Chapter 8: Dirty wings

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Freitag. Anfang Wochenende.
Normale Leute freuten sich auf das Wochenende, doch Nellio tat es nicht. Er hasste es.

Am Wochenende war er die meiste Zeit zuhause. Er versuchte so viel wie möglich diesen Ort zu umgehen, aber trotzdem bekam er dann doch irgendwann Mal Hunger und wenn er Glück hatte, arbeitete seine Mutter an dem Tag, also konnte er sich auch risikofrei im Haus aufhalten.

Sie arbeitete in einer Bar. Für die Arbeit war sie sogar so nüchtern, dass sie normale Gespräche führen konnte. Doch Richtung Schichtende betrank sie sich für gewöhnlich nochmal richtig und schleppte dann irgendwelche Typen ab.
Nellio bekam manchmal mit, wie sie sich für die Aktivitäten, die sie dann mit den Männern trieb, bezahlen ließ. Er schämte sich sehr für seine Mutter. Früher war sie nie so gewesen und er vermisste seine wirkliche Mom.

Mehrfach wurde sie jetzt schon von der Arbeit verwarnt. Es war quasi nur eine Frage der Zeit, bis Nellio sich um seinen und ihren Unterhalt kümmern musste. Durch ein Bewerbungsgespräch würde sie definitiv nicht mehr kommen und lieber verbrachte Nellio seine Freizeit mit arbeiten, bevor seine Mutter in einem Puff landete.

Nellio sammelte die leeren Flaschen vom Boden auf, während er in Richtung Küche ging, um sich etwas zum Abendessen zu machen.
Die Arbeitsschicht seiner Mutter würde heute bis drei in der Früh dauern. So lange hatte er frei.
Die leeren Flaschen stellte er in einen großen Karton in der Küche, der schon gut gefüllt war. Er würde ihn bei Gelegenheit wegbringen.

Die Küche sah im großen und ganzen aus, wie ein reines Schlachtfeld. Alles war vollgestellt mit leeren Getränkedosen und Flaschen, das Geschirr lag überall herum, halb zerbrochene Gläser standen auf dem Küchentresen.

Nellio müsste es eigentlich schon längst aufgegeben haben, diesen Saustall aufräumen zu wollen, doch trotzdem fing er an das dreckige Geschirr zusammenzusuchen und an die Spüle zu stellen. Er schmiss die kaputten Gläser weg, spülte ab und räumte gleich die sauberen Teller und das Besteck wieder ein. Erst dann suchte er sich etwas zu essen.

Seine Mutter bestellte meist Pizza und stellte die Reste einfach in den Kühlschrank. Nellio bediente sich daran. Immer Pizza war zwar auch nicht gesund, aber besser als gar nichts.

Er war gerade dabei sich drei stücke Salamipizza auf seinen Teller zu verfrachten, doch als er ein polterndes Geräusch aus Richtung Haustür hörte, hielt er in seiner Bewegung inne. Ihm blieb sein Herz in der Brust stehen.
Warum war sie schon wieder da? Hatte sie heute früher Schluss? Wurde sie jetzt endgültig gekündigt?

Jetzt musste es schnell gehen. Er musste zur Flucht ansetzen. Gedämpft hörte man Stimmen vor der Tür; ziemlich betrunkene Stimmen und das Klimpern eines Schlüssels.

Nellio lies alles stehen und liegen und stürmte aus der Küche, in den Gang raus. Die Treppe, die in den ersten Stock ging war ganz in der Nähe der Haustür, doch Nellios Zimmer befand sich im Obergeschoss, also musste er da hin.

Er war auf gut der Hälfte des Ganges, als die Haustür aufsprang und seine Mom durch die Tür stolperte. Wie angewurzelt blieb Nellio stehen und sah seine Mutter aus großen Augen an. Er wusste, was ihn jetzt erwarten würde und er würd nichts lieber tun, als das zu umgehen.

"Wer ist das?", lallte ein Mann, der hinter seiner Mutter auftauchte. Er war groß, gut gebaut, hatte ganz kurzes Haar und er war hackedicht.

Nellio schluckte. Es kam bisher nicht oft vor, dass sich die Mitbringsel seiner Mutter auch an ihm vergreifen wollten, aber trotzdem hatte er immer wieder Angst vor den Typen, die zu Besuch hier waren.

"Niemand besonderes", antwortete Nellios Mutter und auch, wenn er wusste, dass sie betrunken war, tat es ihm trotzdem weh das zu hören.
Er war nichts Besonderes für seine eigene Mutter.

Er wollte jetzt am liebsten irgendwo weit weg von hier sein.

Seine Mutter ging auf ihn zu.
Er war in einer Art Starre, konnte sich nicht bewegen. Es fühlte sich alles so unecht an.
Aus diesem Zustand wurde er wieder gerissen, als ihn seine Mutter grob am Arm packte.

Nellio war siebzehn, also theoretisch größer und stärker als seine betrunkene Mom, doch wenn es zu diesem Punkt kam, fühlte es sich immer wieder so an, wie beim ersten Mal. Als wäre er wieder der kleine, dreizehnjährige Junge, dessen Vater gerade abgehauen war, dessen Mutter zu viel Alkohol trank, der sich gerade das Bein gebrochen hatte und alle seine Freunde verloren hatte.

Nellio wehrte sich gar nicht richtig, als er durch den Gang geschliffen wurde, eine ganz bestimmte Türe aufgemacht wurde und ihn seine Mutter hineinschubste.

"Wehe du machst Lärm", fauchte sie, bevor sie die Tür zuschlug.

Der Keller. Kalt, nass, ungemütlich, dunkel. Es gab kein Licht, nur ein kleines, verstaubtes Fenster, das schon hier und da zerbrochen war. Die Türe ließ sich nur von außen öffnen, innen war kein Türgriff eingebaut. Die Betontreppe runter war steil und rutschig.

Oben auf der ersten Stufe wollte er nicht bleiben. Dort konnte er noch besser hören, was seine Mutter und ihr Besuch trieben und wenn tatsächlich wieder einer ihrer Typen auf die Idee kommen würde, zu Nellio in den Keller zu kommen, wollte er nicht direkt auf der ersten Stufe wie auf dem Präsentierteller sitzen.

Auf zittrigen Beinen ging er die Treppen runter und setzte sich in sein Versteck zwischen dem großen Karton mit der Weihnachtsdekoration und der kalten Steinwand.
Vor einiger Zeit hatte er einen leeren Karton zerlegt und benutzte diesen als eine Art Unterlage, damit es nicht ganz so kalt war.

Er zog die Beine an seinen Körper, umschlang diese mit seinen Armen und starrte an die Treppe.
Von oben hörte man Gepolter und Töne, die man von seiner Mutter nicht wirklich hören wollen würde. Bei jedem Geräusch zuckte Nellio wieder zusammen.

Ruhe würde er hier unten auf keinen Fall finden, genau so wenig wie Schlaf. Dafür hatte er viel zu viel Angst. Die Kälte und der Hunger waren da nur nebensächlich.

In dem Moment wünschte er sich so sehr, dass Fionn hier bei ihm wäre.
Nellio brauchte seine Wärme, seine Sicherheit, seine Gesellschaft. Mit ihm würde er sich nicht wieder so alleingelassen und unwichtig fühlen.

Er brauchte Fionn.
Ironisch, dass Fionn der war, der ihn als erstes, vor allen anderen, verlassen hatte.
Doch im Moment streifte dieser Fakt nicht Mal seine Gedanken. Er wollte einfach bei ihm sein.

Come as you are (boyxboy)Where stories live. Discover now