Die liegende Acht

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Ich schaue auf den Tisch. Dort liegt eine Karte, dir für meine Cousine bestimmt ist. Sie wird demnächst 18 Jahre alt, also ist es nicht verwunderlich, dass auf der Karte eine große 18 prangt. Doch es ist etwas anders, das mir auffällt. 

Von meiner Position aus sieht es aus, als würde die 8 auf der Seite liegen. Also ist sie in diesem Moment keine Acht mehr. Sie ist die Unendlichkeit. Das Gegenteil von Endlichkeit, die uns alle irgendwann betrifft. Und, vermutlich, auch alles um uns herum. Alles vergeht; die Bäume im Wald, die ich aus meinem Fenster sehen kann genauso, wie das Haus selber. Und die Lebewesen, die diese Erde bevölkern. Doch ist das wirklich so? 

Aber gibt es etwas, das unendlich ist? Manche behaupten, das Universum sei es. Doch wer sagt das? Wer hat es überprüft? Und: Wenn es unendlich ist, wie kann es sich dann ausdehnen? Fragen über Fragen. Aber wie sollte ein kleiner Mensch auch etwas so großes wie die Unendlichkeit begreifen?

Wo es doch so schwer ist, sich so etwas vorzustellen.
Man kann sie nicht begreifen. Denn dafür müsste man erstmal die Endlichkeit begreifen. Und selbst das schafft so mancher Mensch allem Anschein nach nicht. Er erkennt nicht die Endlichkeit, die Kostbarkeit, seines Lebens. Wie sollte man dann etwas so gigantisches verstehen können?

Wenn man nicht mal die Zeit richtig begreifen kann, die aber doch mit der Unendlichkeit zusammenhängt. Denn gäbe es die Definition eben jener, wenn keine Zeiteinheiten existierten?
Wohl kaum. Oder?

Darüber nachzudenken verursacht einen Knoten in meinem Kopf, der wohl für immer dort bleiben wird. 

Mir bleibt nur ein letzter Gedanke: Wenn etwas unendlich ist, hebt das die Zeit nicht auf? Aber warum ist eine Uhr dann ein Kreis, ohne Anfang und Ende. Das Sonnensystem und die Galaxien drehen sich im Kreis. Findet dich die Unendlichkeit also doch direkt vor unserer Nase? Denn eine andere Form der Unendlichkeit ist die Ewigkeit. Die Ewigkeit des Seins. 

Ich wende mich von dem Tisch ab. Wäre es doch auch nur so einfach, den Gedankenfluss zu stoppen, der sich gerade ohne Unterbrechung weiter in meinem Gehirn abspielt.

Als ich schließlich irgendwann in der Küche stehe, kommt mir ein weiterer Gedanke und kreist seine Runden: Sind nicht die Moleküle in uns allen auch unendlich? Wo kommen sie her, wo gehen sie irgendwann einmal hin? Sind wir also auch unsterblich, in gewisser Hinsicht? 

Mein Blick schweift durch das Fenster in den wolkenlosen Himmel. Ist das Unendliche also doch sichtbar und direkt vor uns?

Es ist schwer, sich so etwas vorzustellen. Vielleicht ist es am Ende doch nur so, wie mit einem Kind: Für ein Kind, das gerade einmal sieben Jahre alt ist, sind zwanzig Jahre eine Ewigkeit und man kann sich in diesem Abschnitt seines Lebens diese zwanzig Jahre kaum vorstellen. Doch je älter wir werden, je weniger scheinen zwanzig Jahre zu sein. Vielleicht ist das mit der Ewigkeit also nur eine Frage des Blickwinkels. 

Vielleicht liegt es an uns, unserem Leben eine gewisse Unendlichkeit zu verleihen. Indem wir die schönen Augenblicke genießen und uns immer wieder daran zurückerinnern können. Solange wir das können, ist ein Augenblick doch gewissermaßen unendlich. 

NoëmaWhere stories live. Discover now