IV - 2

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Gretel wurde wach, weil sie grob geschüttelt wurde, und riss erschrocken die Augen auf. Hendrik stand auf ihrer Seite des Bettes und blitzte sie an. Wieso lag er nicht neben ihr und warum war er sauer? Sekundenbruchteile danach fiel es ihr wieder ein und sie schluckte hart, als sie sich an die Szene erinnerte, die ihren Mann wohl so wütend gemacht hatte. Sie entsann sich auch darauf, dass sie später leise aufgeschlossen und ins Bad gegangen war, um sich das Gesicht zu waschen, während sie Hendrik im Erdgeschoss rumoren gehört hatte.

‚Offenbar hab ich danach nicht mehr abgeschlossen', dachte sie und hörte: „Das Thema is' nich' erledigt, Margarethe, hörs' du? Du kanns' mir nich' sag'n, dass ich eine and're Frau brauch', klar? DU bis' meine Frau, verdammt! Und niemand and'res. ich will niemand and'res und ich lass mich auch nich' wegschicken!"

„Du hast getrunken", sagte sie automatisch und sah, wie ein grimmiges Lächeln an seinen Mundwinkeln zog.

„Da has' du Rech'. Ich bin voll wie eine Haubitse. Weil meine Frau mir erklärt, ich soll mich sum Teufel scher'n. Weil sie denkt, sie wär jets plötslich nich' mehr gut genug für mich und mich dann steh'n läss', ohne dass ich dasu was sag'n kann. Das is' nich' ok, verstehs' du? Gar nich'! Weil ich lieber nur dich allein hab, als gar nich's mehr von dir. Aber das konnt' ich dir gar nich' sag'n, weil du mich ausgesperrt has'. Aber ich lass mich nich' aussperr'n!"

Sie merkte, wie sich wieder Druck auf ihre Brust setzte und ihr das Atmen erschwerte. Sie hatte ihn verletzt und dabei wollte sie ihn doch nur davor bewahren, seinen Traum genauso aufgeben zu müssen wie sie.

„Du könntest aber Vater werden, Hendrik, verstehst du das nicht?", flüsterte sie und er starrte sie noch finsterer an.

‚Er hat ordentlich getankt. Er kann kaum stehen', fiel ihr plötzlich auf und hörte: „Es ist mir scheißegal, was ich könnt', weil ohne dich sowieso nich's Bedeutung hat. Wieso verstehs' du das nich'?!?"

„Ich will nicht, dass du eines Tages aufwachst und bereust, dich für mich und gegen Nachwuchs entschieden zu haben", wisperte sie und merkte, wie ihr übel wurde bei diesem Gedanken.

„Ich wollt' nie Kinner. Ers' durch dich wollt' ich Kinner. Wieso sollt' ich dann bereuen, dass ich keine bekomm'n kann mit dir. Ohne dich will ich keine Kinner, nur mit dir. Du darfs' mich also nich' wegschick'n, verstand'n?"

Da er nun Tränen in seinen Augen glitzerten, schälte sie sich hastig aus der Decke und sprang auf, um ihn in ihre Arme zu ziehen. Sie hatte ihn zuvor erst einmal weinen sehen: als seine Großmutter verstorben war. Das hieß, dass er wirklich Angst hatte oder sie ihn derart verletzt hatte, dass es förmlich aus ihm herausbrach. Er sackte schwer gegen sie und sie musste sich bemühen, nicht das Gleichgewicht verlieren.

Sie wollte ihm in dem Augenblick sagen, dass es in Ordnung wäre, als er meinte: „Mir is' schlecht. Ich muss kotsen."

Dann wankte er aus dem Raum und sie sah ihm reuig nach. Kurz später drang sein Würgen aus dem Badezimmer nebenan zu ihr und sie schluckte. Das war ihre Schuld. Sie hatte ihn so überfordert, dass er sich nicht mehr anders zu helfen gewusst hatte, als seinen Frust zu ertränken. Auch das kam nicht sehr oft vor. Im Grunde nie.

Seufzend setzte sie sich in Bewegung. Im Bad befeuchtete sie das Handtuch, das seitlich des Waschtischs hing und legte es ihrem Mann in den Nacken, ehe sie sich neben ihn kauerte und ihm beruhigend über den Rücken strich. Es war allein ihre Schuld, dass es ihm jetzt so schlecht ging. Noch etwas, für das sie sich hassen konnte. Als Hendrik fertig war, rutschte er an die Wand und legte matt den Kopf gegen die Fliesen.

Still betätigte sie die Spülung und füllte einen Zahnputzbecher mit etwas Wasser, den sie ihrem Mann in die Hand drückte. Dann ließ sie sich neben ihn plumpsen und starrte auf die typischen schwarzen und weißen Bodenfliesen, die im Schachbrettmuster verlegt waren. Sie suchte nach Worten, aber sie wusste im Grunde nicht, was sie sagen sollte.

„Geht es wieder?", fragte sie deshalb und sah, wie Hendrik den Becher absetzte, ehe er den Inhalt seines Mundes wieder hinein spuckte und ihn zur Seite stellte.

„Passt schon."

„Willst du auch einen Schluck trinken?"

„Nein."

„Frisches Wasser, meinte ich."

„Schon klar. Trotzdem nein."

„Ok."

Er hatte die Augen nun geschlossen und wirkte unnahbar, was sie schon irgendwie verstand. Wieder sah sie auf die Fliesen und unterdrückte den Impuls, sich das feuchte Handtuch zu nehmen, das Hendrik von der Schulter gerutscht war, um einen Wasserfleck vor der Dusche wegzuputzen. Sie würde gerade alles lieber tun, als schweigend neben ihrem Mann zu sitzen, dessen Unmut in Wellen von ihm ausging. Aber sie wusste auch nicht, wie sie die Stille durchbrechen sollte.

„Ich war eigentlich nicht wütend auf dich. Eher auf mich. Oder das Schicksal. Womöglich beides."

Im Augenwinkel bemerkte sie, dass er zumindest ein Auge geöffnet hatte, und erklärte ein bisschen mutiger: „Ich finde trotzdem, dass du etwas Besseres verdient hast als mich. Du magst früher keine Kinder gewollt haben, aber der Wunsch ist ja jetzt da, also ... und die Wahrscheinlichkeit ist wirklich niederschmetternd gering."

Sie sah ihn traurig an und registrierte, dass er sie nun mit beiden Augen musterte, ehe er sagte: „Ich werde nicht gehen, Gretel."

Seine Sprache war jetzt nicht mehr so verwaschen, doch seine Stimme klang rau und belegt, bemerkte sie, während sie seinen Blick erwiderte. Sie erfasste Unnachgiebigkeit darin und spürte, wie nun wieder Tränen in ihr aufstiegen. Sie wollte ihn nicht unglücklich machen.

„Ich will auch nicht, dass du gehst", hauchte sie trotzdem und merkte, wie er etwas ungelenk seinen Arm um ihren Oberkörper drapierte und sie seufzend zu sich zog.

Jetzt platzte der Knoten in ihrem Hals aufs Neue und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, wo sie nuschelte: „Es tut mir leid, dass ich so blöde zu dir war."

„Ich weiß, Liebling."

„Ich hab nur das Gefühl, als wäre alles zerbrochen, was wir uns gewünscht haben, nur wegen mir. Wir wollten ein Haus voll mit Kindern und Lachen und einen Spielturm mit Sandkasten im Garten und Kindergeburtstage mit Kuchenschlachten und...."

„Wir sind noch da, Gretel. Wir zwei."

„Aber wir..."

„Ich weiß, was wir uns erhofft haben. Mir geht das auch nah. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass wir uns darüber unterhalten sollten, wenn ich nicht noch halbtrunken bin und mein Kopf nicht richtig funktioniert. Können wir uns auf etwas einigen?"

Sie nickte nur und spürte, wie er ihr mit zittrigen Fingern, die Tränen vom Gesicht wischte, ehe er murmelte: „Morgen, wenn ich wieder klar bin, erzählst du mir, was der Arzt genau gesagt hat, ok? Und dann reden wir darüber, ob es vielleicht Optionen gibt und ob wir die nicht doch beanspruchen wollen, in Ordnung? Danach können wir beide vermutlich klarer sehen. Es muss ein Schock für dich gewesen sein."

„Ja", wisperte sie und wieder rollten neue Tränen über ihre Wangen, als sie an die pure Fassungslosigkeit dachte, als der Arzt ihr erklärte, was die Untersuchungen ergeben hatten.

„Wir schaffen das auch, ok?", entschied Hendrik und sie stimmte zu.

Sie glaubte nicht daran. Aber vielleicht war es wirklich besser, wenn sie morgen darüber sprachen.

Danach hatte sie ihm auf die Beine geholfen und ihn ins Schlafzimmer geleitet, wo er schwer aufs Bett gesunken war. Nachdem er ausgezogen war, hatte sie sich neben ihn gelegt und wurde von ihm an seine Brust gezogen. Sie entsann sich, dass er nochmal gemurmelt hatte, er würde sie niemals gehen lassen, bevor er eingeschlafen und sein Schnarchen zu ihr gedrungen war. Sie merkte, wie sie automatisch die Augen verdrehte.Wie sehr hatte sie sich doch damals in ihrer Weiblichkeit bedroht gefühlt, dachte sie und bemerkte, dass die Dia-Show endete. Wie schon so oft heute, klatschten die Gäste zu der gelungenen Überraschung und Gretel beobachtete, wie Anna ihre Schwester in die Arme schloss.Alina zwinkerte ihr zu und auf Gretels Lippen breitete sich unwillkürlich ein Lächeln aus, während sie den Kopf schief legte. Dennoch war sie erleichtert, als der DJ ein neues Lied auflegte und die Menschen sich wieder auf die Tanzfläche drängten.

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Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now