✰ Kapitel 12

1.4K 118 84
                                    

»Was zur Hölle ist los? Du hast mir mit deinem Anruf eine scheiß Angst eingejagt!« Cassie huscht in Windeseile in mein Apartment und schließt noch immer vollkommen aufgewühlt die Tür hinter sich.

Ich hatte sie nur eine Minute zuvor mit einem panischen Anruf aus dem Bett geklingelt, ohne dabei herauszubekommen, was wirklich los ist. Wie sollte ich auch? Immerhin verstand ich selbst nicht mal, was das alles zu bedeuten hat.

»Er ist ... ich habe ...«, stottere ich daher verstört und weiß eigentlich noch immer nicht genau, wie ich meine Entdeckung verbalisieren soll.

»Allie! Sieh mich an«, richtet sich meine beste Freundin nun eindringlich an mich. Sie sucht den direkten Blickkontakt zu mir und greift vorsichtig nach meiner Hand. »Du beruhigst dich jetzt und dann erzählst du mir in Ruhe, was passiert ist, ja?«

Ich nicke, bin aber vorerst nicht fähig, das Hyperventilieren einzustellen. Zu tief sitzt der Schock über das Unbegreifliche.

»Du schaffst das. Ich bin für dich da«, redet sie behutsam weiter auf mich ein. Tatsächlich bewerkstellige ich es irgendwie, meine Atmung zumindest einigermaßen zu regulieren. »Gut«, lobt sie mich und schenkt mir ein aufbauendes Lächeln, bevor sie ebenfalls nach meiner anderen Hand greift und mich vorsichtig auf mein Bett setzt.

Sie nimmt neben mir Platz und obwohl sie versucht, zuversichtlich auszusehen, kann ich die Sorge ganz deutlich in ihren Augen erkennen. »Kannst du jetzt reden oder willst du lieber aufschreiben, was dich bedrückt?«

Anstelle einer Antwort greife ich nach meinem Handy, wo noch immer Ethans Bild geöffnet ist. Wortlos reiche ich ihr das Telefon, woraufhin sie verwirrt die Stirn runzelt. »Wer ist das? Hat er dir etwas angetan?«, flüstert sie und ihr Blick wechselt ängstlich zwischen seinem Foto und mir.

Ich schüttle den Kopf und deute stattdessen mit dem Zeigefinger auf seinen Namen. »Oh«, macht sie überrascht, »ist das etwa der neue Patient? Der mit der Hirnblutung?«

Wieder nicke ich, diesmal jedoch heftiger.

»Ich habe ihn vorgestern auf der Station gesehen. Armer Kerl«, sagt sie mitleidig. »Allerdings habe ich trotzdem keine Ahnung, was das mit dir zu tun haben soll.« Sie legt das Handy noch immer sichtlich irritiert auf die Matratze und bedenkt mich mit einem abwartenden Blick.

»Ethan Marsh ist der Mann aus meinen Träumen«, presse ich tonlos hervor und wage es nicht, sie dabei anzusehen. Laut ausgesprochen klingt es noch surrealer als zuvor in meinem Kopf.

Stille.

»Bist du sicher?«, bringt sie irgendwann fassungslos über die Lippen. »Das klingt-«, will sie fortfahren, aber ich unterbreche sie auf der Stelle.

»...verrückt«, ergänze ich ihren Satz. »Denkst du, das weiß ich nicht?« Eine einzelne Träne löst sich und bahnt sich ihren Weg über meine Wange, nur um dann auf mein graues Schlafshirt zu tropfen. Dort hinterlässt sie einen unübersehbaren dunklen Fleck.

»Woher weißt du, dass er es ist?«, hakt sie erneut ein, während sie behutsam einen Arm um meinen bebenden Körper legt. »Was macht dich so sicher?«

Daraufhin erzähle ich detailliert von meiner Schicht im Krankenhaus, dem seltsamen Gefühl, welches Ethans Präsenz in mir ausgelöst hat und schließlich von dem merkwürdigen Drang, mehr über ihn herausfinden zu müssen.

Ganz davon abgesehen, dass ich ihn für ein Jahr jede Nacht in meinen Träumen gesehen habe. Ich würde ihn immer erkennen, ganz egal wie klein oder unscharf die Aufnahme auch sein mag. Außer natürlich, ein großflächiger Kopfverband und ein Beatmungsschlauch machen eine Identifizierung so gut wie unmöglich.

»Wow, das ist einfach unglaublich.« Sie springt wortwörtlich aus dem Bett und fährt sich aufgewühlt durch ihre schwarze Lockenmähne. »Ich muss mich kurz sortieren«, sagt sie und beginnt wie ein Tiger hin und her zu laufen. Ihr Gesichtsausdruck ist angespannt, während sie all die neuen Informationen irgendwie zu verarbeiten scheint.

»Ich weiß, wie abgedreht das klingt. Wenn du mir nicht glaubst, ist das in Ordnung«, merke ich leise an. Daraufhin bleibt sie abrupt stehen und bedenkt mich mit einem strengen Blick.

»Du bist meine beste Freundin«, schimpft sie und lässt sich nun doch wieder neben mich auf die Matratze fallen. »Wenn du dir sicher bist, bin ich es auch.«

»Danke«, hauche ich und lege mein verheultes Gesicht auf ihrer schmalen Schulter ab. In diesem Moment spüre ich tatsächlich eine tiefe Dankbarkeit für unsere Freundschaft. Nicht, dass ich sonst nicht dankbar wäre, aber diese Ausnahmesituation verdeutlicht mir aufs Neue, wie besonders unsere Verbindung ist. 

»Wenn du dich nochmal für etwas vollkommen Selbstverständliches bedankst, muss ich dir leider eine verpassen«, erwidert sie mit gespielter Empörung in der Stimme und schafft es mit diesem Kommentar tatsächlich, mir ein kurzes Lächeln zu entlocken.

»Wann bist du das nächste Mal im Krankenhaus?«

»Samstag zum Spätdienst«, antworte ich und mein Herz zieht sich bei dem Gedanken daran auf unangenehme Weise zusammen. Wie soll ich dort meiner Arbeit nachgehen, nach allem was ich nun herausgefunden habe?

»Das ist übermorgen«, schlussfolgert sie und ich seufze niedergeschlagen. »Wir sind uns sicher, dass Ethan Marsh dein Traummann ist, aber ich denke ein Beweis könnte für deinen inneren Frieden nützlich sein, oder?«

Obwohl ich mir vollkommen sicher bin, würde mir ein physischer Beweis zumindest teilweise meinen Seelenfrieden wiedergeben. Allerdings fällt mir nichts ein, was meine absurde Realität belegen könnte.

»Wie um Himmelswillen soll ich das denn beweisen?«

»Du hast mir alles über ihn erzählt«, grinst meine beste Freundin und mir wird klar, dass sie bereits einen Plan hat. Typisch Cassie - sie zaubert einfach immer einen passenden Ratschlag aus dem Ärmel. 

»Und?« Ungeduldig warte ich darauf, dass sie ihren Einfall mit mir teilt.

»Dein Traummann hat zwischen den Schulterblättern einen Leberfleck in Form der italienischen Landkarte, richtig?«

Oh Gott, sie hat recht. Ich bin so durch den Wind, dass ich überhaupt nicht darüber nachgedacht habe.

»Du bist ein Genie!«, rufe ich begeistert und die Aussicht darauf, mir tatsächlich Gewissheit verschaffen zu können, gibt mir neue Hoffnung.

»Das höre ich öfter«, scherzt sie, während sie mich in eine aufbauende Umarmung zieht. Einen Moment lang verweilen wir in dieser Position, bis sie unsere Verbindung löst, um mich ansehen zu können. »Du weißt, was du zu tun hast, richtig?«

Entschlossen nicke ich und sie bedenkt mich mit einem zufriedenen Lächeln.

Ich werde mich vergewissern, ob Ethan Marsh eine verdammte Landkarte auf dem Rücken hat.

DreamerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt