2 Beginn auf dem Gymnasium

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Auf dem Gymnasium fiel es mir in den ersten zwei Jahren dann auch schwer, mitzuhalten. Ich habe schlechte Noten geschrieben und musste weiterhin jeden Abend lernen. Hinzu kam, dass meine ältere Schwester ab meiner sechsten Klasse bereits in der Oberstufe war und nur noch seltener nachmittags früh zu Hause sein konnte. Ich sollte dann Mittagessen kochen für meine Schwester und mich. Ja, das war mir bestimmt schon zuzutrauen, aber nach der Schule hatte ich auch nicht immer Lust dazu. Ab der fünften Klasse bereits haben meine Schwestern und ich ein Smartphone bekommen. Meine jüngere Schwester war damals in der dritten Klasse und meine ältere Schwester noch in der neunten. Ich weiß noch, dass meine Schwester (in der dritten Klasse) meiner Mutter schrieb, dass ich kein Essen machen wolle und sie total Hunger habe und fragte, ob sie kochen dürfe. Das tut mir heute leid, weil ich auch für sie hätte da sein können, aber ich habe manchmal nach der Schule keine Kraft mehr gehabt. Ich hatte mich gerade selber erst an die weiterführende Schule gewöhnen müssen und den Langtag, der damit verbunden war.

Meine Schwester und ich hatten am Tag eine halbe Stunde Internet auf unseren Handys zur Verfügung und immer, wenn ich eine schlechte Note geschrieben habe, also eine fünf, gab es komplett Internetverbot. (Eine vier war einfach nur eine schlechte Note, bei der ich mehr lernen sollte.) Das sogar noch, bis ich in der Oberstufe war. (Wir hatten auch keine Sim-Karten im Handy, zumal es sowieso keinen Mobilfunkempfang bei uns zu Hause gab.) Aber das habe ich eigentlich immer eingesehen, weil ich mein Handy sowieso kaum benutzt habe. Wir durften keine sozialen Medien darauf haben, bei Apps mussten wir immer vorher nachfragen und auch kein WhatsApp. Deshalb hatte ich auch zu meinen Klassenkameraden, die fast alle bereits in der fünften Klasse ein Smartphone hatten, keinen richtigen Kontakt.

Wattpad konnte ich zu Hause auch nicht benutzen, weil mein Vater meinte, dass mich das zu sehr von der Schule ablenken würde und es deshalb im Wlan gesperrt hat. Ich habe das dann immer bei meinem Opa benutzt, wenn ich dort übernachtet habe.

Zum Lernen gezwungen

Dass ich zum Lernen gezwungen wurde, war mit am schlimmsten. Ab der sechsten Klasse hatte ich Lateinunterricht. Da war ich zwar am Anfang gut drin, aber irgendwann verlor ich mein Vokabelbuch in unserem Kinderzimmer und konnte vier Monate lang nicht lernen (unser Zimmer war immer unordentlich, weil wir keinen Besuch hatten, bzw. nur bei Besuch aufräumen mussten). Das war lange niemandem aufgefallen, aber als ich tatsächlich eine vier auf dem Zeugnis bekam, hieß es dann wieder, dass ich mehr lernen müsse, obwohl das ohne Buch unmöglich war... Ich habe das Buch dann wiedergefunden und meine Noten sind auch wieder besser geworden. Ich stand am Ende tatsächlich sogar auf einer eins in Latein. Mit dem Lernen hatten es meine Eltern aber wirklich auch mal so sehr übertrieben, dass sie die Haustür abgeschlossen hatten. Ich durfte nicht nach draußen und musste also lernen. An dem Tag habe ich sogar überlegt, die Polizei zu rufen. Ich hatte das Telefon in der Hand und sogar schon die Nummer gewählt, aber meine Mutter hat mir dann ins Gewissen geredet, dass ich doch nicht ins Heim gehen wolle und dass dann alles schlimmer werden würde.

Psychische Gewalt - Ein ErfahrungsberichtWhere stories live. Discover now