Kapitel 4

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Die Dusche half eher mäßig dabei, meine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen, aber zumindest war mir nicht mehr kalt. Ich schnappte mir mein Handtuch und trocknete mich ab. Meine kurzen blonden Haare lies ich lufttrocknen. Nachdem ich mich nicht abgeschminkt hatte, bevor ich unter die Dusche gestiegen war, widmete ich mich dem nun, nur um kurz darauf neues Make Up aufzutragen. Hierbei beließ ich es bei etwas Concealer, Bronzer, Mascara und natürlich meinem geschwungenem Eyeliner. Zum Abschluss trug ich etwas getönte Lippenpflege auf. Skeptisch betrachtete ich mich im Spiegel. Zwar umrandete der Lidstrich meine Augen schön, allerdings wirkten sie matt und traurig. Das war ich auch, allerdings war mit aufgetragenem Make Up die Möglichkeit zu weinen erstmal verstrichen. Zumindest redete ich mir dies ein. 

Ich haderte nicht lange mit meinem Outfit, ich warf mir eine schwarze, zerissene Skinny Jeans und einen, ebenfalls schwarzen, gerippten Rollkragenpullover über. Dazu trug ich meine Doc Martens mit Rosenmuster und meinen langen olivgrünen Mantel. Meine blonden, welligen Haare ließ ich offen. Ich hatte noch eine Stunde Zeit. Diese verbrachte ich mit einem frischen Kaffee und meinen Zigaretten auf dem Balkon. 

Nervös blickte ich auf mein Handy. 16:25 Uhr. Ich musste los. Zittern streifte ich mir meine goldenen Ringe über die Finger, schnappte mir Handy, Schlüssel und Zigaretten und ließ sie in meine Jackentasche gleiten. Ich stieg die Treppen herab und öffnete die Haustür. Wieder kam mir die kalte Winterluft entgegen, und es begann schon zu dämmern. Ich entriegelte mein Auto, schwang mich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Bald schon fing die Heizung an, mir warme Luft entgegen zu blasen. Gekonnt parkte ich aus und fuhr die Straße hinab, um kurz darauf mein Heimatdorf zu verlassen. Die komplette Fahrt über zitterten meine Hände und mein linkes Bein, eine alter Tick von mir, wenn immer ich nervös war. Ich drehte die Musik auf volle Lautstärke und ging in meinem Kopf noch einmal durch, wie ich dieses Gespräch beginnen sollte. Ich wollte nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen, aber trotzdem wusste ich, dass die erste Frage, die ich ihr stellen wollte, war, wieso sie einfach so gegangen war. Mich einfach so alleine gelassen hatte. Ohne ein Wort des Abschieds, ohne jemals auf meinem Brief, in dem ich mich bedankt hatte, zu antworten. Warum sie sich nie wieder gemeldet hatte, ob ich ihr wirklich so egal war, und sie mir ein Jahr lang nur etwas vorgespielt hatte. Ob ich irgendetwas falsch gemacht hatte. Ich war so verdammt jung. Viel zu jung, um so eine Last tragen zu müssen. 

Ich bog links ab und bremste runter. Ich war in der Straße, die zur Schule führte. Von weitem konnte ich die Umrisse des Gebäudes in der Dämmerung ausmachen. Ich rutschte nervös auf meinem Sitz hin und her. Ich war zu früh, auch das noch. Bei meiner zeitlichen Berechnung, hatte ich nicht bedacht, dass ich viel zu schnell fahren würde. Ich blinkte links und fuhr auf den Parkplatz der Schule. Es waren nur noch vereinzelte Autos hier, vermutlich Lehrer die länger arbeiteten. Ihr Auto konnte ich jedoch nicht sehen, oder sie fuhr mittlerweile ein anderes als vor 4 Jahren. Ich stellte den Motor aus, atmete tief durch und stieg aus. Sie war tatsächlich noch nicht hier, aber ich war auch fast zehn Minuten zu früh. Ich lehnte mich an meine Fahrertür und zündete mir eine Zigarette an. Gedankenverloren atmete ich den Rauch ein und nach ein paar Zügen, fuhr ein Auto auf den Parkplatz. Es war tatsächlich der selbe Skoda Octavia, welchen sie auch damals schon fuhr. Sie parkte genau neben mir und stieg aus. Auch sie war sichtlich unruhig. Langsam ging sie auf mich zu und begrüßte mich mit einem vorsichtigen Lächeln und einem leisen ,,Hey du.''. Ich konnte nicht lächeln und beließ es bei einem ,,Hey.''. 

,,Sollen wir wo hin, wo wir in Ruhe reden können?''. Ich nickte. ,,Wir können auf den Parkplatz oben im Wald. Steigen Sie ein, ich nehme Sie mit.'' Es waren nur drei Minuten Fahrt und mit zwei Autos zu fahren, machte keinen Sinn. Zögernd nickte auch sie und öffnete die Beifahrertür. Die Fahrt verlief still. Die wenigen Minuten fühlten sich wie Stunden an, wir schwiegen uns an und waren in unangenehme Stille gehüllt. Oben angekommen stellte ich das Auto so ab, dass wir vom Parkplatz direkt auf die Stadt unter uns sehen konnten. Es vergingen weitere zwei Minuten ohne, dass jemand etwas sagte. Dann fing sie ganz plötzlich an zu sprechen. ,,Faye, es tut mir leid.'' Das saß. Sie wusste also, dass sie etwas falsch gemacht hatte. Sofort schossen mir Tränen in die Augen und ich musste mich zwingen, ihr nicht sofort alles um die Ohren zu werfen, was sich in mir aufgestaut hatte. Also antworte ich leise und mit zitternder Stimme ,,Was genau tut Ihnen leid? Dass sie mich als fünfzehn Jährige einfach alleine gelassen haben, ohne ein Wort des Abschieds?'' Ich biss mir auf die Zunge und schluckte schwer. Ich hatte sie schon wieder überfordert aber es war mir in dem Moment schlichtweg egal. ,,Ich... Ich... es... ich weiß nicht was ich sagen soll.'' Sie stotterte. ,,Bevor wir dieses Gespräch anfangen, nenn mich bitte Angelina. Ich finde, so fair sollte ich sein. Schließlich soll das hier auf einer Augenhöhe passieren.'' Auch dieses Mal konnte ich mir mein Lachen nicht verkneifen. Ich klang verbittert, aber das war wohl das unpassendste, was sie hätte sagen können. Ich sollte sie duzen. Jetzt auf einmal waren wir auf Augenhöhe. Sie sah mich erstaunt an. ,,Hab ich etwas Falsches gesagt?'' Ich schüttelte langsam den Kopf. Weniger, um ihre Aussage zu verneinen, sondern eher aus Ungläubigkeit. ,,Also gut, Angelina.'' Ihren Namen betonte ich scharf. ,,Sie... Du hast keine Ahnung, wie lange ich mir gewünscht habe, dich nochmal zu sehen. Um endlich Antworten auf alle offenen Fragen zu bekommen. Und jetzt sitze ich hier, und wünsche mir, ich hätte dich heute morgen nicht getroffen. Ich habe mir dieses Gespräch so lange in meinem Kopf ausgemalt, und jetzt passt keine einzige Situation, die ich mir ausgedacht habe, zu diesem Moment. Ich bin so unfassbar wütend. Und das immer noch, seit Jahren. Hast du irgendeine Ahnung, wie es mir ging, nachdem du einfach gegangen bist? War ich dir wirklich so unfassbar egal, dass du mich einfach aus deinem Leben streichen konntest, ohne zu wissen, dass ich irgendeinen Halt gefunden habe? Ich war fünfzehn, verdammt nochmal. FÜNFZEHN!'' Gegen Ende wurde meine Stimme lauter und bebte, also stoppte ich abrupt. Ich war wütend, ja, aber ich wollte sie nicht anschreien. Schnell wischte ich mir eine Träne weg, die heimlich ihren Weg auf meine Backe gefunden hatte. Sie drehte sich zu mir und sah mich an. Mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. Sie schwieg. Und selbst nach einer Minute, die sich zog wie eine Stunde, schwieg sie immer noch. ,,Sag was. BITTE sag was, irgendwas.'' Ich klang verzweifelt, auch wenn ich geflüstert hatte. 

Sie holte tief Luft und begann zu sprechen. ,,Ich habe es schon einmal gesagt. Aber es tut mir leid, wirklich. Ich habe Mist gebaut. Großen Mist.'' 

,, Bitte erkläre es mir. Bitte sag mir, ob ich Recht damit hatte, all die Jahre an mir selbst zu zweifeln.'' Sie legte ihren Kopf zur Seite und sah mir in die Augen. Dieses Mal sah ich nicht weg, sondern hielt ihrem Blick Stand. 

,,Ich hätte dich niemals einfach so alleine lassen sollen.''

UnendlichkeitWhere stories live. Discover now