Kapitel 10

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Niamh erwachte von dem brennenden Feuer in ihrem Rücken. Irgendetwas stimmte nicht. Stöhnend öffnete sie die Augen, brauchte einen Moment, um sich zu orientieren und die Erinnerungen in ihr Bewusstsein sickerten. Beschämt schloss sie die Augen wieder, atmete tief durch, während ihre Gedanken um die letzte Nacht kreisten.

„Guten Morgen." Quaritch regte sich an ihrer Seite und auch sie versuchte sich unbeholfen aufzurichten, sank aber sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seiner Brust zusammen. Schwer atmend verharrte sie dort, versuchte verzweifelt den Schmerz unter Kontrolle zu bringen. Vergeblich. Ein leises Wimmern drang an ihr Ohr. Dann begriff sie, dass sie es war, die da wimmerte.

„Bist du in Ordnung?" Quartich klang alarmiert.

„Irgendwas stimmt mit meinem Rücken nicht", brachte sie gepresst hervor.

„Lass mich mal sehen." Ohne eine Antwort abzuwarten stützte er sie, sodass sie beide sich aufrecht hinsetzen konnten. Prüfend suchte er ihren Blick und hob ihr Kinn sanft an, wollte wissen wie schlimm es war. Mit flatternden Liedern versuchte sie ein schiefes Grinsen.

„Du siehst nicht gut aus", murmelte er.

„Ich fühl mich auch nicht gut." Sie fühlte sich, als hätte man ihr sämtliche Lebensenergie ausgesaugt. Selbst ihre Lieder waren schwer; sie konnte kaum die Augen offen halten, während ihr Körper in Wellen von heißkalten Schauern erzitterte.

Anscheinend hatten sie beide beschlossen, die Ereignisse der letzten Nacht aus ihren Erinnerungen zu löschen, um des Überlebens und der Harmonie Willen. Niamh war dankbar darum, dass er kein Wort dazu sagte und auch keine Andeutungen machte.

Als Quaritch sie losließ, um selbst auf die Beine zu kommen, wäre sie fast in sich zusammengesackt. Nicht einmal sitzen konnte sie ohne Hilfe. Aber Quaritch reagierte schnell und griff blitzschnell nach ihren Armen und bewahrte sie davor, hilflos wie ein Käfer auf den Rücken zu fallen. Niamh stieß bei der ruckartigen Bewegung einen unterdrückten Schrei aus. Sie spürte deutlich, wie bei diesem Ruck mindestens ein Schnitt aufgerissen war.

Nun noch behutsamer als bisher, brachte er sie erst auf die Beine, dann hob er sie langsam auf die Arme und setzte sich in Bewegung. Jetzt achtete er auch darauf, seine Schritte so gut wie möglich abzufedern, um ihr zusätzliche Schmerzen zu ersparen. Den ganzen Weg zum Fluss versuchte sie ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen, den Schmerz zu beherrschen, an etwas anderes zu denken, nur nicht an den Schmerz. Aber der fraß sich immer tiefer in ihr Fleisch, durchdrang ihr ganzes Bewusstsein. Sie konnte an nichts anderes denken.

Aber irgendwann hatten sie es geschafft. Langsam ließ er sie auf den Stein sinken und ging neben ihr in die Knie, um sie auch im Sitzen zu stützen. Sie stieß eine Mischung aus unterdrücktem Stöhnen auf, als er begann, den Verband abzunehmen. Erst fühlte es sich so an, als würde man ihr die Haut abziehen, dann stach die kühle Morgenluft in ihr Fleisch, brachte es zum glühen. Niamh glaubte, dass das Feuer sie jeden Moment verschlingen und ihr das Bewusstsein rauben würde - wenn nicht sogar mehr. Wimmernd klammerte sie sich an Quaritchs Arm, der dadurch Schwierigkeiten hatte, sein Tun fortzusetzen. Aber es hatte keinen Zweck, er musste weitermachen. Sie musste da durch, sonst würde es noch schlimmer werden.

Irgendwann hörte das grässliche Gefühl des Häutens auf und Niamh war sich sicher, dass ihr Rücken eine einzige offene Fleischwunde war.

„Es hat sich entzündet", sagte Quaritch trocken und bestätigte damit ihre Vermutung.

„Wie schlimm ist es?"

Er hielt inne.

„Es hat sich nicht viel Eiter gebildet, aber er zieht sich fast über alle Schnitte."

Laheyti würde hier nicht helfen. Jedenfalls nicht ausreichend, wenn überhaupt. Es war hoffnungslos. Resigniert ließ sie den Kopf hängen und stützte die Stirn dabei auf Quaritchs Arm.

„Der Helikopter hatte ein Medikit an Bord. Er ist zwar ins Meer gestürzt, liegt aber nicht besonders tief. Ich könnte nachschauen, ob es noch intakt ist."

Niamh stieß ein hohles Lachen aus. „Und wie willst du da hinkommen? Die Klippen hinabklettern und dabei abstürzen? Das ist zu gefährlich."

„Es gibt kleine Vorsprünge und Wurzeln."

„Nein. Ein falscher Tritt und du bist tot."

Er seufzte, wagte aber keine Widerrede.

„Dann müssen wir die Wunde ausbrennen."

Niamh hob den Kopf. „Ausbrennen?"

„Macht ihr das nicht?"Sie schüttelte verständnislos den Kopf.

„Man erhitzt eine Klinge im Feuer und presst sie auf die Wunde, um alle Keime abzutöten, damit sie sich nicht entzündet."

„Unsere Klingen sind aus Stein, sie würden zerbrechen, wenn man sie ins Feuer legt."

Quaritch nickte. „Natürlich."

„Dann wasche ich den Verband aus und hole etwas Laheyti, dann gehen wir zurück zum Feuer."

Niamh nickte schwach. In Gedanken war sie schon an dem Punkt, an dem Quaritch ihr sein glühendes Messer auf die Wunden drücken würde. Bei der Vorstellung lief ihr jetzt schon ein heißkalter Schauer über den Rücken und erschütterte ihren Körper von Kopf bis Fuß. Sie konnte sich keine größeren Schmerzen vorstellen, als die, die sie jetzt schon ertragen musste. Würde sie das überhaupt überleben?

Seufzend stützte sie sich auf Quaritchs Schulter, während dieser sie auf die Beine zog. Nun besonders darauf bedacht, nicht ihre Wunden zu berühren, hob er sie hoch und trat den Weg zurück zum Feuer an, der ihr wieder wie eine weitere schmerzhafte Ewigkeit vorkam.

Aber als sie es schließlich geschafft hatten, setzte Quartich sie behutsam auf dem Boden ab. Er half ihr dabei, sich erst langsam auf die Knie niederzulassen und dann auf den Bauch zu legen, die Stirn auf die Hände gebettet.

Wimmernd und schwer atmend verharrte sie so und wartete. Das Feuer knisterte, als er das Messer in die Glut schob.

Ein paar Minuten später tippte er auf ihren Arm, sodass sie den Kopf leicht anhob, sodass er etwas unter ihr hindurch schieben konnte. Es war sein Gürtel, den sie nun zwischen die Zähne nahm. Dann knisterte es wieder. Unwillkürlich stiegen ihr Tränen der schrecklichen Vorahnung in die Augen und sie biss fester zu.

„Bereit?"

„Mhm." Es war mehr ein Wimmern als eine Antwort.

Es zischte, als das glühende Eisen auf ihr Fleisch traf. Es war als würde man Feuer mit Feuer bekämpfen. Auf ihrem Rücken, der ohnehin schon seit Tagen zu glühen schien, entbrannte jetzt ein Feuer. Erst war es ein Schnitt in der Mitte des Rückens, dann der zweite, dann der dritte und schließlich stand ihr ganzer Rücken in Flammen. Ein loderndes Feuer, das nicht nur in ihren Wunden brannte, sondern sich plötzlich durch ihren ganzen Körper fraß, jede Faser ihres Körpers in Brand steckte. Ein Feuer, das sich von ihrer Lebenskraft nährte und diese in rasend schneller Geschwindigkeit verrbauchte. Erst waberte Nebel vor ihr Bewusstsein, dann färbte sich der Rand ihres Sichtfelds schwarz, schluckte immer mehr Teile ihr Sicht, bis die Schwärze alles umschloss und in sich hinein sog.

Plötzlich hörte der Schmerz auf. Niamh fühlte sich federleicht. Das Feuer war verschwunden.

Verlorene Seelen PandorasDonde viven las historias. Descúbrelo ahora