The Beta

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Kurz darauf stehen Evie und ich auf der Straße vor dem Griffin-Tower. Der Regen hat etwas nachgelassen, aber die Luft ist von Feuchtigkeit durchtränkt. Auf den Gehwegen und in den Randsteinen sammelt sich das Regenwasser. Die Pfützen und die spiegelnden Glasfassaden der umliegenden Gebäude reflektieren den trüben Himmel. Wegen des Nebels ist die Sicht begrenzt, weshalb es den Anschein erweckt, als würden sich Fahrzeuge und Passanten erst unmittelbar vor uns materialisieren und anschließend wieder im Dunst verschwinden.

»Verfickte Scheiße«, nuschelt Evie, während sie sich eine Zigarette anzuzünden versucht. Ihr Feuerzeug klickt wiederholt, aber die Flamme bleibt aus.

»Hier.« Lautlos gleitet O'Hare an ihre Seite und gibt ihr Feuer.

Evie saugt wie eine Ertrinkende an ihrer Zigarette und pustet den Rauch über ihre Schulter in Richtung eines halb abgedeckten Baugerüsts.

»Tut mir leid, dass ihr da mit hineingezogen wurdet«, beteuert O'Hare und lässt das Feuerzeug wieder in seine Manteltasche gleiten. »Das war-«

»Fick dich, Dante«, schnauzt Evie.

Ich kann ihren Ärger nicht nachvollziehen, aber halte mich zurück, weil mir O'Hare alles andere als geheuer ist. Er wirkt nicht unbedingt vertrauenswürdig. Eher wie ein Landstreicher. Allerdings einer von der vornehmen, britischen Sorte. 

»Du hast den Wölfen doch diesen Floh ins Ohr gesetzt«, fährt Evie fort, wobei sie wild mit ihrer Zigarette herumgestikuliert. »Die vergessene Metropole. Darauf hast du doch nur gewartet.«

»Ich habe ihnen vielleicht einen kleinen Tipp gegeben«, gibt O'Hare zu.

»Du bist eine Plage, Dante ...« Evie pustet ihm eine Rauchwolke ins Gesicht. »Wie viel wollen sie dir bezahlen, damit du da runtersteigst und das Prinzesschen findest?«

»Es geht mir nicht um's Geld.«

Evie lacht hell auf.

»Ich weiß, das muss für jemanden, der buchstäblich alles für Geld tun würde, schwer vorstellbar sein.«

»Nicht jeder wurde mit einem goldenen Löffel im Arsch geboren.«

»Nicht jeder legt wert auf goldene Löffel.«

Bevor ich dazu komme, die beiden zu fragen, woher sie sich kennen und wieso O'Hare den Wölfen den Tipp mit der unterirdischen Stadt gegeben hat, gleiten die modernen Glastüren des Griffin-Towers hinter uns auf und Thomas Knight tritt auf die Straße hinaus. Er trägt einen hellbraunen, taillierten Mantel mit Stehkragen über dem Nadelstreifenanzug und wirkt, als hätte er etwas höchst Dringliches zu erledigen. Umso überraschter bin ich, meinen Namen aus seinem Mund zu hören.

»Mister Boone ...?«

Unwillkürlich sehe ich mich um, in der Hoffnung, meinen Vater irgendwo zu entdecken, aber der liegt wohl noch immer Zuhause im Bett und kuriert seinen Infekt aus. Daraufhin wandert mein Blick zurück zum Beta des Griffin-Rudels, der mir mit einer knappen Geste zu verstehen gibt, dass er mich unter vier Augen sprechen will.

Zögernd gehe ich zu ihm. Mir ist klar, dass er mich längst gefressen hätte, wenn das seine Absicht wäre. Trotzdem fühle ich mich in seiner Gegenwart – und in der aller anderen Werwölfe – extrem unwohl. Muss an meinem stark ausgeprägten Fluchtinstinkt liegen. Ich verstehe mich gut mit den meisten Nagern, aber ich kann einfach nicht mit Raubtieren.

»Mister Boone«, wiederholte Knight, als ich bei ihm ankomme. Meine vorsichtige Zurückhaltung scheint ihn zu amüsieren. Jedenfalls zucken seine Mundwinkel und seine grauen Augen funkeln belustigt. »Es gibt da noch etwas, das Sie wissen sollten.«

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWhere stories live. Discover now