✰ Kapitel 23

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Festgefroren verharre ich in meiner Position, den Blick noch immer starr auf seine Finger um mein Handgelenk gerichtet. Keine Ahnung, wie lange ich so verweile, doch als ich schließlich bewerkstellige, in Ethans Gesicht zu sehen, sind seine Augen geschlossen. Seine tiefen Atemzüge deuten darauf hin, dass er tief und fest schläft.

Habe ich mir das etwa bloß eingebildet?

Nein, auf keinen Fall. Warum sonst sollte seine Hand noch immer mein Handgelenk umschließen?

»Ich bleibe«, antworte ich irgendwann kaum hörbar und lasse mich vorsichtig zurück auf den Stuhl sinken, ohne unsere Verbindung zu lösen. Mein Herz klopft so laut, dass ich fürchte, es würde die Musik übertönen und doch kann ich nicht anders, als glücklich zu lächeln.

Eine Weile sitze ich einfach nur da und betrachte ihn. Seine weichen Gesichtszüge, die vollkommen entspannt zu sein scheinen, während sich sein Brustkorb in regelmäßigen Abständen hebt und senkt. Natürlich kann ich nicht beurteilen, was in ihm vorgeht. Ob er sich wohlfühlt oder vielleicht sogar etwas angenehmes träumt. Trotzdem versuche ich, mir genau das einzureden.

Als plötzlich die Tür auffliegt, ziehe ich meine Hand hektisch zurück. »Du wirst für einen Patiententransport gebraucht«, informiert mich Anthony und ich erhebe mich auf der Stelle, um weiterhin professionell zu wirken.

Während Anthony bereits beginnt, mich über meine anstehende Aufgabe zu informieren, kann ich nur mühsam ein Seufzen unterdrücken. Alles, was ich will, ist bei Ethan zu bleiben und da zu sein, wenn er wieder aufwacht.

Obwohl ich es am liebsten für mich behalten hätte, informiere ich den Stationsleiter über die beiden Worte, die Ethan gesprochen hat. Seinen Griff nach meiner Hand lasse ich dabei jedoch bewusst unerwähnt.

Natürlich sorgt diese Information für allgemeine Erleichterung und auch Dr. Davis wird sofort über die Neuigkeiten in Kenntnis gesetzt. Dies bedeutet, dass Ethan den restlichen Tag unter ärztlicher Beobachtung stehen wird und auch seine Eltern haben sich nach dieser Neuigkeit sofort auf den Weg gemacht.

Ich bin unendlich glücklich darüber, dass er seine Stimme wiedergefunden zu haben scheint, aber gleichzeitig ist mir durchaus bewusst, heute keine Minute mehr allein mit ihm verbringen zu können.

****

»Oh mein Gott!«, quietscht meine beste Freundin in einer derart hohen Tonlage, dass ich kurzzeitig befürchte, einen Tinnitus zu bekommen. »Ich habe es doch gleich gesagt! Du bist diejenige, die ihm dabei hilft, seine Stimme wiederzufinden!«

Cassie sitzt aufgeregt auf meinem Bett und strahlt über das ganze Gesicht, nachdem ich ihr detailliert von meiner heutigen Schicht im Krankenhaus berichtet habe. Während die Worte nur so aus meinem Mund sprudeln, habe ich noch immer nicht vollständig realisiert, dass er tatsächlich gesprochen hat. Und nach meinem Handgelenk gegriffen.

»Ich wäre so gerne bei ihm gewesen, wenn er aufwacht«, seufze ich trotzdem und sie nimmt mein Gesicht in ihre Hände, um meinen Blick zu heben.

»Du kannst stolz auf dich sein, Allie«, flüstert sie und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Wer kann schon von sich behaupten, einen Traummann wieder zum Leben erweckt zu haben?«

»Wenn ich doch nur wüsste, was in seinem Kopf vorgeht. Hat er wohl mitbekommen, was ich ihm erzählt habe?«

»Keine Ahnung«, antwortet Cassie ehrlich und hebt unentschlossen die Schultern, »aber eigentlich ist es auch nicht wichtig. Viel entscheidender ist, dass du bei ihm bleiben solltest. Er fühlt sich dir verbunden und das ist doch die Hauptsache.«

»Wie soll ich nur die nächsten fünf Tage überstehen?«, jammere ich und schlage mir verzweifelt die Hände vor mein Gesicht. »Heute ist Sonntag und ich habe erst am Freitag wieder Dienst.«

»Wenn es dir irgendwie hilft, sehe ich am Mittwoch nach ihm. Ich habe einen Dienst getauscht und springe für Anna ein.«

Anstelle einer Antwort, nicke ich nur kurz und lege anschließend meinen Kopf auf ihrer Schulter ab. Natürlich würde ich am liebsten selbst bei ihm sein, aber wie sollte ich ein außerdienstliches Auftauchen rechtfertigen?

»Sollen wir uns Pizza bestellen?«, schlägt Cassie plötzlich vor und ich realisiere erst in diesem Moment, wie hungrig ich eigentlich bin. Regelmäßige Mahlzeiten sind in der letzten Zeit ohnehin viel zu kurz gekommen, was ich vor meiner besten Freundin besser nicht laut aussprechen sollte.

Kurze Zeit später sitzen wir bereits im Schneidersitz auf meinem Bett, jeder von uns einen Karton duftender Pizza auf dem Schoss. »Fast wie in alten Zeiten, oder?«, merkt Cassie kichernd an, während sie herzhaft in ein Stück ihrer Peperoni-Pizza beißt.

»Oh ja«, stimme ich ihr zu und bin glücklich darüber, die Dunkelheit hinter mir gelassen zu haben. Es fühlt sich unsagbar gut an, endlich wieder nach Vorn blicken zu können.

»Du? Allie?«, richtet sich meine Freundin irgendwann an mich, als wir mit vollen Bäuchen nebeneinander im Bett liegen. An ihrer Stimme höre ich sofort, dass sie mir etwas Wichtiges erzählen möchte.

»Ja?«, antworte ich daher aufmerksam und rolle mich auf die Seite, um sie ansehen zu können.

»Ich habe seit unserem Treffen sehr viel mit Maddie getextet. Wusstest du eigentlich, dass sie vor kurzem sechsundzwanzig geworden ist und sie ein paar Wochen vor ihrem Geburtstag von ihrer Freundin verlassen wurde?«

»Oh Gott, ich hatte ja keine Ahnung!«, erwidere ich entsetzt und meine damit den Teil mit dem Verlassen werden. Nun habe ich endgültig ein schlechtes Gewissen, weil sich alles nur noch um mich zu drehen scheint.

»Außerdem ... bin ich morgen Abend mit ihr verabredet«, sagt sie und ich ziehe verwundert die Augenbrauen nach oben. Nicht über die Tatsache, dass sie sich treffen wollen, vielmehr darüber, wie sie es ausspricht.

Denkt sie etwa, ich wäre eifersüchtig?

»Das ist doch kein Problem für mich«, lache ich und knuffe ihr in die Seite. »Du darfst dich auch mit anderen Freundinnen treffen, denn soweit ich weiß, konnte ich noch keine Besitzansprüche auf dich anmelden.«

Cassie sieht mich einen Moment lang nachdenklich an. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es eine Feundinnen-Verabredung ist«, gibt sie leise zu und ich mustere sie verwirrt.

»Was meinst du damit?«, will ich wissen, aber als ich das Leuchten in ihren Augen sehe, dämmert es mir bereits. »Oh, du weißt nicht, ob es ein Date ist?«, schiebe ich aufgeregt hinterher und sie nickt heftig. Mir ist nicht entgangen, wie gut sich die beiden während unseres Sushi-Abends verstanden haben, weshalb ich mich aufrichtig für sie freue. Kaum zu glauben, wie kritisch sie Madelaine am Anfang gegenüberstand, aber ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Dinge häufig anders als erwartet entwickeln.

Ganz automatisch schließe ich die Arme um meine beste Freundin. »Was es auch ist: Ich wünsche euch ganz viel Spaß dabei.«

Wie schön, doch nicht die Einzige zu sein, die in der letzten Zeit für Überraschungen sorgt.

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