The Blood

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Während ich ins Wohnzimmer stolpere, klingelt es unablässig. Fast wie bei einem Klingelstreich.

Ich bin versucht, »Ja, ja, ich komme ja schon« zu rufen, aber dafür fehlt mir die Kraft. Stattdessen werfe ich mir rasch einen Bademantel über, krame mit zitternden Fingern in meinen Kommoden nach dem Zweitschlüssel und öffne die Tür.

O'Hare taumelt mir entgegen. Nackt wie im Moment seiner Geburt. Wobei Hasen natürlich – genau wie wir Kaninchen – in Tiergestalt zur Welt kommen.

»Verdammt!«, faucht er mich an. »Was machst du hier?«

»Ich ... wohne hier«, erwidere ich überrumpelt.

O'Hare streicht sich die feuchten Locken aus dem Gesicht. Sein drahtiger Körper ist mit einem zarten Schweißfilm bedeckt, was seiner Haut einen bronzenen Schimmer verleiht. Ich versuche jedoch, nicht allzu genau hinzusehen. Schon allein aus Anstand. Bei den Werwölfen, die viel Zeit in Tiergestalt verbringen, um ihre aggressiven Instinkte zu besänftigen, mag Nacktheit vielleicht ganz normal sein, aber wir Kaninchen sind ein zivilisiertes Volk. Meistens jedenfalls.

»Das weiß ich«, zischt O'Hare und stolpert an mir vorbei ins Wohnzimmer. Er wirkt aufgebracht und fahrig. Vielleicht hat sein Zustand mit den Krallenspuren zu tun, die seinen Rücken zieren. Die Wunden sind nicht tief, aber sie bluten. »Ich weiß das und Knight weiß das auch!«

»Ich wusste nicht, wohin ich sonst gehen sollte«, rechtfertige ich mich.

O'Hare huscht zum Fenster, zieht die Vorhänge zurück und wirft einen Blick in den Vorgarten. »Wir müssen von hier verschwinden.«

»Und wohin?«, erwidere ich achselzuckend.

»Greenwich.« O'Hare späht über seine Schulter. »Da steht doch euer Familienanwesen, oder?«

»Ja schon, aber ...« Ich seufze schwer. »Magst du dir nicht erstmal was anziehen? Und vielleicht solltest du diese Kratzer einem Arzt zeigen. Ich kenne zufälligerweise-«

»Keine Zeit«, fällt mir O'Hare ins Wort. »Die Wölfe werden bald hier sein.«

»Du kannst nicht nackt rausgehen«, beharre ich. »Und in Hasengestalt schaffen wir es nicht bis nach Greenwich.« In einem versöhnlicheren Tonfall ergänze ich: »Ich hole dir jetzt was zum Anziehen. Dann rufe ich uns ein Taxi und informiere Evie. Sie weiß bestimmt, was zu tun ist.«

O'Hare sieht aus, als wollte er mich unangespitzt in den Boden rammen. Der Zorn bringt die Luft zwischen uns zum Knistern und lässt seine Augen Funken sprühen.

Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Er gibt nach.

»Na schön ...«

Mit diesen Worten lässt er sich aufs Sofa sinken. Es wirkt jedoch mehr wie ein Zusammenbruch als wie eine kontrollierte Bewegung. Blut läuft entlang seiner Wirbelsäule herab und sammelt sich in der rautenförmigen Senke knapp oberhalb seines Pos.

»Was sollte das überhaupt?«, frage ich und eile ins Bad, um ihm ein Handtuch zu holen. »Ich meine ... wieso hat Knight so überreagiert? Uns bei Tag in Wolfsgestalt durch die Stadt zu hetzen ... das hat bestimmt jede Menge Aufsehen erregt. Und normalerweise sind die Wölfe doch so versessen darauf, nicht aufzufallen.«

Es dauert einen Moment, bis O'Hare antwortet. »Du hast Recht. Knight muss eine Menge zu verlieren haben.«

Ich kehre ins Wohnzimmer zurück und lege O'Hare ein Badetuch um die Schultern. Ganz vorsichtig. Er scheint unter der Berührung zusammenzuzucken, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Um meine Verlegenheit zu überspielen, frage ich: »Denkst du, er hat was mit Clovers Verschwinden zu tun?«

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWhere stories live. Discover now