Musik

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Ich atme aus. Der Tag war stressig, doch nun kann ich entspannen. Und da es kaum etwas besseres gibt, um einen schlechten Tag hinter sich zu lassen, nehme ich mir vor, Musik anzumachen.

Schon seltsam, wie sich die Art Musik zu hören, verändert hat. Früher musste man in einen Plattenladen gehen, hatte dann lediglich ein paar Lieder eines Künstlers, die man sich anhören konnte. Oder vielleicht hatte man von manchen Musikern auch alle Alben, doch an die Vielzahl von heute kommt es nicht heran.

Heute hat man mit einem Gerät so gut wie unbegrenzten Zugriff auf jegliche Art von Musik. Und man kann sie überall mit hinnehmen. Egal ob auf einen Ausflug in die Pampa oder ans andere Ende der Welt. Und sogar im Weltraum ist Musik verfügbar. Ob sie nun in Form von Playlisten oder gar als Instrument in der ISS um die Erde kreist oder etwa an Bord der Voyager durch das Weltall ziehen.

Hat sich durch diese ständige Dauerbeschallung etwas an der Art, Musik zu hören, verändert? Mittlerweile ist es doch fast egal, wo man hingeht oder was man macht. Ob beim Einkaufen oder beim Sport, überall finden sich Lautsprecher, aus denen die Töne sprudeln. Wenn das nicht vorhanden ist, sorgt man selbst dafür, dass keine Stille herrscht.

Ist es deswegen weniger besonders als früher, als man extra zu einer Veranstaltung musste, um in den Genuss von Musik zu kommen? Mit Sicherheit.

Ich wähle einen Song aus meiner Playlist aus, den ich als Erstes hören möchte. Drücke auf Play und schon schallt es aus dem Lautsprecher.

Es mag Menschen geben, die Musik einfach im Hintergrund laufen lassen, ohne ihr eine größere Bedeutung zuzuschreiben und zu diesen muss ich mich selbst ebenso dazuzählen.

Doch genauso oft setze ich es bewusst ein: Ich setze mich hin, achte explizit auf den Text und auf die Melodie. Das sind dann die Momente, in denen ich Gänsehaut bekomme. So wie jetzt. Es fängt am unteren Rücken an, ein leichtes Kribbeln steigt empor bis zu meinen Armen, manchmal auch bis in die Beine und dann stellen sich die Härchen auf. Doch es fühlt sich anders an als die Gänsehaut, die man bekommt wenn man friert. Es ist angenehm.

Vor allem wenn ich spätabends Musik höre, wenn ich bereits im Bett liege, kommt es besonders oft vor. Es hat schon etwas Magisches.

Und Musik hat noch mehr Zauberkräfte. Bei Menschen mit einer Demenzerkrankung. Die Musik aus der Jugend oder Kindheit kann Erinnerungen ausgraben, die ansonsten schon längst verschüttet sind. Die Stücke können teilweise mitgesungen werden, obwohl die Menschen sonst vielleicht nur noch apathisch dasitzen. Das ist nur an guten Tagen und nicht immer möglich, doch es zeigt dennoch die besondere Fähigkeit.

Und wovon wird es ausgelöst? Von nichts als Schwingungen. Schwingungen die von dem Lautsprecher ausgehen, sich dann in der Luft in alle Richtungen verteilen, um schließlich auf mein Ohr treffen. Das nichts anderes macht, als diese Schwingungen weiterzugeben, vom Trommelfell in die Hörschnecke. Wo sie dann in elektrische Impulse umgewandelt werden. Und schließlich ihr Ziel im Gehirn finden.

Etwas, das man nicht sieht, kann uns motivieren, deprimieren, ermutigen, beflügeln. Kann uns helfen, mit schwierigen Situationen klarzukommen und die schönen Augenblicke noch schöner machen. Sie kann uns gedanklich in den Himmel heben oder uns Tränen in die Augen treiben. Uns helfen, uns zu konzentrieren oder dazu einladen, die Gedanken schweifen zu lassen.

Musik ist eine Droge. Ja, das stimmt. Auch, wenn man sich näher anschaut, was sie im Gehirn so alles auslöst. Denn tatsächlich werden dieselben Effekte ausgelöst wie bei einem Drogenkonsum. Und das ganz ohne Nebenwirkungen. Außer vielleicht, dass man mehr möchte. Und dieses "mehr" führt dann wohl zu dieser besagten Dauerbeschallung. Also ist sie nichts weiter als eine logische Konsequenz? Man stelle sich vor, man würde einem Junkie ungehindert Zugang zu der Droge geben, von der er abhängig ist.
Im Grunde ist es nichts anderes. Und doch etwas völlig anderes.

Muss man eine spezielle Art von Mensch sein, um Musik auf diese intensive Weise wahrnehmen zu können oder liegt diese Fähigkeit in jedem von uns und sie ist lediglich verborgen?

Denn ist es nicht erstaunlich, dass Musik den Menschen schon so lange begleitet? Immerhin wurde die erste Flöte vor ca. 40.000 Jahren hergestellt. Das ist eine lange Zeit.

Oder ist Musik einfach mit allem verbunden? Denn wenn Töne nur Schwingung sind, sind wir selbst dann nicht auch ein Teil dieser Musik, so wie alles um uns herum? Immerhin besteht alles aus Molekülen, die schwingen. Steckt Musik also in alles und jedem, zumindest auf eine einfache Art? Können wir uns ihr deswegen so schwer entziehen?

Immerhin gibt es viele Sprichworte, die mit Musik oder Tönen zu tun haben. Etwa "Auf einer Wellenlänge sein" oder "Den richtigen Ton treffen".  Das mag die Wichtigkeit nochmal unterstreichen.

Und ist es nicht faszinierend, dass jeder Ton ein anderes Muster hat, in dem er schwingt? Wenn man Töne sichtbar macht, sieht jeder anders aus. Und zusammen können sie, jeder in seiner Einzigartigkeit, eine wunderschöne Melodie ergeben. Oder eine unharmonische, das kommt auf die Töne an. Im Grunde lässt sich das 1:1 auf die Menschheit übertragen, denn auch sie kann ein harmonisches Gesamtbild ergeben oder einen chaotischen Haufen. Noch eine Verbindung.

Und ist die Musik an sich nicht genauso Vielfältig wie ihre Hörer? Von den sanften Klängen eines Klaviers, einer Harfe oder einer Geige bis zu harten E-Gitarrenriffs lässt sich so ziemlich alles finden. Musik kann akustisch oder elektronisch erzeugt werden. Ja, sogar mit einem Computer kann man Stücke mit wenigen Klicks erzeugen.
Es ist also für jeden Geschmack etwas dabei.

Verrät die Art der Musik etwas über die Persönlichkeit des Hörers?

Zumindest gibt es viele Menschen, die gegenüber bestimmten Musikrichtungen unverrückbare Vorurteile haben.
Ob nun die Rap und HipHop Hörer alle assozial sind, die Metaler alle Satanisten oder diejenigen mit einer Vorliebe für Popmusik langweilig sind. Wohingegen den Klassikhörern eine hohe Intelligenz zugeschrieben wird.

Sind diese Vorurteile gerechtfertigt?, frage ich mich selbst, während das eine Lied ausklingt und ein neues anfängt.
Ich kann nur für mich sprechen. Ich weiß, dass ich manchen Musikrichtungen mehr und anderen weniger zugetan bin, während ich um andere einen großen Bogen mache. Sicherlich wird es jedem so gehen. Doch Vorurteile habe ich keine. Es kommt immerhin immer auf den Menschen an, der hinter der Musik steckt.

Und warum sagt einem manche Musik mehr zu als andere? Woraus entwickelt sich diese Vorliebe für bestimmte Genres und, innerhalb dieser Genres, für bestimmte Musiker oder eine Band oder gar für einzelne Songs?
Warum mag man manche Songs aus seinem Lieblingsgenre nicht, obwohl sie nicht viel anders machen als die eigenen Lieblingslieder?

Ist es die Art, wie genau diese Musiker ihre Musik spielen? Die Art, wie genau jene Sänger singen? Oder der Funke, der überspringt. Oder auch nicht.

Musik prägt uns. So hat man bei bestimmten Liedern immer eine Situation im Kopf, bei der es gelaufen ist.
Sofort fühlt man sich wieder in die Stimmung von damals versetzt.

Musik scheint also tatsächlich alle Zeit zu überdauern und Zeitreisen möglich zu machen.

Doch es soll auch Menschen geben, auf die Musik keinerlei Wirkung hat. Was ist mit ihnen? Sieht ihr Leben anders aus? Ist es trauriger? Weniger Vielfältig? Oder vermissen sie nichts und sind glücklich?

Das sind meine letzten Gedanken, bevor die ersten Takte meines Lieblingsliedes jeden Gedanken unterbrechen.

Die Töne hüllen mich ein und ich lasse mich treiben.

NoëmaWhere stories live. Discover now