9 Verweigern von Unterschrift

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In den Osterferien sollte ich dann Latein lernen, um meine Noten zu verbessern und das Latinum zu schaffen. Bei uns zu Hause waren immer noch diese Bauarbeiten im Haus und man wurde jeden Morgen davon geweckt. Mein Bett hat gewackelt.

Ich bin dann zu Opa gegangen, weil ich mich zu Hause nicht konzentrieren konnte und das mit dem Lernen hat bei ihm wirklich gut funktioniert, auch wenn es letztlich nichts gebracht hat... Meine Noten sind nicht mehr besser geworden, aber eigentlich gab es in meinem Kurs auch nur ganz wenige, die richtig gut waren und sonst haben alle schlechte Noten geschrieben. Wir hatten aber das Glück, dass der mündliche Unterricht mehr ins Gewicht fiel. Letztendlich haben alle das Latinum bekommen.

Mir war es egal, ob ich es bekommen würde oder nicht, weil ich mir sicher war, dass ich es nicht brauchen würde. Ich wusste schon, was ich werden will. Meine Mutter sah das aber ganz anders. Ich wollte Latein nach dem ersten Jahr in der Oberstufe abwählen, weil ich ein einigermaßen gutes Abitur haben wollte und ich mir sicher war, dass ich es damit nicht erreichen würde. Es gab dann einen Wahlbogen, auf dem man ausfüllen sollte, welche Fächer man in welchem Leistungsniveau (also Grund- oder Leistungskurs) weiterwählen und auch welche Fächer man abwählen wollte. Ich habe angegeben, dass ich Latein abwählen möchte und meine Mutter weigerte sich, das zu unterschreiben. Sie meinte zu mir: „Wenn du das Latinum nicht schaffen kannst, dann unterschreibe ich dir auch nicht, dass du Latein abwählen darfst."

Für sie mag das nur eine Aussage gewesen sein, aber ich war in dem Moment wieder komplett überfordert. Ich erklärte ihr, dass ich Latein abwählen möchte, gerade weil ich es nicht kann, aber sie blieb stur. Dann geriet ich noch in einen kurzen Streit mit meiner Schwester und dann beschloss ich (es war ein Mittwochnachmittag) erstmal nichts mehr zu sagen. Ich hatte Angst, dass egal was ich sagen würde, alles nur schlimmer werden würde. Meine Familie hat mich natürlich nicht mehr ernst genommen und die ganze Zeit gemeint, ich soll endlich wieder mit ihnen reden, aber das ging für mich nicht. Ich wollte erst das Problem lösen.

Ich überlegte mir, Hilfe bei Lehrkräften zu suchen, aber dann dachte ich mir, diese würden vielleicht verstehen, warum meine Mutter das tat und würden ihr Recht geben, dass gute Noten wichtig sind oder sowas in der Art. Also fand ich keine Lösung. In der Schule wollte ich zunächst auch nicht sprechen, aber mein Musiklehrer nahm alle ohne zu fragen einzeln nacheinander dran und dann dachte ich mir: „Okay, wenn meine Mutter nur gute Noten möchte und mir das gute Noten gibt, dann rede ich in der Schule halt weiterhin."

Und so erfuhren auch meine Freunde nichts von dem Problem. Bzw. zu dem Zeitpunkt meine neuen Freunde, weil ich durch Corona allen Anschluss zu Klassenkameraden in der Schule verloren hatte und gerade erst durch die Oberstufe neue Freunde gefunden hatte. Denen wollte ich jetzt auch nicht unbedingt sofort von irgendwas erzählen.

Auf dem Nachhauseweg habe ich nur meiner Schwester im Wald einmal kurz „pass auf" gesagt, weil Fahrradfahrer hinter uns waren. Zu Hause angekommen, habe ich dann weiterhin nicht gesprochen. Am Donnerstagnachmittag bin ich dann auch abgehauen, weil ich eigentlich Trompetenunterricht gehabt hätte, aber ich wollte nicht einfach nur deswegen in einer Skype-Videokonferenz wieder sprechen müssen. Unter dem Vorwand, Altpapier wegzubringen, bin ich dann einfach gegangen. Irgendwann habe ich übers Tastenhandy wenigstens geschrieben, dass ich im Wald bin. Meiner Mutter ging es hauptsächlich darum, dass ich erstmal zurückkommen sollte, weil ich Trompete spielen sollte. Ich bin dann nachts um 22 Uhr wieder aufgetaucht. Erst am Freitagabend beschloss ich, weil meine Eltern schon ziemlich verzweifelt waren, nochmal mit dem Zettel zu kommen und dann habe ich zu meiner Mutter gesagt, dass ich, wenn sie mit meiner Wahl einverstanden wäre und mir das unterschreiben würde, auch wieder sprechen würde. Sie hat es dann doch unterschrieben und ich habe mich wieder entschlossen zu reden. Die erste Aussage meines Vaters daraufhin war nur: „Also ich fand es schöner, als du nicht gesprochen hast." Da war ich ziemlich sauer auf ihn, aber mehr konnte ich ja auch nicht sagen.

Wieder so eine unangebrachte Aussage des Vaters... Für ihn mag es keine große Sache sein, aber eine Tochter kann so etwas hart treffen. Sprüche wie diese nagen an einem... Ich finde es einfach schlimm :-(


Psychische Gewalt - Ein ErfahrungsberichtWhere stories live. Discover now