Vielmehr war es sein jugendliches Gesicht, das ihn so jung wirken ließ.

Beomgyu stand am Bug der Jacht und versuchte, etwas an der Oberfläche des Meeres auszumachen. Mit zusammengekniffenen Augen und den Händen an der Reling stand er da, doch trotz der Brille auf seiner Nase verursachte das schwankende Wasser Übelkeit in ihm und Beomgyu konnte durch den schweren Alkoholzustand nur schwer etwas sehen. Entschlossen stieg er auf die unterste Stange und beugte sich so weit wie möglich darüber.

Und dann sah er es – die schwarze, lange Rückenflosse eines Orcas, begleitet vom charakteristischen Pfeifen bei jedem Atemzug.

Es war ein unglaublich intensiver Moment.

Als hätte er ein Wunder der Natur gesehen, eines, das man nur höchst selten zu Gesicht bekam. In seinem Staunen weiteten sich Beomgyus Augen, er sehnte sich danach, noch mehr davon zu sehen, tiefer in die faszinierende Welt der Meeresbewohner einzutauchen.

Er wollte sie noch einmal in der glitzernden Decke verschwinden sehen. Sie vom Nahen betrachten.

Beomgyu beugte sich vor Neugierde so weit über das Geländer, dass seine langen Beine bereits in der Luft hingen. Der Alkohol und der Wellengang, der durch das Tier stärker geworden war, ließ ihn würgen. Mit einer Hand vor dem Mund, um das Würgen zu unterdrücken, ließ er das Geländer los. Doch in dem Moment, als er sich nur noch mit seiner linken Hand abstützte, gab sie plötzlich nach, und Beomgyu stürzte kopfüber über das Geländer.

Sein Fall war kurz, das Platschen wurde jedoch von der Musik verschlungen.

Keiner hatte ihn fallen sehen.

Keiner hatte bemerkt, wie dieser Junge rasend schnell in die Tiefe fiel und im Wasser verschwand.

Alles hörte sich dumpf an, vielleicht lag es auch an dem Schmerz, der sich in seinem Kopf ausbreitete und Beomgyu daran hinderte, den Mund geschlossen zu halten. Alles, was er hören konnte, war das Rauschen in seinen Ohren, das Blubbern der Luftblasen, die aus seiner Lunge entwichen.

Und das Quietschen der Schwertwale erfüllte die Luft. Sie waren unglaublich nah herangekommen, angelockt von dem Aufruhr, den Beomgyu im Wasser verursachte.

Er strampelte, verlor dadurch sogar seine Sehbrille. Wenn er nach oben blickte, konnte er nur schwach die Lichter des Bootes erkennen. Das Wasser, das ihn umgab, verteilte das Licht überall. Blau mischte sich mit dem Gelb und wurde zu einem grellen Grün. Das Salz des Meerwassers brachte Beomgyus Augen zum Brennen und somit war das Letzte, was er sah, bevor er die Augen schloss, der Schwanz eines Orcas. Beomgyu konnte sein kurzes, einundzwanzigjähriges Leben wie einen Film vor sich abspielen sehen und hatte sich bereits mit seinem bevorstehenden Tod abgefunden, als plötzlich zwei Hände sein Gesicht umfassten. Er öffnete seine Augen nur leicht, doch aufgrund seiner beeinträchtigten Sicht und dem brennenden Salzwasser konnte er nicht viel erkennen, außer den Umrissen eines Menschen.

Da war aber noch etwas.

In dem Gesicht seines Gegenübers, dort wo seine Augen waren, strahlte ein so intensives Blau, das selbst das Meer nicht erreichen konnte. Aber Beomgyu hatte nicht viel Zeit, diese funkelnden Saphire zu bewundern, schließlich fühlte es sich für ihn an, als würde sich seine Lunge immer mehr mit Wasser füllen, als wäre er gerade dabei zu ertrinken.

Und dann beugte sich die Person vor, ihre Lippen verschlossen in einem innigen Kuss, während im Hintergrund das Quietschen und Knacken der Orcas in ohrenbetäubender Lautstärke erklang. Ein eiskalter Schauer zog sich über Beomgyus ganzen Körper, noch kälter als das Wasser um ihn herum. Seine Haut fühlte sich taub an und ein Kribbeln zog sich durch seine Brust. Ein Gefühl kam auf, als könnte er fliegen und in ihm Wolken wachsen. Sie breiteten sich in seinem Magen aus, wanderten in seine Lunge und saugten das Wasser auf wie ein Schwamm. Sein geöffneter Mund füllte sich nicht mehr und aus dem erstickenden Gefühl entstand Freiheit.

Schließlich wurde Beomgyu nach oben gedrückt, aber es war nicht die Person, die ihm bis zur Wasseroberfläche half. Es war der größte Schwertwal der Gruppe, welche die menschliche Gestalt ablöste und Beomgyu mit der Nasenspitze voran nach oben brachte.

Bis er schließlich auftauchen konnte.

In genau diesem Moment vernahm er die panische Stimme seines besten Freundes Choi Soobin: »Verdammt, Beomgyu! Was machst du da?!«, rief er aus, hüpfte ohne zu zögern über die Reling zu seinem Kumpel ins Wasser, um ihn zu stützen. Soobin wusste, wie viel der junge Mann mit dem hellen Haar schon getrunken hatte. »Halt dich an mir fest!«, sagte der um ein Jahr ältere Junge.

Von oben blickten nun mehrere Köpfe nach unten, bis einer schließlich einen Rettungsring hinunterwarf, an denen sich die beiden festhalten konnten.

Laute Rufe drangen in Beomgyus Ohren, doch sie klangen wie entfernte Echos, verschwommen und unverständlich. Die Worte wurden von der Flut der Erschöpfung und des Schocks verschluckt. Er fühlte die Schwere seiner Knochen, als ob sie mit Blei gefüllt wären, und jeder Muskel schien gegen ihn anzukämpfen. Dennoch kämpfte er gegen den verlockenden Sog des Schlafes an, der ihn in seine Arme zu ziehen drohte. Er fühlte sich, als hätte man ihm all seine Kraft entzogen. Soobin runzelte besorgt die Stirn und hielt Beomgyu fest, um ihn vor erneutem Untergehen zu schützen. Gemeinsam mit zwei anderen Jungs kämpften sie darum, Beomgyu zurück auf die Jacht zu bringen. Sie legten ihn vorsichtig auf den Boden, während Soobin an seiner Seite kniete und sich das blaue Haar aus dem Gesicht strich. »Beomgyu? Kannst du mich hören?«, wollte der Hüne wissen, voller Sorge, weil Beomgyu beinahe ertrunken wäre.

Seine langen, zitternden Finger legte er immer wieder auf dessen Schultern, um an ihm zu rütteln, und als einige qualvolle Sekunden vergangen waren und sich mehrere Jugendliche um ihn versammelt hatten, schnappte Beomgyu nach Luft.

Doch er spuckte keinen Tropfen Wasser aus.

Seine Kehle war trocken.

Mit einer belegten Stimme fragte Beomgyu: »Was ...«, seine tiefe Stimme zitterte vor Verwirrung, er konnte einfach nicht begreifen, was gerade passiert war. Er konnte das Ganze nicht richtig realisieren und griff sich verwirrt an den Hals. Als würde er darin einen Knoten spüren. »Was war das?«

»Was war was?«, fragte Soobin verwirrt, seine Augen zuckten über Beomgyus Gesicht. »Du bist beinahe ertrunken!«

Verwirrt schüttelte Beomgyu den Kopf.

»Da war was. Da war jemand, der mich wieder hochgezogen hat.« Er konnte schwören, dass er sich an die Gestalt mit den funkelnden blauen Augen erinnern konnte. Doch wie sie genau ausgesehen hatte, wusste er nicht. Seine Erinnerung wirkte verschwommen wie eine Blase, in der sich die Ereignisse nur schwer greifen ließen. Fragmente tauchten vor seinem inneren Auge auf, aber sie waren verzerrt und unklar, als ob sie von einer unsichtbaren Kraft verzerrt wurden.

Verwirrt blickte Soobin hinaus auf das Meer.

Doch er konnte nichts erkennen, was darauf hindeuten könnte, dass da draußen jemand war.

»Okay, Buddy. Da ist niemand mehr«, meinte Soobin und half Beomgyu dabei, sich aufzusetzen. »Was hältst du davon, wenn wir dich nach Hause bringen?«

Schwer atmend blickte Beomgyu von links nach rechts. »Ja, das wäre wohl besser.«

Für heute hatte er genug getrunken.

Für heute hatte er genug getrunken

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