Kapitel 48 - Er muss krank sein

15.1K 1.1K 34
                                    

Ich presse meine Zähne aufeinander und wende meinen Blick zu meinem Vater. Er steht wie ein Häufchen Elend in der Küche und sieht auf den Boden.

"Ich dachte nicht, dass du es so schwer aufnimmst." Er seufzt und setzt sich an den Tisch.

Meine böse Miene schwindet, denn ich möchte nicht, dass Dad sich wegen mir schlecht fühlt. Ich verstehe zwar nicht, wieso er sie hier her geholt hat, aber das sollte keine Barriere zwischen uns aufbauen. "Dad", seufze ich leise und setze mich ihm gegenüber an den Tisch. "Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich diese Frau in meinem Leben haben möchte."

Dad stemmt den Kopf in die Hände. "Ich weiß. Aber ich dachte vielleicht... ich weiß nicht was ich dachte. Vielleicht, dass wir eine normale Familie werden könnten."

"Wir sind eine normale Familie. Nur, weil wir allein sind, heißt es nicht, dass wir keine normale Familie sind. Oder bist du etwa unglücklich?"

Er wischt sich durchs Gesicht und sieht mich an. Seine Augen sehen sehr müde aus. "Doch, ich bin glücklich. Ich habe nur manchmal das Gefühl, dass etwas fehlt und ich dieses Loch, was deine Mut - Margret hinterlassen hat, stopfen sollte. Dann habe ich sie zufällig wieder getroffen und ich dachte, dass es vielleicht ein Zeichen ist, sie wieder in unser Leben einzubinden. Ich meine, ich weiß, dass sie wirklich viele schreckliche Dinge getan hat, aber ich habe ihr verziehen."

Bei den letzten Worten wünschte ich, ich hätte gar nicht hingehört. "Ich kann ihr nicht verzeihen."

"Das solltest du."

"Kommt gar nicht in Frage", ich werde wieder aufgebrachter. "Wie kannst du einer Frau verzeihen, die dich jahrelang betrogen, dein ganzes Geld geklaut und bei jeder Arbeitsstelle dafür gesorgt hat, dass du deinen Job verlierst? Dad, wir haben Qualen gelitten und gehungert, wegen ihr!" Und all das stimmt. Mein Vater und sie waren sieben Jahre verheiratet und sie hat ihn Monat um Monat mit anderen Typen betrogen. Und er hat nichts dagegen getan, er hat es einfach über sich ergehen lassen, weil er sie liebte. Dann, als sie uns verlassen hat, um mit irgendsoeinem anderem Mann durchzubrennen, hat sie all das ersparte Geld meines Vaters geklaut, das er für mein College zusammengespart hat - genau wie alle Wertsachen - und ist einfach abgehauen. Wir hatten rein gar nichts mehr. Mein Dad und mein sechsjähriges Ich. Das waren die schrecklichsten Jahre meines Lebens. Dazu kam noch, dass meine Mutter jedes Mal wieder rausgefunden hat, wenn mein Vater sich bei einem Job beworben hat und sie ist immer aufs Neue dort hingefahren und hat den Arbeitgebern Lügen über meinen Vater erzählt, damit sie ihm den Job abschlagen. Als ich elf war, hat mein Vater mir erzählt, dass meine Mutter schon immer ein starkes Alkoholproblem hatte und sie deshalb so ist und sie eigentlich gar nichts dafür kann. Wir haben in einer total runtergekommenen Wohnung gewohnt und haben von Staatsgeld gelebt. Wir hatten rein gar nichts. Und das, das will mein Vater meiner Mutter verzeihen? Er muss krank sein.

"Ich will einfach nur diesen Hass verschwinden lassen, Ravely", sagt mein Vater leise.

"Selbst wenn ich ihr verzeihen würde, kann sie das was geschehen ist nicht rückgängig machen."

"Ja, das kann sie nicht, aber wir können wenigstens versuchen miteinander auszukommen. Wenigstens um dir das Gefühl zu geben, dass du auch sowas wie eine Mutter hast. Ich weiß doch, dass du darunter gelitten hast, dass du keine hattest... oder halt nur so etwas."

Ich kneife die Augen zu und beiße mir auf die Lippe. Ja, ich habe darunter gelitten, das bedeutet aber trotzdem nicht, dass ich jetzt so etwas brauche. Ich werde niemals zu ihr eine Bindung aufbauen können, die auch nur ansatzweise einer Mutter-Kind-Beziehung gleicht. Dafür ist zu viel geschehen. "Ich möchte nicht mehr darüber reden. Ich will nur noch in die Dusche und dann zu Scar's Geburtstag gehen. Und erwarte bloß nicht von mir, dass ich auch nur ein Wort mit Margret reden werde."

Dad nickt und lächelt leicht, aber das Lächeln erreicht seine Augen nicht. "Lass uns erstmal etwas essen, sonst wird die Lasagne kalt."

"Okay."

Während dem Essen reden Dad und ich kaum, das setzt mir ziemlich zu. Margret hat sich zwar die ganze Zeit nicht mehr blicken lassen, aber trotzdem ist die Situation zwischen uns sehr angespannt. Und daran ist allein sie Schuld. Ich kann eigentlich noch kaum glauben, dass sie auf einmal wieder aufgetaucht ist. Seit ich zwölf war, habe ich sie nicht mehr gesehen und plötzlich sitzt sie hier am Tisch und tut so, als wäre nie etwas gewesen. Als wäre sie nicht der Teufel höchstpersönlich.

 Nachdem wir gegessen haben, gehe ich in mein Zimmer - das noch genau so aussieht, wie bevor ich es verlassen habe - und schmeiße mich seufzend in mein Bett. Ich entschließe den Gedanken an Margret und Dad beiseite zu schieben und schreibe Scar eine Nachricht, dass ich angekommen bin und wann die Feier startet. Eigentlich mag ich solche großen Geburtstagsfeten nicht. Vor allem die von Scar. Scar hat unendlich viele Freunde und davon sind genug dabei die null Ahnung haben, wie man sich benimmt. An ihrem letzten Geburtstag hat mir irgendsoeine Freundin von ihr auf die Schuhe gekotzt und mich danach auch noch angepöbelt. Im Großen und Ganzen weiß ich jetzt schon, dass der Geburtstag reine Folter wird. Aber es ist eine gute Ablenkung von all dem hier Zuhause. Ich hoffe, dass ich im betrunken Kopf zu Margret ins Zimmer gehe und ihr ins Gesicht reier. Von dem Gedanken muss ich grinsen.

Hearts Collide Where stories live. Discover now