Arka

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Stille. Viele unterschätzen, wie laut sie sein kann, wenn sie so plötzlich kommt. So unerwartet, wie eine Welle, welche einen auf einmal überflutet. Ich war Stille eigentlich gewöhnt, sie gehörte zum Leben hier dazu. In dem nebligen, kühlen Wald, voller flüsternder Stimmen, die man nicht verstand.

Nur einmal war meine Stille bisher unterbrochen worden. Als ich das erste Mal in meinem Leben mit jemanden anderen gesprochen hatte, damals als ich auf Tendro getroffen war. In der Höhle, als uns ein Geist eine Aufgabe gab, die ich bis heute noch nicht wirklich verstehen konnte.

Ich konnte mich noch gut an die ersten Wochen erinnern, in der ich und Tendro zusammen gereist waren. Der Junge mit den kurzen, geraden, schwarzen Haaren und moos-grünen Augen hatte nicht viel geredet, doch in dem war ich auch nicht viel besser gewesen.

Aber mit der Zeit wurden unsere schon so lange nicht mehr benutzten Zungen etwas lockerer und schnell hatte ich gemerkt, dass ich einen sehr guten Partner gefunden hatte.

Leider konnten wir uns nicht sehr viel erzählen, jedenfalls nicht von der Vergangenheit, denn wir beide wussten, wie diese beim jeweilig anderen aussah.

Seit klein an waren wir beide alleine im Wald unseres Landes Ustrar ausgesetzt worden. Einzig allein die Geister als Gesellschaft, welche durch unser Land wandern, um über das Meer zum Land hinter dem Horizont zu kommen.

Stattdessen erzählten wir uns Geschichten von genau diesen Geistern aus den fremden Ländern unseres Kontinents, die wir getroffen hatten.

Irgendwann hatten wir angefangen, in Gedanken miteinander zu sprechen, weil das einfacher war, als verbal miteinander zu kommunizieren.

Eine normalerweise ziemlich nutzlose Fähigkeit meines Volkes, in der Gedankenwelt kommunizieren zu können, wenn man bedachte, dass wir zu einem Leben der Einsamkeit verflucht waren.

Warum das so war? Nun, das war eine lange Geschichte, die mit einer verbotenen Mission zusammenhängte, die darin resultierte, das grösste Dunkel, welches unser Kontinent jemals gesehen hatte, auf den Kontinent zu holen

Tendro und ich waren Seelenverwandte gewesen, zumindest hatte ich das gedacht. Doch warum war er dann jetzt tot? Warum würde mir das Schicksal dies antun?

Ich wusste es immer noch nicht, zwei Wochen nach dem Angriff, welcher mir meinen besten Freund nahm. Es machte keinen Sinn, wenn man bedachte, dass Tendro und mir eine Prophezeiung aufgetragen wurde, in der Höhle, in der wir uns das erste Mal getroffen hatten.

Wir sollten die Welt retten. Er, ich und noch andere aus den anderen zwei Ländern auf unserem Kontinent.

Ehrlich gesagt war ich verloren. Zum ersten Mal wünschte ich mir, in mein altes Leben zurückzukehren zu können. Es war zwar sehr einsam gewesen, doch ich hatte mein Schattenpanther Rena und ich hatte nicht die Aufgabe, das Leiden der ganzen Welt irgendwie beenden zu müssen.

Ich wollte gar nicht erst darüber nachdenken, dass ich und die anderen Auserwählten in den Norden gehen würden, dort, wo sich das Böse eingenistet hatte, als es aus dem Land hinter dem Meer fliehen konnte und zu uns kam. Eine monotone, flache Eiswüste, voller dunkler Kreaturen, wie die, welche mir meinen Kameraden genommen hatte.

Ein unangenehmer Stich in der Brust erinnerte mich wieder daran, wie sehr ich mir wünschte, dass er noch bei mir wäre.

Der Tag, an dem ich die anderen treffen würde, kam näher und ich wusste nicht, was ich ohne ihn machen sollte. Es waren lediglich die letzten Worte von Tendro, die mich weiter machen liessen. «Du musst mich rächen, Arka, du musst dem allen ein Ende setzen. Unser Volk soll endlich frei sein.»

Ich würde es probieren mit allem, was in meiner Macht stand.

Sechs Helden

Sollen zurückbringen, was einst gebannt ward,

In den kalten Norden, in das verfluchte Land

Erst dann kann der Bann gebrochen werden

Und endlich Frieden wieder einkehren.

Eine letzte Chance, es rückgängig zu machen,

Die Welt wieder in einen guten Zustand zu schaffen.

Wird der Schlüssel gezogen, wird der Feind sterben,

Doch wird er in die falsche Richtung gedreht, so wird er sich nur noch vermehren.

Treffen werden sie sich bei der Höhle des Entthronten

Am Tag des roten Mondes

Scheiden werden sie erst in der Kälte.

Manche zurück an die Heimatfront,

Manche in das Land hinter dem Horizont.

Das war die Prophezeiung, von der die Geister schon so viele Jahre sprachen und die endlich das Böse zurückschicken sollte. Warum unbedingt ich ausgewählt wurde, wusste ich nicht. Jahrzehnte war ich schon in den Wäldern meines Landes herumgepilgert und jetzt sollte ich über die Grenze hinaus, Bewohner der anderen beiden Länder auf unseren Kontinent treffen, und in den Norden gehen, um endlich das Böse zu vertreiben, das mein Volk vor ungefähr einem Jahrtausend hierhin gebracht hatte. Dabei war ich technisch gesehen noch nicht einmal volljährig, wenn man bedachte, dass mein Volk normalerweise ein knappes Jahrtausend alt wurde.

Natürlich hatte ich schon unzählige Geschichten von fremden Geistern gehört, die durch mein Land wanderten, um an das rote Ufer zu gelangen. Trotzdem fehlte mir sehr viel Erfahrung, Wissen und vor allem mein Kamerad. Sechs Auserwählte sollten erscheinen, zwei von jedem Land also, aber ich war alleine.

Tendro war jetzt nicht viel mehr als eine gestaltlose Seele, ohne Sinn, ohne Ziel.

Seitdem mein Volk das Böse auf den Kontinent gebracht hatte, war es uns verboten, nach dem Tod in das Land hinter dem Horizont einzukehren.

Stattdessen schwebten die Toten meines Volkes nur noch durch unseren Wald, langsam verrückt werdend vom Verlangen, den Kontinent endlich verlassen zu können und Frieden zu bekommen. Bis sie immer leiser wurden und vollkommen in Vergessenheit gerieten.

Ich hatte keine Chance, ihn zu kontaktieren, da die Geister ausserhalb unserer heiligen Höhlen, welche über das Land verteilt waren, keine Gestalt annehmen konnten.
Jedoch konnte ich die Stimmen der Geister hören, von Frauen, Männern und Kindern. Manche sangen fremde Lieder, andere erzählten nur und wieder andere trauerten um die, die sie zurücklassen mussten.

Die Stimmen waren für andere vielleicht nur ein Blätterrauschen, so weit entfernt waren sie. Doch ich konnte alles verstehen, sie fast schon sehen, wenn ich mich stark genug konzentrierte.

Ich konnte spüren, wenn manche mich beobachteten, doch ihre Gedanken konnte ich nicht lesen, denn sie waren keine Wesen mehr, welche solche überhaupt besitzen könnten.

Umso nervöser war ich, die Fremden zu treffen, von denen die Prophezeiung sprach. All die Gedanken, mit denen ich konfrontiert würde, ich wusste nicht, wie ich sie alle ordnen könnte.
Ungeübte dachten nur so heraus in die Welt. Schickten ihre intimsten Gedanken hinaus, so als würden sie sie herausschreien. Für Gedankenleser, wie mein Volk, war das komplette Folter.

Ich wusste ungefähr, auf was ich mich vorbereiten könnte, durch meine Träume und den Geistern, mit denen ich schon geredet hatte. Die dunkelhäutigen Feblorianer, aus dem Land Feblor im Süden, waren geborene Jäger. Gross, muskulös und geübte Krieger, jedoch ohne erwähnens-werte ungewöhnliche Fähigkeiten. Das Volk aus Asmea, welches im Osten lag, war jedoch interessanter. Auch sie arbeiteten mit Gedanken, doch sie beeinflussten nicht die immaterielle, sondern die materielle Welt. Mit ihren Gedanken konnten sie Gegenstände bewegen.

Sie würde ich in wenigen Tagen treffen, am Tag des roten Mondes und auch wenn ich nichts lieber tun würde, als mich im Schatten zu verstecken und wieder in die Tiefen des Waldes zu verschwinden, so wusste ich, dass ich mich ihnen stellen musste.

Für Tendro und alle anderen Toten meines Volkes, welche endlich ihr gerechtes Ende bekommen sollten.

AsmeaWhere stories live. Discover now