The Hare

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Während unserer Fahrt nach Soho reden O'Hare und ich kein Wort. Irgendwie bin ich nicht in Stimmung für Smalltalk. Die Unterredung mit den Wölfen hat Spuren auf meinem Seelenleben hinterlassen. Ich wünschte, ich wäre nicht so zartbesaitet, aber ich bin nun einmal nicht so robust und zäh wie mein Vater oder Evie.

Mein Vater hält sich bereits seit Jahrzehnten an der Spitze unserer Gemeinschaft. Das hat er sich wortwörtlich hart erkämpft. Als ich noch jünger war, musste er alle paar Monate einen aufstrebenden Konkurrenten abwehren. In der Regel hat das mit Geld, Politik oder Erpressung funktioniert, aber manchmal war auch körperliche Gewalt im Spiel. Die allermeisten Kaninchenalphas hinterlassen in den Anfangsjahren ihrer Regentschaft eine lange Blutspur.

Inzwischen hat sich jedoch alles einigermaßen geregelt. Mein Vater herrscht über eine prosperierende Kaninchenkolonie aus vielen verschiedenen Familien, die alle relativ friedlich zusammenleben. Sollte er irgendwann abdanken, schwächer werden oder sterben, wird der Konkurrenzkampf jedoch aufs Neue losbrechen. Seine Frauen werden versuchen, ihre Söhne in Stellung zu bringen, aber theoretisch könnte auch ein vollkommen Fremder auftauchen und die Kolonie an sich reißen.

Meine Eltern wollen, dass ich das verhindere, aber ich wäre lieber Grundschullehrer als Kaninchenalpha. Leider habe ich keine Ahnung, wie ich meinem alten Herren diese schlechte Nachricht beibringen soll. Und die Sache mit dem Schwulsein erst. Mein Vater ist nun wirklich nicht homophob und im Grunde ist es ihm auch total egal, wen oder was ich liebe, aber er erwartet Enkelkinder. Mindestens ein oder zwei. Dutzend. Sozusagen um die Thronfolge zu sichern.

Vor einer Weile habe ich mich mal ganz unverbindlich umgehört. Es gäbe schon ein paar Kaninchendamen in meinem Alter, die sich auf diesen Deal einlassen würden, aber ich kann mich einfach nicht dazu überwinden.

Als O'Hare und ich schließlich am Rande von Soho ankommen, dämmert es bereits. Am Piccadilly-Circus flimmern die Reklametafeln und LED-Displays geheimnisvoll durch den zähen Nebel. Mächtig und geradezu palastartig ragt die barocke Fassade des Trocadero-Gebäudes vor uns auf und der nackte Engel auf der Spitze des Shaftesbury-Memorial-Brunnens, der von seinem Schöpfer nach dem Vorbild seines sechzehnjährigen Assistenten geformt wurde und Anteros, den Bruder des Liebesgottes Eros, darstellen soll, scheint im Nebeldunst zu schweben.

»Du bist also der Erbe«, bemerkt Dante auf einmal, während wir der Shaftesbury Avenue nach Nordosten folgen.

»Der Erbe«, wiederhole ich spöttisch.

Mir ist klar, dass ich von manchen Kaninchen so genannt werde, auch wenn ich wirklich kein Interesse daran habe, die Kolonie von meinem Vater zu übernehmen. Nicht bei den Bächen an Blut, die bei dieser Übergabe fließen werden. Und sehr wahrscheinlich wird es mein Blut sein.

»Klingt nicht gerade begeistert«, erkennt Dante.

Ich zucke mit den Schultern und beschließe, den Ball zurückzuspielen. »Was ist mit dir?«

»Mit mir?«

»Ja. Wer bist du?«

»Ach ...« Dante zieht die Schultern fast bis zum Kinn. »Ich bin nur ein einfacher Wanderer mit einer guten Spürnase. Sonst nichts.«

»Und woher kennst du Evie?« Mir kommt ein Verdacht. »Hattet ihr mal was miteinander?«

Dante lacht. »Wie kommst du denn darauf?«

»Ist das so abwegig?«

»Nein. Vermutlich nicht.« Dante streift sich ein paar Locken hinter die Ohren, wo sie jedoch nicht lange bleiben. »Und nein. Ich hatte nichts mit Evie.«

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWhere stories live. Discover now