knopf, das weiße Hemd war nun graubraun und am rechten Ärmel erkannte Claribel einen langen Riss.
Dennoch grinste er breit, wie ein kleiner Junge, der seine erste Prügelei gewonnen hatte.

„Platz da, lasst mich durch." Die tiefe Stimme des Stadtteilordnungsmeisters hallte von den Häusern wider und sofort bildete sich eine Gasse zwischen den gaffenden Zuschauern. Gefolgt von zwei Polizisten schritt er ernst dreinblickend auf die beiden Männer zu. Plötzlich änderte sich seine Mimik und seine Augen wurden groß.
„Mister O'Ryan, Sir..." Ihm schienen vor Überraschung die Worte zu fehlen, stattdessen lächelte er schief.

„O'Ryan?", flüsterten sich die Umstehenden zu und auch Claribel fragte sich, wen von den beiden Männer der Stadtteilordnungsmeister damit gemeint hatte. O'Ryan war ein Name, den jeder in Fumeville kannte.
„Guten Tag", entgegnete Augustus, der sich offensichtlich angesprochen fühlte.
Die beiden Polizisten nahmen ihre Hüte ab und nickten ihm grüßend zu.

„Dieser Mann hier hat im Vorbeigehen versucht, mir meine Brieftasche zu stehlen", klärte Augustus die Situation auf. „Nachdem ich es bemerkte, hat er mich und meine Begleitung angepöbelt und wurde handgreiflich."
Bei jedem von Augustus' Worten nickte der Stadtteilordnungsmeister, als wäre er dabei gewesen und wolle die Aussage bestätigen. Seine grau-schwarz karierte Ballonmütze hatte er abgenommen und knetete den Stoff mit beiden Händen.
„Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten und das in meinem Stadtviertel", sagte er leise. „Ihnen ist hoffentlich nichts passiert, Sir."

Augustus winkte ab.
Claribel war sich nicht sicher, ob er überhaupt bemerkt hatte, dass seine Nase geblutet hatte. Aber immer noch überrascht davon, dass Augustus ein O'Ryan war, schaffte sie es auch nicht, ihn darauf hinzuweisen. Wie alle anderen sah sie schweigend dabei zu, wie Augustus aufstand und die Polizisten den Dieb auf die Beine zogen.
Augustus bückte sich nach seinem nassen Zylinder. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle er ihn aufsetzten, ließ es dann aber bleiben.
„Stellt ihn unter Arrest", wies der Stadtteilordnungsmeister die Polizisten an und wandte sich gleich wieder an Augustus. „Wir werden dafür sorgen, dass er seine gerechte Strafe erhält."

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