Prolog

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November 1970|London, England

Es war bereits nach Mitternacht, als eine merkwürdige Gestalt in einer der Gassen in dem Londoner Stadtteil Hackney zwischen den heruntergekommenen Gebäuden auftauchte. Sie war deutlich älter als die meisten Menschen, die sich zu dieser Tageszeit in Hackney herumtrieben, doch selbst wenn man von dieser Tatsache absah, wirkte der Mann noch immer Fehl am Platz. Sein schlaksiger, langer Körper steckte in einem tiefroten Umhang, der leicht über den Boden streifte und auf seinem Kopf trug er einen dunklen Hut, dessen Spitze sich bis zur Mitte seines Rückens zog. Er hatte silbern-schimmerndes Haar, das ihm in offenen, langen Wellen über die Schultern fiel und einen gepflegten, ebenso silbernen Bart, der beinahe so lang war, dass er ihn zu einem Zopf hätte zusammenbinden können. Auf seiner langen, krummen Nase lag eine Brille mit kleinen, Halbmond-förmigen Gläsern, über die hinweg er aufmerksam die Straßen begutachtete.

Leichtfüßiger, als man bei einem Mann seines Alters vermuten würde, verschwand er hinter einer der verdreckten Telefonzellen, die in regelmäßigen Abständen am Rande des Gehweges aus dem Boden ragten. Der Mann zog eine kleine Taschenuhr aus den tiefen seiner Umhänge und warf einen raschen Blick darauf, ehe er sich kurz, aber gründlich umsah.

Der Mond, der hoch am Himmel stand, war durch die vielen dunklen Wolken nur als heller Schimmer zu erkennen, sodass die zum Teil nur nochflackernden Straßenlaternen die einzige Lichtquelle boten. Dichter Nebel drängte sich gut einen Meter über den Boden und versteckte weitestgehend die tiefen Risse auf den Straßen und die zerfledderten Zeitungen, die überall verteilt lagen; doch bis auf einenbetrunkenen Mann, der auf einer Parkbank vor sich hin summte, waren die Straßen Menschenleer.

Erneut zog der Mann einen kleinen Gegenstand aus seinen Umhängen. Er wirkte wie ein kleines, altes Feuerzeug, doch als er den Deckel aufschnappen ließ, erloschen auch die letzten, noch funktionierenden Straßenlaternen. Der betrunkene Mann auf der Parkbank gab einen überraschten Rülpser von sich, doch nach einer kurzen Pause summte er unbeirrt weiter. Der alte Mann kicherte etwas, ehe er sich in Bewegung setzte und die schäbige Straße überquerte.

Albus Dumbledore war verabredet. Doch obwohl er bereits spät dran war, spazierte er gemütlich die Straße entlang, begutachtete interessiert die Schaufenster und nickte zufrieden einer Ratte zu, die erschrocken aus einer Gasse flitzte. Für gewöhnlich war Pünktlichkeit zwar eine Eigenschaft, die er sehr zu schätzen wusste, doch nun wo er bereits zu spät war, gab es keinen Grund mehr zur Eile.
Sein Ziel war eine schmale Gasse, die sich zwischen SHULMAN'S MARKET, einem kleinen Kiosk mit vernagelten Fenstern, und SEW 'N TELL, einer Schneiderei, in der immer noch Licht brannte, befand.

Der Londoner Stadtteil Hackney gehörte zu den heruntergekommeneren Gegenden der Stadt; die Fassaden der Häuser waren verdreckt undabgeblättert, die notdürftig verputzten Wände der Gebäude hatten tiefe Risse und viele Fenster waren eingeworfen worden oder bereits mit Brettern verdeckt. Die Geschäfte, die hin und wieder zwischenschäbigen Pubs und verwahrlosten Wohnhäusern auftauchten, bestachen mit dreckigen Scheiben und verstaubter Auslage und der Wind wehte immer wieder herumliegenden Müll und Zeitungen aus den Gassen auf die Straße, sodass sich der Geruch von frischem Regen mit dem Gestank der Müllberge vermischte.

Nichts deutete darauf hin, dass es in dieser Gegend etwas geben könnte, dass einen Mann wie Albus Dumbledore hierher verschlagen könnte, wo doch gerade um diese Uhrzeit normalerweise ein ganz anderes Klientel durch diese Straßen wanderten. Doch Dumbledore schlängelte sich eine Weile zielsicher zwischen den überfüllten Mülltonnen hindurch, bis er vor dem Hintereingang eines Restaurants stehenblieb. Ein großes, verrostetes Schild mit der Aufschrift Kein Eingang – Zutritt nur für Mitarbeiter! hing an einer Flügeltür, dessen Griffe mit einer dicken Eisenkette verschlossen worden waren. Doch Dumbledore interessierte sich nicht für die marode Eisentür. Seine Aufmerksamkeit galt einem, vor Dreck ermattetem, großen Fenster, das einige Meter weiter in derselben Wand eingelassen war.

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