Kapitel 2

15 0 0
                                    


Ich hatte geflüstert, doch sie hatte mich sofort gehört. 

Ich wusste nicht, wie ich mit all dem umgehen sollte. Mein einziges Ziel war es, für mich selbst abzuschließen. So lange hatte ich dafür gearbeitet, zu akzeptieren, dass ich niemals Antworten auf all meine Fragen bekommen würde. Heute sollte den letzten Schritt markieren, den ich gehen musste, um endlich meinen inneren Frieden zu finden. Ich tat das für mich allein.Und so oft wie ich mir gewünscht hatte, jahrelang und immer wieder, sie noch einmal zu sehen, so wollte ich gerade einfach nur rennen und fliehen, so wie damals. Nur dass ich heute vor ihr und nicht mir selbst fliehen wollte. Aber da stand sie. Direkt vor mir und musterte mich mit ihren blauen Augen.

Sie trug immer noch eine Brille mit goldenem Rahmen, so wie damals, die ihre Augen noch mehr strahlen ließ als sowieso schon. Auch ihre Wangen waren von der Kälte gerötet. 

Ich bereute es, ihr hinterhergelaufen zu sein. Ich hätte die Vergangenheit Vergangenheit lassen sein sollen. Endlich abschließen. Leider hatte ich jegliche rationale Fähigkeit zu handeln verloren, als ich sie gesehen hatte. Mein Körper rannte von selbst. Nun aber beschloss ich, dem Drang zu rennen zu widerstehen. Auch wenn es jetzt gerade das Bedürfnis war, vor ihr wegzulaufen und nicht ihr hinterher, wie noch vor wenigen Sekunden. 

Noch immer sah sie mich an. Ihre Augen blitzten auf. Innerlich musste ich einen kleinen Moment des Triumphes unterdrücken. Sie dachte gerade scharf nach, wer ich war, was nur dafür sprach, dass ich mich die letzten Jahre tatsächlich verändert hatte und ich nicht mehr der Teenager von früher war. Ich sah gut aus heute, mein blonder Bob schmiegte sich wellig um mein Gesicht, meine mittelblauen Augen waren von einem perfekt geschwungenem Eyeliner umrandet und meine Lippen leuchteten hellrot. Ich verkniff mir ein Grinsen, als ich daran dachte, wie anders ich damals ausgesehen haben musste. Zwar war ich auch damals naturblond, jedoch reichten mir meine Haare fast bis zur Hüfte. Zeitweise hatte ich meine Haare dunkelbraun gefärbt, war jetzt jedoch wieder bei meiner Naturhaarfarbe angekommen. Mein Gesicht war definierter und kantiger als damals, ich hatte bestimmt 15 Kilo abgenommen, nicht bewusst, ich war nie dick, allerdings machte ich viel Sport und hatte gelernt, intuitiv zu essen. Das ging natürlich an meiner Gesichtsform nicht spurlos vorbei. Ich war drahtiger als damals, trainierter und erwachsener. Ich wusste, wie ich mich kleiden musste. Ich sah an meiner weiten Lederhose hinunter, die nur die Spitzen meiner Stiefeletten erkennen lies. Ich trug einen weißen, langärmligen Body und eine weiche, graue Jacke mit Karomuster. 

Es fühlte sich an wie Stunden, allerdings waren nur Sekunden vergangen, seit sie auf dem Absatz kehrt gemacht hatte und sich zu mir wand, weil ich ihren Namen gesagt hatte. Fragend sah sie mich an, öffnete ihren Mund und schloss ihn gleich darauf wieder. Gerade, als ich ihr auf die Sprünge helfen wollte, vernahm ich ein unsicheres ,,Faye?''. Langsam nickte ich. Hörbar atmete sie aus. Ich versuchte ihrem Gesicht zu entnehmen, was sie dachte, doch ich konnte ihren Ausdruck nicht deuten. 

,,Was... was machst du hier?''. ,,Das Gleiche könnte ich Sie auch fragen.'' antwortete ich schärfer als beabsichtigt. Ich biss mir auf die Zunge, das sah mir gar nicht ähnlich. Allerdings wirbelte dieses Treffen so viel in mir auf, dass ich es mir nicht verübeln konnte, so zu reagieren.

Meine harte Antwort verunsicherte sie sichtlich. Sie schluckte und grub ihre Hände tiefer in die Taschen ihres Mantels. ,,Ich hatte ein paar Dinge zu erledigen hier. Und ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen.'' Sie seufzte. ,,Nach 4 Jahren? Ich hatte auch nicht gedacht, sie hier zu sehen. Tatsächlich hatte ich nicht gedacht, Sie jemals wieder zu sehen.'' Die Schärfe und Wut in meiner Stimme waren deutlich. Ich wusste nicht, was mich ritt, ihr so ehrlich meine Meinung an den Kopf zu werfen, aber es hatte sich so lange in mir angestaut, und wer wusste, ob ich diese Chance jemals wieder bekommen würde. Ihre Augen wurden groß und sie war klar überfordert. Ich konnte erkennen, dass sie etwas sagen wollte, allerdings verließen keine Worte ihren Mund. 

Ich atmete tief ein und begann zu sprechen. ,,Tut mir leid, das war vielleicht ein bisschen hart. Ich wollte Sie nicht so überfahren.'' Sie lächelte traurig, das erste Lächeln von ihr, dass ich seit 4 Jahren zu sehen bekam. Ich merkte, wie meine Hände zu zittern begannen. Ich brauchte eine Zigarette. Mir war bewusst, wie sehr sie das verachtete, aber es war mir egal. Sie war nicht Schuld daran, dass ich angefangen hatte zu rauchen, das war ich selbst, aber sie war definitiv einer meiner Gründe. Geschickt zog ich eine Kippe aus meiner Tasche, zündete sie an und drehte meinen Kopf zur Seite, um sie nicht direkt anzurauchen. Ich senkte meine Hand und sah ihren skeptischen Blick. ,,Schon okay. Ich versteh dich schon. Aber sag mal, seit wann rauchst du denn?''. Ich lachte bitter auf und sie sah mich erschrocken an. Dieses Mal konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. ,,Ziemlich genau seit Sie weg sind.'' Ihre Augen wurden noch größer. 

,,Frau Klaas, ich will Sie nicht überfordern. Ich dachte ich sehe Sie nie wieder. Aber jetzt wo Sie schon mal hier sind, würde ich Sie gerne ein paar Sachen fragen.'' Verdammt, wo kam das denn her? Sie versuchte sich zu sortieren. ,,Ja... Ich... Ich denke, da ist vielleicht etwas Redebedarf. Aber ich brauch ein bisschen Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Wie schon gesagt, ich war nicht darauf gefasst, dich hier zu treffen.'' 

,,Das ist okay, ich glaube ich auch.'' Wieder atmete sie tief durch. Ich konnte hören, wie ihre Gedanken arbeiteten. ,,Wie wäre es, wenn wir uns heute um fünf wieder hier treffen?'' bat sie mir an. Ich war maßlos überfordert mit der ganzen Situation, mir ging das alles zu schnell. Aber das war vermutlich meine eine Chance, Antworten zu bekommen, die ich schon längst aufgegeben hatte. Ich warf meine halb gerauchte Zigarette achtlos auf den Boden und trat sie aus. ,,Okay. Dann sehen wir uns heute Abend.'' Sie wollte mir gerade antworten, aber ich war schon losgelaufen und ließ sie einfach stehen. Ich eilte zu meinem schwarzen BMW, entriegelte ihn und fiel auf den Fahrersitz. Schnell startete ich den Motor, parkte aus und fuhr viel zu schnell vom Parkplatz. Im Rückspiegel konnte ich erkennen, dass sie immer noch dort stand, wo ich sie zurückgelassen hatte. Erst als ich nach rechts abbog und Gas gab, begann sie, langsam loszulaufen. 

Was war gerade passiert? 

UnendlichkeitWhere stories live. Discover now