Lydia

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Blut. Der metallene Geruch stach mir in die Nase, wie tausende kleine Nadeln.

Die Körper lagen immer noch da, still und regungslos, doch trotzdem floss immer mehr rote Flüssigkeit aus ihnen heraus. Es hatte sich schon über den ganzen Boden verteilt und es stieg immer höher.

Bald würde es die Höhe meines Bettes erreicht haben, auf dem ich sass und dann würde es mich berühren.

Schnell versuchte ich, auf meine Kommode zu klettern, um von dort aus mein Fenster zu öffnen. Doch als ich mich zur Seite drehte, stand plötzlich einer der Körper auf, und nicht nur das. Er fing an zu laufen, direkt auf mich zu. Blut floss ihm aus dem Rachen.

Ich versuchte zu schreien, doch kein Laut entrann meiner Kehle. Der Körper kam immer näher und streckte seine Hände nach mir aus. Ich schloss meine Augen, bereit dafür zu sterben, als ich plötzlich eine andere Stimme vernahm.

«Lia, steh auf», die Stimme meines ältesten Bruders Doran weckte mich aus meinem Albtraum.

Ich riss meine Augen auf und setzte mich ruckartig auf. Prüfend blickte ich auf den Boden, doch dieser war wie gewöhnlich grau und sauber.

Nicht so wie vor 20 Jahren, als... Ich wollte gar nicht daran denken. Es war einfach zu grausam, und zu beängstigend mich zurückzuerinnern, an jene Nacht.

«Beil dich, wenn du rechtzeitig bei der Zeremonie sein willst», dröhnte die Stimme meines Bruders durch meine geschlossene Tür.

Verschlafen rieb ich mir die Augen, während ich hörte, wie sich Schritte wieder entfernten. Ich hatte so sehr versucht zu vergessen, dass es heute passieren sollte.

An sich war es eine tolle Sache, volljährig zu werden. Nach dreissig Jahren würde ich endlich als vollwertiges Mitglied meiner Familie angesehen werden. Der Nachteil: Es waren andere Leute involviert, und wenn ich etwas hasste, dann waren es Leute, die ich nicht kannte. Mir genügte es schon mich mit meinen Brüdern, meinen Eltern und gelegentlich auch mit Bediensteten rumschlagen zu müssen.

Heute würde ich jedoch hunderten gegenüberstehen müssen, deren Aufmerksamkeit vollkommen auf mich gerichtet sein würde und das nur, weil ich zufälligerweise als Tochter des Statthalters dieser Stadt geboren war, welcher gleichzeitig auch als Herrscher von ganz Asmea galt.

Asmea, ein Land welches hauptsächlich aus Gebirge bestand. Ich lebte in einer der fünf Städte im Land. Ausserhalb der Mauern der Städte, war es nämlich gefährlich. Naturmonster, so wie wir sie nannten, lauerten dort draussen und in den letzten Jahren waren sie immer zahlreicher geworden. Dank unserer Kräfte, Dinge mit unseren Gedanken bewegen zu könne, hielten wir diesen ziemlich gut Stand, doch alleine und ohne Schutz waren sie kaum besiegbar.

Schnell zog ich mir das Kleid an, das mir meine Mutter bereitgestellt hatte. Diese kam nämlich, sobald ich den letzten Knopf des Gewands geschlossen hatte, hinein und setzte mich auf einen Stuhl.

«Ein grosser Tag, nicht?», fragte sie fröhlich, während sie anfing, meine Haare zu bürsten, um mir eine prunkvolle Frisur zu machen. Ich hatte es zwar lieber, meine weissen, hüftlangen Haare zu einem Zopf zusammenzubinden, doch das würde heute wohl nicht reichen.

Ich zuckte nur ratlos die Achseln. Meine Mutter wusste ganz genau, was ich von diesem ganzen Anlass hielt. Warum mussten wir das vor allen anderen erledigen? Ich hasste es, wenn ich nur wegen meiner Abstammung privilegiert wurde. Ich hatte nichts getan, um diese Aufmerksamkeit zu verdienen, die ich die ganze Zeit bekam. Ich wollte sie schliesslich gar nicht. Viel lieber würde ich meinen Tag im Schlossgarten verbringen, vielleicht noch mit meinen Brüdern etwas unternehmen, oder einfach lesen.

AsmeaWhere stories live. Discover now