Kapitel 1

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»Ich bin so müde«, stöhnte ich, hielt mein Handy angestrengt gegen mein Ohr, als mir meine Worte von eben ein lautes Gähnen entlockte.
»Hast du etwa einen Kater?«, fragte mein bester Freund Charlie am anderen Ende des Hörers. Fassungslos schmälerte ich meine Augen und obwohl er es nicht sehen konnte, schüttelte ich den Kopf.
»Quatsch! Du weißt, ich trinke nicht mehr seid...« Unfähig den Satz zu Ende zu sprechen, da allein der Gedanke daran, so viel Schmerz auslöste, setzte ich mich auf die erstbeste Bank im Regrents Park von London. Auch wenn ich so erschöpft war, hatte ich nicht lange schlafen können. Nachdem ich mich ewig in meinem Bett herumgewälzt hatte, beschloss ich, meine Zeit sinnvoller zu gestalten. Von daher hatte ich mich dazu entschieden, dass ein morgendlicher Spaziergang mir guttun würde. An sich gefiel es mir auch, dass die ersten Sonnenstrahlen meine Haut kitzelten, aber besser erging es mir mit der frischen Luft nicht. Jedoch kostete ich diesen Moment aus, weil ich selten hier war und mich vor diesem Ort eher drückte. Der Park war beliebt und gut besucht, aber an einem Samstagmorgen war hier zu meinem Glück noch nicht viel los.

»Sophia, du bist sicher so entkräftet, weil du mit drei Menschen gleichzeitig kommunizieren musstest! Das war zu viel für deinen armen Körper.« Der Spott in der Stimme meines besten Freundes blieb mir nicht verwehrt, weshalb ich die Augen verdrehte und mich gegen die Rückenlehne der Bank drückte. Während ich einmal tief ausatmete, sah ich in den strahlend blauen Himmel, hatte meinen Kopf ganz weit in den Nacken gelegt. Er hatte sowas von recht, dachte ich mir und war froh, als die gesellige Feier gestern ein Ende gefunden hat. Nun konnte ich nur hoffen, dass die Drei von der Truppe mich ab sofort in Ruhe lassen. Es gab nur einen Menschen dessen Anwesenheit ich ertrug, dabei unbeschwert reden konnte und das war der aufgeweckte Mann am Telefon. Schon oft hatte ich mich gefragt, wieso es so war, aber darauf nie eine konkrete Antwort erhalten. Ich nahm an, es war so, weil ich ihm blind vertrauen konnte und wir uns schon seit einigen Jahren kannten. Charlie würde mir nie etwas Böses wünschen, mich für mein Dasein verurteilen oder schlecht über mich denken. Aber auch er versuchte mich unter die Leute zu bringen, war allgemein gerne unterwegs, weshalb wir nicht unterschiedlicher hätten sein können. Doch es kam eher selten vor, dass er damit Erfolg hatte, weshalb wir meistens einen bequemen Abend bei mir oder bei ihm zuhause planten. So musste ich keine Menschen treffen, die mich möglicherweise verachtend anschauen. Auf diese Blicke wollte ich verzichten, da ich sie viel zu nahe an mich heranließ.

Warum war ich so? Eine Frage, die ich mir schon stellte, seit ich denken kann. Ich war noch nie anders gewesen und mein Zustand hatte sich im jugendlichen Alter verschlimmert. Teenager können erbarmungslos sein, wenn es darum geht, sich den Mund über andere zu zerreißen. Meine Collegezeit hatte sich wie ein Spaziergang in der Hölle angefühlt und ungern dachte ich an diese Augenblicke zurück. Es gab nur ein Detail, welches ich niemals vergessen werde, etwas, dass ein positives Gefühl in mir auslöste. Und das war ER. Ein Student vom Eton College, einer Schule nur für Jungen, mein zweites Geheimnis, welches, bis auf Charlie, keiner kannte und das ich wie einen Schatz in meinem Herzen hütete.
»Was habt ihr denn gestern so gemacht?«, erkundigte sich der Blondhaarige am anderen Ende des Hörers, riss mich unsanft aus meinen Gedanken.
»Flaschendrehen«, seufzte ich und erinnerte mich daran zurück, wie Alex, meine jüngere Kollegin, die Tochter von einem Neureichen Mann, auf meine Phobie reagiert hatte. Augenblicklich begann der Blauäugige durch das Telefon zu lachen, war dabei äußerst laut und ich konnte mir schon vorstellen, dass er es amüsant fand, wie ich scheues Reh dieses Spiel spielen musste.

»Jetzt bin ich aber gespannt, Sophia. Erzähl, hast du dich davor drücken können?«, wollte er wissen, wirkte neugierig und noch immer am lachen.
»Nein«, flüsterte ich, stemmte meine Füße auf die Bank, um anschließend mein Kinn auf meine Knie abzulegen. »Im Gegenteil, ich musste anfangen, da die Flasche auf mich gezeigt hat. Meine drei Kolleginnen wollten mein größtes Geheimnis erfahren und nachdem ich log, behauptete, ich hätte keines, hatten sie mir natürlich nicht geglaubt.«
»Du hast ihnen von T...«
»Nein!«, krisch ich, unterbrach den Extrovertierten. »Natürlich nicht! Aber ich habe ihnen von der Canophobie erzählt. Wie sie darauf reagiert haben, kannst du dir sicher vorstellen.« Seufzend schloss ich meine Augen, spürte einen sanften und angenehmen Windzug, der meine Nasenspitze kitzelte. Ich hätte mir gestern lieber ein Geheimnis ausdenken sollen, anstatt die Wahrheit zu sagen. Etwas, was weniger peinlich war und nicht so viel Spielraum für Lästereien zuließ. Nun, jetzt war es zu spät und ich rechnete fest mit Gespött am Montag auf der Arbeit. 
»Sophia, es kann dir egal sein, wie sie reagiert haben. Jemand mit einem gesunden Menschenverstand würde niemals jemanden auslachen, der über seine Angststörungen spricht. Ignorier das einfach.« Leichter gesagt als getan, dachte ich mir und seufzte abermals. Ich wünschte, ich wäre nur ein bisschen wie er, würde auf die Meinung von Anderen scheißen.

Für immer noch einmalWhere stories live. Discover now