Kapitel 13 - Der Wolf im Schafspelz

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Andrés Nase ist in meiner Halsbeuge vergraben, während er noch keuchend auf mir liegt und wir unsere Höhepunkte nachhallen lassen. Nach ein paar Minuten schaut er auf und beginnt zärtlich an meiner Unterlippe zu knabbern.

„Ich habe ein Deja-vú."

„So?" André grinst verschmitzt und ruckelt mit seinem Becken. „Ich wüsste da ja was."

„Was denn?"

„Du könntest mit mir duschen, bevor wir noch eine Runde Trainieren."

Ich seufze traurig, denn das Nächste fällt mir nicht leicht. „André, ich würde ja sehr gerne, aber ich sollte jetzt besser gehen."

Er wirkt bedrückt, setzt sich auf und schaut mich abwartend an. „Ich dachte, es gefällt dir bei mir und ..." Er bricht den Augenkontakt ab und reibt sich über die Brust.

In demselben Moment spüre ich einen Druck unter dem Brustbein, der mir fast die Tränen in die Augen treibt. Ist das Abschiedsschmerz? Wehmut, dass ich gehen muss? Aber ich komme doch wieder.

„Hey." Ich greife nach seiner Hand. „Das, was auch immer das zwischen uns ist, gefällt mir außerordentlich gut und eigentlich würde ich sehr gerne bei dir bleiben, aber ich fürchte, wenn ich jetzt nicht gehe, dann komme ich gar nicht mehr los und ich habe zwei anstrengende Tage im Büro vor mir und am Freitag einen äußerst wichtigen Termin." Ich schnappe mir auch seine andere Hand und verschränke unsere Finger miteinander. „Ich muss morgen ausgeschlafen sein, sonst kriege ich nichts auf die Reihe. Und wenn ich hier bleibe, glaube ich, werden wir nicht viel Schlaf bekommen, oder?"

André schaut mich wieder an und lächelt schief. „Hhmm, da könntest du recht haben." Er holt tief Luft. „Kommst du wenigsten noch mit mir duschen?"

Auf mein zögerliches Nicken hin, rutscht er vom Bett und zieht mich mit sich in das angrenzende Badezimmer. Sofort zieht das Armeisenheer in meinem Inneren seine Truppen zusammen und marschiert los.

Unter der Dusche können wir natürlich nicht die Finger voneinander lassen, erkunden gegenseitig unsere Körper, seifen uns akribisch genau ein und versuchen, uns durch Liebkosen und Küssen vom nahenden Ende des Abends abzulenken. Und ich schwöre, ich kenne keinen, der so gut küssen kann, wie André.

Es wird ein sehr liebevoller Abschied unter der Dusche. Anschließend trocknen wir uns gegenseitig ab und nehmen uns immer wieder in den Arm.

Ich genieße Andrés Wärme und Zuneigung und die Gefühle, die er in mir auslöst. Noch nie hat jemand solche starken Emotionen in mir entfacht, schon gar nicht in so kurzer Zeit.

Zurück im Schlafzimmer haucht André mir weitere Küsse auf die Haut, während er mir einen Boxerslip von sich heraussucht und ich mir diesen und mein Shirt überziehe.

Es ist beinahe Mitternacht, als ich ihm über die Wange streichle, seine weichen Bartstoppeln unter den Fingerspitzen spüre und mich schwermütig vor den Spiegel stelle. Als ich im Begriff bin, hindurch zu gehen, quietscht André.

„Stopp! Warte!" Er rennt zu seinem Nachttisch, greift etwas und kommt zurück zu mir. „Hier, nimm ihn mit." Er drückt mir einen kleinen, braunen Plüschwolf an die Brust, der eine Art graues Jäckchen mit Kapuze trägt. Irgendwie niedlich.

„Du hast ein Plüschtier?"

Andrés Wangen färben sich herrlich rot und er stammelt „j-ja ... irgendwie schon. Also ... nur ihn."

„Du gibst mir dein Plüschtier mit? Dein einziges?"

„Ja. Es ist ein Wolf im Schafspelz." Er fummelt umständlich das kleine Mützchen über die Wolfsohren. „Schau. Da sind kleine Schafsohren an der Mütze." Und wieder lächelt André dermaßen hinreißend, dass ich nicht anders kann, als ihn zu einem letzten Kuss zu mir heranzuziehen. „Weißt du, dass du unheimlich süß bist?"

„Ach Mann", seufzt André „Ich vermisse dich jetzt schon. Nimm Wolfi mit und denk immer an mich, ja? Und wir sehen uns am Freitagabend?"

„Ja, Freitagabend. Ich freu mich auf dich." Und bevor ich mich gar nicht mehr losreißen kann, nehme ich den kleinen Wolf in meine Hand, denke an mein Bett zu Hause und steige durch den Spiegel.

In dem Moment, als ich zu Hause ankomme, fühle ich mich rastlos, als würde mir etwas fehlen. Als sei mein Körper unvollständig.

***

Der Mittwoch zieht sich wie Kaugummi. Im Büro ist sehr viel zu tun, weil einer meiner Projektleiter immer noch krank ist und einiges an mir hängen bleibt. Zudem habe ich wichtige Abstimmungstermine mit Kunden. Obwohl ich wirklich genug zu tun habe und abgelenkt sein müsste, schweifen meine Gedanken immer wieder zu André ab. Es ist nicht einmal vierundzwanzig Stunden her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben und doch vermisse ich ihn schon so, dass ich kaum geradeaus denken kann. Und immer wieder spüre ich diesen Druck auf der Brust und Rastlosigkeit schwimmt durch meine Adern.

Abends liege ich bereits früh im Bett, wälze ich mich hin und her und schaffe es einfach nicht, einzuschlafen, obwohl ich hundemüde bin. Ich stehe wieder auf und mache mir eine heiße Milch mit Honig. Tigere rastlos mit der Tasse in der Hand durch meine Wohnung und bin innerlich total aufgewühlt. André fehlt mir. Sehr.

Gegen zehn halte ich es nicht mehr aus. Ich beschließe, wenigstens kurz zu ihm zu portieren, um mir einen Gute-Nacht-Kuss zu holen und eine Nase voll André zu nehmen. Bei diesem Gedanken muss ich lächeln und schreite, ohne zu zögern, durch den Spiegel.

Ich stehe barfuß im Pyjama, mit der Tasse in der Hand in Andrés Schlafzimmer, sehe ich ihn aber nicht und will ihn schon rufen, als ich Stimmen aus dem angrenzenden Badezimmer höre.

„Oh, das gefällt mir!" Andrés Stimme klingt verzückt. Er scheint sich sehr über etwas zu freuen.

Daraufhin klappert und raschelt es kurz.

Ob er sich im Baumarkt einen dieser witzigen Klodeckel oder Waschbeckenstöpsel gekauft hat?

„Warte, bis ich meinen Hammer raushole!", sagt da plötzlich eine andere Männerstimme, die ich nicht kenne, und lacht leise.

André hat Besuch? Davon hat er mir gar nichts erzählt. Andererseits wollte ich auch erst am Freitag wiederkommen und er kann seine Tage planen, wie er will. Und Besuch haben. Aber es schmerzt, dass er mir nichts davon erzählt hat. Vor allem klingt das Gespräch sehr vertraut. Als hätten die beiden Männer Spaß im Bad.

„Willst du gleich noch duschen? Ich hab dich ja voll eingesaut." Andrés wundervolles Lachen erklingt und in mir bohrt sich ein eisiger Dolch durch die wohlige Wärme, die sein Lachen in meiner Brust auslöst.

Scheiße. André hat einen Anderen. Oder vielleicht einen festen Freund und ich war nur ein netter Zeitvertreib.

So hatte ich ihn eigentlich nicht eingeschätzt und es fühlte sich bisher mit ihm alles so echt und einzigartig an. Doch meine Gedanken verselbständigen sich und in meinem Kopfkino startet der Film. Ein Horrorstreifen ohne Happy End. Warum verliebe ich mich immer in die falschen Typen? Es hatte den Anschein, als könnte es nicht perfekter laufen mit André. Als wäre er das Tüpfelchen auf meinem i.

Ich kann ein lautes Schluchzen nicht mehr verhindern. In dem Moment, als ich mich auf dem Absatz herumdrehen will, kommt André, nur mit einer Jeans bekleidet, aus dem Bad und sofort erfasst mich sein fragender Blick. Ein Wunder, dass er mein Schluchzen gehört hat, so abgelenkt wie er im Bad gewesen sein muss.

„Chris? Was ist ... ?" Er erstarrt kurz und kommt dann schnellen Schrittes auf mich zu. „Wie lange bist du schon hier?"

Viel zu lange, denke ich. Ich wäre besser nicht hergekommen. Ich lasse die Scherben meines verliebten Ichs unbeachtet auf seinem Schlafzimmerboden liegen. Soll er sie doch aufkehren.

Erste Tränen bahnen sich den Weg über meine Wangen.

Ich laufe rückwärts und will nur noch weg hier. Allein sein. Als ich in den Spiegel eintauche, entkomme ich Andrés ausgestreckter Hand nur knapp. Ich spüre nicht einmal die Kälte beim Portieren.

Sekunden später stehe ich auf einer Brücke über dem Main. Nur im Pyjama. Barfuß. In den Händen immer noch meine Tasse mit einem Rest kalter Milch.

Abgetaucht und durchgespiegeltWhere stories live. Discover now