Sayonara, letzte Hirnzelle

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Es braucht ein paar Sekunden und einiges an Öffnen und Schließen ihres Mundes, bevor sie ein paar Worte rausbekommt. „Das ist... eine sehr spezifische Frage." Er nickt. „Und ich will eine sehr spezifische Antwort- Mir ist langweilig." Die violetten Augen gehen zu dem Werwolf, der sich aber nur die Schläfe reibt und fertig mit allem aussieht. Ohje, sie kann sich vorstellen dass so etwas wohl auch die gesamte Zeit abgelaufen ist als sie geschlafen hatte. Er kann ihn aber auch nicht in Ruhe lassen, oder? „Hm... erst einmal würde ich mich fragen ob so etwas möglich ist. Liebe auf den ersten Blick schön und gut, ist aber selten und hält noch seltener für ein Leben lang. Auf so eine kurze Zeit ‚herauszufinden' dass man verliebt ist, ist meistens nur eine Phase. Ich... würde es zugegebenermaßen erst einmal nicht ernst nehmen, wäre aber nicht böse gemeint. Es sollten keine vorschnellen Urteile gefällt werden, man kennt sich kaum bis gar nicht!" Noëlle legt sich nachdenklich eine Hand an das Kinn. „Außerdem bin ich relativ schwierig was direkte Bindungen angeht, WENN ich mich an jemanden binde, egal ob freundschaftlich oder beziehungstechnisch, kann man von mir 100% erwarten. Muss man, um genau zu sein. Man muss die Eigenarten des anderen kennenlernen, Verhaltensmuster, Vorlieben und Hassobjekte oder -situationen. Es ist ein langer Prozess und dann kommt noch dazu dass wir zusammenarbeiten. Es besteht die große Wahrscheinlichkeit dass mindestens 50% gewisse Gefühle entwickeln werden, oder schon haben, aber die Arbeit darf darunter nicht leiden. Dazu kommt der Fakt der Unsterblichkeit, man würde sich sehr lange auf die Nerven gehen. Wenn es eine gute Beziehung ist, dann okay! Aber für viele ist diese unbestimmte Zeit zu viel, es ist einfach nicht wie beim Menschen. Die längste Beziehung ging bei denen... was. 70 Jahre? Wenn alles gut läuft, dann kann man da noch einmal eine Null dranhängen! Ich gehe davon aus das normale Werwölfe nicht unsterblich sind, aber wenn wir den Fakt betrachten dass Hans nicht eine Sekunde gealtert ist und immer noch so aussieht wie beim Angriff von Millenium damals vor 20 Jahren... Wir können also davon ausgehen dass die Unsterblichkeit durchaus ein Faktor ist mit dem man rechnen müsste. Es gibt also einiges zu bedenken, es ist nicht nur ein ‚Ich liebe dich', sondern der Rattenschwanz der sich hinterherzieht sollte auch bedacht werden." Sie lächelt den Urvampir an. „Spezifisch genug?" 

Alucard blinzelt ein paar Mal, das war das wissenschaftlichste ‚was-wäre-wenn', welches er in den letzten Jahren gehört hatte. „Hast du dir eigentlich schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass du das jetzt so einfach aufsagen könntest als wäre das so ein auswendig gelernter Text, oder hast du dir das aus den Fingern gesogen?" Sage blickt auf den Tisch vor sich und zieht nachdenklich eine Schnute, ehe sie mit den Schultern zuckt. „Teils, teils, würde ich behaupten. Ich meine- Welche Person würde sich bei Hans, oder anfangs auch dir, nicht die Gedanken machen?" „Was heißt hier nur anfangs?!" Die Magierin runzelt die Stirn, legt den Kopf schief. „Junge- Du bist in einer Beziehung. Ich mache viel Scheiße, gebe ich zu. Aber mich an jemand ranzumachen der vergeben ist, ist sowas von unterste Schublade!" Da kann sich Alucard das leichte Lächeln nicht verkneifen, offen mit jemandem über die Beziehung zu reden ist das eine. Dass man aber wirklich Rücksicht auf ihn nimmt, ist was anderes und wenn man bedenkt dass man nur so lange in Italien war weil das ein oder andere Ding war und er mehr Zeit mit Alexander hatte... „Ach du scheiße, bist du krank Alucard?!" Abrupt zieht er eine Augenbraue hoch, mustert Noëlle. „Ich bin ein Vampir, was willst du mit Krankheiten? Und wie kommst du drauf?" „Du grinst wie blöde vor dich hin. Oder-" Einen Moment später lehnt sie sich kichernd nach vorn. „Sag bloß dass DAS dein Wolke-Sieben-Grinsen ist!" Keine Antwort und ihre Augen weiten sich. „Oh mein fucking Gott ist das Süß!" Sie quietscht noch lauter als sie sieht wie er rot wird, der ist ja richtig niedlich! „Deins ist sicherlich nicht besser!", schnauzt er irgendwann, wobei Sage wieder kichert. „Keine Ahnung!" Abrupt hebt Alucard den Kopf, runzelt die Stirn. Man muss doch wissen welches Gesicht man dahingehend macht, oder? „Wie... keine Ahnung." Nur ein leichtes Schulterzucken. „Naja... erstens ICH sehe es ja nicht, weil man das Gesicht nur macht wenn man an die Person denkt und ich starr mich nicht 24/7 in einem Spiegel an. Und zweitens... das was ihr beide habt ist heftiger als ich an Gefühlen in den letzten Jahrhunderten gegenüber anderen hatte! Ich glaube... am nächsten kommt immer noch Charlette ran, zumindest am Anfang. Hat nicht lang gehalten mit ihr. Wurde geköpft. Französin."

Kleiner Schock. „Meine Ziehtochter hatte was mit einer Französin?!" Noch mehr Schock, aber zumindest fängt Noëlle an zu grinsen. Ziehtochter, das klingt passend. „Ja, Papa... ich hatte etwas mit einer Französin. War gut im Bett, muss ich zugeben. Und nur so nebenbei... mein Name ist auch französisch." Schon fast angeekeltes Schnauben. „Ich sollte dich auch Nelly nennen, wie unser Fellteppich hier. Apropos- Du warst verdammt still!" Hans erwidert seinen Blick, was sollte er zu dieser Art von Konversation beitragen? Er hatte weder etwas mit einer französischen Frau, noch hätte er etwas zu dem vorherigen Thema mit der Beziehung etwas hinzuzufügen. Das waren klare Fakten, nicht einmal etwas wirklich subjektives. Oder kaum. „Er ist immer still, was willst du von ihm? Soll er dir ein Buch vorlesen?" Dann sieht Sage zu Hans. „Solltest du das irgendwann einmal machen- Sag mir bescheid." Hatte er nie vorgehabt, aber klar. Kann er machen. „Ach komm... du kennst seine Stimme. Zumindest ein bisschen, auch wenn er nur immer irgendwie deinen Spitznamen brüllt. Was hältst du eigentlich von dem?" Zu dem von wegen ‚du kennst seine Stimme ein bisschen', sagt sie einmal nichts. Sie kennt seine Stimme und sie mag sie. Wirklich. Sehr. Aber das mit dem Spitznamen? Was soll man davon halten? „Soll ich dir jetzt eine ellenlange Kritik zusammenschreiben was gut und schlecht daran ist, oder was willst du mir damit entlocken?" Alucard sieht zu Hans, dann wieder zu ihr. „Ach weißt du... warum nicht ein pro, ein contra?" 

Kurzes Augenverdrehen, bevor sie den Zeigefinger hebt. „Contra, meine Mutter hat ihn benutzt wenn ich scheiße gebaut hatte." Der Mittelfinger geht nun ebenfalls hoch. „Pro, ich verbinde mit dem Spitznamen Sicherheit und Hans gibt mir eben auch diese Sicherheit. Somit... fühle ich mich positiv in die Vergangenheit zurückversetzt." Das ergibt doch gar keinen Sinn. „Positiv in die Vergangenheit zurückversetzt mit dem Gefühl der Sicherheit- Obwohl deine Mutter den Namen benutzt hatte wenn du scheiße gebaut hast? Das sind Widersprüche in sich, Kleines." Tja, wie sagt Noëlle dass jetzt am besten und ohne dass sie ihm damit verbal eine reinballert? Sie will ja nicht in seiner eigenen Vergangenheit herumtrampeln, nicht nachdem was sie mitbekommen hatte. „Sagen wir es so... Es gibt auch Mütter die ihre Kinder lieben und sie wirklich nur für die Scheiße bestrafen die sie angestellt haben." War das vielleicht doch zu ehrlich? Sie weiß es nicht. Von Alucard kommt keine Antwort, von dem her könnte es gut verlaufen und sie bekommt keinen direkten Anschiss, oder er verträgt es nicht und sie bekommt die Vorwürfe. Sie wartet. Und wartet. Aber nichts. „Ich verbinde mit meiner Mutter Sicherheit, so wie ich weiß dass ich bei Hans in Sicherheit bin. Es hat noch einen anderen Touch wenn es die eigene Mutter ist, klar. Aber... es kommt hin." Vom Urvampir kommt immer noch nichts, er weicht sogar ihrem Blick aus. Leicht geht ihr Mund auf, sie hat es übertrieben. Nach einem kurzen Blick zum Werwolf steht sie auf und setzt sich wieder neben Alucard auf die Lehne, legt ihm einen Arm um die Schultern und lehnt sich an ihn. „Aber hey... dafür hast du jetzt eine nervige Ziehtochter die mit den bösen, bösen Franzosen im Bunde stand." Was auch immer er gegen Frankreich hat. 

„Ich wollte nicht schon wieder Vater werden."
„Ist mir egal...?"
Sie sollte ihn jetzt einfach nur ablenken, hoffentlich hilft das.
„Ist mir klar, Nervensäge. Trotzdem war das nicht freiwillig."
„Aber es ist so schön jemanden zu haben der älter ist als man selbst! Außerdem... unfreiwillige Adoptionen gibt es immer."
„Das nennt sich Entführung."
„Das ist eine Überraschungsadoption! Das ist was anderes!"
Alucard runzelt die Stirn. „Inwiefern anders?" Sie nimmt den Arm von ihm weg und sieht ihn komplett ernst an. „Also... Kidnapping ist eine Überraschungsadoption weil du dir die Person genau aussuchst die du haben willst. Du beobachtest sie, du stalkst sie. Du hast die Person FREIWILLIG. Im Gegensatz zu einer unfreiwilligen Adoption wie bei dir und mir. Du hast dir nicht ausgesucht dass ich auftauche. Du hast mich nicht beobachtet oder gestalked. Du hast mich gesucht! Aber das ist was anderes, weil du mich nicht kanntest. Verstehst du?" Überraschenderweise ja, das macht sogar Sinn. „Manchmal hast du die logische Fähigkeit eines Genies und dann wieder den Grips einer Erdnuss. Gibt's da bei dir irgendeinen Schalter den man drücken kann damit das Genie die gesamte Zeit hierbleibt?" Er wird aus violetten Augen angestarrt, kein Wort kommt ihr über die Lippen. Sie blinzelt nicht einmal, ehe er die Augen verdreht. „Ist ja gut! Meine Fresse..." Lange kann man den Blick ja nicht aushalten. Ein kleines Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab, erfolgreich abgelenkt. „Tja! Wenn du-" Aufgrund einer kleinen Turbulenz wird der Jet kurz gut durchgeschüttelt und ein lauter Rumser ist zu hören. Noëlle starrt im nächsten Moment an die Decke des Jets, die Beine hängen noch so halb an der Armlehne von Alucards Sitz. „Ich glaube das war die letzte Hirnzelle...", murmelt sie und sieht ein paar Sternchen in ihrem Sichtfeld. Der Urvampir beugt sich über die Armlehne. „Ich hoffe du hast dir wehgetan." Ein Schulterzucken. „Woher soll ich das wissen?" Ach stimmt ja, kein Schmerzempfinden.

Alba LupinotuumWhere stories live. Discover now