Six

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Aus dem Radio ertönte das Lied ›Sweet Child O' mine‹ und übertönte somit das Rauschen von Steves Auto.

Normalerweise hätte ich bei dem Lied mitgesungen oder mit gesummt, doch heute fehlte mir die Kraft dazu. Ich fühlte mich einfach zu müde.

Ich saß auf dem Beifahrersitz und schaute den Bäumen dabei zu, wie sie an uns vorbeihuschten.

Hinter mir saß Max, die keinen einzigen Mucks von sich gab. Sie sah genauso still aus dem Fenster, wie ich es tat.

Steve, der hinterm Steuer saß, tippte mit seinem Finger immer zum Rhythmus des Liedes auf das Lenkrad.

Wir waren auf dem Weg, Max nach Hause zu bringen. Die anderen zwei hatten wir schon abgesetzt. Ich würde die letzte sein.

Eddie ließen wir im Bootshaus zurück. Ich bot an, ihn mit mir nach Hause zu nehmen, doch er lehnte ab. Er meinte, dass die Polizei zuerst bei mir suchen würden. Also gab ich widerwillig nach.

Ich hätte auch bei ihm bleiben können, doch darüber eine Diskussion anzufangen, war es wahrscheinlich nicht wert gewesen. Also gab ich auch, wenn auch wieder nur widerwillig, nach.

Die Geschwindigkeit des Autos gab nach und kam allmählich zum Stopp. »Wir sind da«, sagte Steve, sobald er vor der Einfahrt zur Straße von Max stehen blieb.

»Danke, Steve«, sagte Max und ihre Mundwinkel zuckten leicht nach oben, als hätte sie versucht ihn ein aufrichtiges Lächeln zu schenken.

Steve bemerkte es genauso wie ich, doch während ich sie nur mit einer besorgten Miene ansah, setzte Steve ein Lächeln auf seinen Lippen und drehte sich zu Max um.

»Immer wieder gern, Max«, meinte er.

Wieder zuckten ihre Mundwinkel leicht. »Bis Morgen«, sagte sie. Max sah zu Steve, dann rüber zu mir. Wir hatten den ganzen Tag noch nicht miteinander gesprochen. Wahrscheinlich war sie am überlegen, ob sie sich auch bei mir verabschieden sollte.

Wir sahen uns einen kurzen Moment lang durch den Rückspiegel in den Augen. Und genauso, wie der Ton ihrer Stimme, sahen auch ihre Augen ermüdet aus.

Nun setzte auch ich ein, wenn auch nicht ganz so aufrichtiges, Lächeln, wie Steve auf den Lippen. »Bis Morgen, Max«, sagte ich.

Sie erwiderte nichts und stieg aus dem Wagen. Die Polizei ließ sie ohne Weiteres durch die Barriere, die sie erbaut hatten, zum Schutz der Bewohner.

Steve blieb so lange dort stehen, bis er sie nicht mehr sah. Auch er schien sich Sorgen um sie zu machen.

»Was ist los?«, fragte mich Steve, als er versuchen wollte, meinen Gesichtsausdruck zu deuten.

»Es ist Max. Ihr Verhalten macht mir ein wenig Sorgen«, meinte ich und schaute dabei noch immer aus dem Fenster.

Ich hatte mit Max bisher nur sehr wenig zu tun gehabt. Ich sah sie die gesamte Zeit nur selten und mit ihr geredet habe ich auch kaum. Jedoch kann ich mit ziemlich viel Sicherheit sagen, dass es ihr nicht gut ging.

»Du nicht? Machst du dir keine Sorgen?«

Ich sah zu ihm, doch er schüttelte den Kopf. »Natürlich mache ich mir Sorgen. Aber ihr helfen können wir auch nicht wirklich. Für sie da sein, ja. Aber helfen … «Er beendete seinen Satz nicht.

»Hat das …«, setzte ich an,» … etwas mit Billy zu tun?«

Er nickte leicht. »Ja. Sie war dabei, als er starb.«

Das erklärte so einiges. Die Lieblosigkeit in ihren Augen, der ermüdende Ton ihrer Stimme, der hypnotisierte Blick auf einer Stelle.

»Dafür, dass ihr euch gerade erst kennengelernt habt, machst du dir aber große Sorgen um sie.«

»Ich hab auch nicht gesagt, dass ich sie erst seit heute kenne«, meinte ich. Wieder sah ich von ihm weg. Ich wollte eigentlich nicht darüber reden. Jetzt jedenfalls noch nicht.

Jetzt herrschte Stille. Das einzige, was dafür sorgte, dass es nicht ganz so unerträglich war, war das viel zu laute Atmen von Steve.

War das, was ich gesagt hatte, vielleicht doch anders rübergekommen, als es sollte?

Ich schaute wieder zu Steve, wollte versuchen ihm zu erklären, was ich meinte. Doch noch bevor ich ein Wort sagen konnte, zog ich scharf die Luft ein.

Natürlich musste es so sein. Es war noch nicht einmal vor Mitternacht. Beinahe wäre es überfällig geworden.

Ich sah durch Steve hindurch. Das Glas war noch immer so klar, wie sonst auch immer. Mir passierte das jetzt schon zum dritten Mal und noch immer machte mir es eine Heidenangst.

Mein Herz klopfte gegen meiner Brust, als würde es gleich ausbrechen wollen, mein Atem ging so schnell, sodass ich keine Kontrolle mehr darum hatte und mein Körper zitterte, als hätte es nie etwas anderes getan.

»Steve?«, fragte ich vorsichtig, obwohl ich ganz genau wusste, dass er mir nicht antworten konnte.

Warum passierte das nur wieder? Warum? Was hatte ich diesmal getan?

Das erste Mal versetzte ich Eddie. Beim letzten Mal hatte ich Leila aufgebracht. Und jetzt? Was war es diesmal gewesen?

Eine falsche Frage? Habe ich mich in etwas zu sehr eingemischt? Ging ich Steve auf die Nerven?

Ein erneutes lautes aufatmen, unterbrach meine Gedankenströme. Ich sah durch die Frontscheibe des Autos, sobald ich bemerkt hatte, dass es von dort kam und nicht vor Steve.

Und wieder stand da diese Person.

Sie sah genauso aus, wie gestern. Nur dieses Mal stand sie näher. Ich erkannte die dunkelblonden Haare des Mannes, das blasse Gesicht und die in Blut getränkten Hände.

Mein Atmen wurde noch schneller. Die Angst wurde größer.

Konnte man in einer Halluzination sterben? War das möglich gewesen?

»Wer bist du?«, fragte ich vorsichtig und trotzdem noch so laut, dass es einem nicht auffallen sollte, dass ich Angst hatte.

Das war die einzige gute Eigenschaft daran, wenn man strenge Eltern hatte; man lernt es, keine Angst zu zeigen.

Er richtete sich auf. Der Mann sah mir nun direkt in meinen Augen.

Seine Gesichtszüge waren markant. Er sah aus, wie Anfang dreißig. Mit seinem Mund formte er Worte, die ich nicht verstand.

Sein Atem war laut, doch seine Stimme so leise, wie das Piepen einer Maus.

»Bitte, lass mich in Ruhe! Sag mir, was du willst, aber bitte lass mich in Frieden!«, rief ich ihn zu und spürte dabei, wie meine Augen sich mit Tränen füllten.

Bitte! Geh weg …

Ich presste meine Augen aufeinander und sprach immer ein und demselben Worte in meinen Kopf ab.

Er sollte doch einfach nur aufhören.

Klopf. Klopf.

Ich öffnete meine Augen. Stand er jetzt etwa schon neben mir? Bat er um Einlass in einer Hülle vom Glas?

Musik ertönte, die Kälte verblasste und das alles in dem Moment, als ich meine Augen öffnete.

Ich schaute auf, meine Augen noch immer durchtränkt mit Tränen.

Doch alles war wieder beim Alten. Alles war wieder so, wie es sein sollte.

»Bree, ist alles in Ordnung?«

Ich kannte die Stimme.

Leila. Was tat Leila hier?

»Was hat sie?«, fragte sie, sicherlich an Steve gerichtet.

»Ich weiß nicht. Sie fing auf einmal an zu zittern und rang nach Luft«, erklärte er ihr ruhig.

Zu ruhig, wenn man mich fragte. Er schien noch etwas vor ihr zu verheimlichen. Und sicherlich nicht nur vor ihr.

Sein Blick heute, als wir bei Eddie waren und der von jetzt, waren identisch.

Er wusste etwas. Da war ich mir sicher.

𝔏𝔬𝔰𝔱 𝔦𝔫 𝔱𝔥𝔢 𝔡𝔞𝔯𝔨𝔫𝔢𝔰𝔰 𝔬𝔣 𝔬𝔲𝔯 𝔪𝔦𝔫𝔡𝔰 || Stranger ThingsDär berättelser lever. Upptäck nu