Kapitel 1

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43. Montag, in der 9. Mondzählung:


„Komm Lizzy, schneller!", rief Tommy und zog an meinem Arm. Für sein Alter war er viel zu stark. Ich verfluchte mich selbst. Hätte ich ihn gestern nicht auf diesen Baum klettern lassen, hätte ich eine ruhige Nacht gehabt. Aber Fridos Verschwinden hatte Tommy jeden Frieden geraubt.

Ich genoss die morgendliche Ruhe, die über der ganzen Stadt lag. Wir waren allein auf den Straßen, bis auf die goldbraunen Herbstblätter, die unseren Weg teilten. Verstohlen sah ich mich um, doch die Krieger aus Eiskralle trainierten mit Alpha Eros auf dem großen Platz.

Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Hoffentlich ging es Lia gut. Sie hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht an den neuen Häusern gearbeitet. Dann hatte sie Alpha Eros und Gamma Johnson Essen gebracht und gleichzeitig versprochen, Frido im Wald zu suchen.

Innerlich betete ich für sie, als das Haus in Sicht kam.

Lizzy, du kennst mich doch. Ich tue nichts Leichtsinniges, sondern der Leichtsinn kommt zu mir. Ich kann mich nicht wehren.

Ich schüttelte meine roten Strähnen, als ihre Worte von gestern Abend in meinem Kopf hallten. Der Leichtsinn kam nicht zu ihr, er verfolgte sie auf Schritt und Tritt und sie ließ ihn hinein wie einen gebetenen Gast. Unter all der Empörung versteckte sich Angst, jedes Mal, wenn ich sie suchte. Als würde sie eines Tages nicht mehr...

Kein Geräusch regte sich in dem Haus, als wir vor der Tür zum Stehen kamen. Ich klopfte mit aller Kraft gegen das Holz.

„Ob sie nicht da ist?", fragte Tommy und sah mich von unten an. Meine Hände wurden schwitzig und ich donnerte meine Faust ein zweites Mal gegen die Tür.

Bitte Lia, mach auf...

„Ich komme ja schon", dröhnte es von oben und ich legte meinen Kopf vor Erleichterung in den Nacken. Das Herz in meiner Brust konnte wieder unbeschwerter schlagen. Es rumpelte und schließlich ging die Tür auf.

Meine Augenbrauen schossen nach oben.

„Du siehst ja noch schlimmer aus als gestern", sagte ich, bevor ich mich selbst stoppen konnte. Ihre blonden Haare hingen zerzaust zu allen Seiten, während der smaragdgrüne Morgenmantel schief zusammengebunden war. Sie bekam kaum die Augen auf vor Müdigkeit.

Wie sie überhaupt noch auf ihren Füßen stand, war mir ein Rätsel.

„Danke, ich gebe mir aller größte Mühe", erwiderte Lia. Plötzlich ließ Tommy meine Hand los.

„Phiphi!"

Wie ein kleiner Blitz schoss er auf sie zu und umklammerte sie.

„Können wir nach Frido suchen gehen?", fragte er.

„Tommy, wir hatten diese Diskussion schon. Das geht nicht."

Lia legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ich glaube, das ist nicht nötig", sagte sie lächelnd. „Frido hat den Weg selbst wieder zurückgefunden."

Sie ging zu ihrem roten Mantel und kramte in den Taschen, bis sie den sich langsam zersetzenden Stofffetzen hervorzog. Tommys Augen begannen heller zu leuchten als die Sonne.

„Frido!"

Er umklammerte den Hasen fest, als würde er ihn nie wieder loslassen. Lia war also doch im Wald gewesen, obwohl es verboten war. Sie hatte ihr Leben dafür riskiert. Ich kniff meine Augen zu Schlitzen zusammen, und ihr Lächeln verblasste ein Stückchen bei meinem Angesicht. Ich verschränkte die Arme.

Die Gefährtin des LycansWhere stories live. Discover now