2 - Im Ghetto angekommen

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Ich hoffte auf einen neuen Start, ohne den Remmo Clan, ohne meine Eltern, ohne die Familie.
Ohne all das, was mich in diese Situation brachte.

Nächster Morgen - 09:46 Uhr - Duha

Ich rieb mir müde die Augen, während ein leichter Sonnenschein hinter den Wolken mir ins Gesicht schien, nach dem kurzen Schlaf, den ich hatte. Aber ich werde mich von nichts runterbringen lassen, denn es sollte ein guter Start sein, ohne schlechte Laune, ohne Traurigkeiten, denn ich hatte es verdient, glücklich zu sein, wie jede Seele dieser Erde auch.

Mein neues Leben empfing mich mit einer herzlichen Aprilsonne, die ich als Zeichen Gottes ansah. Ich war überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben und fange nun und jetzt bei null an.

Während ich mich auf den Weg ins Bad machte, blieb ich vor dem Spiegel stehen. Es war nun Zeit, sich von Duha zu verabschieden und sich als Mia zu etablieren, wie schwer mir dies auch fallen wird. Meinen wunderschönen Namen hatte ich meinem verstorbenen Opa zu verdanken, dem einzigen Menschen in der Familie, der mir das Gefühl von Liebe und Geborgenheit vermitteln konnte. Was mit den anderen es auf sich hat, war nicht erwähnenswert, nicht im geringsten, denn sie hatte ich längst aus meinem Leben gelöscht, dies schon vor drei Jahren endgültig.

Ich zwang mir ein Lächeln auf und richtete mir die blonden Haare, an die ich mich noch immer nicht ganz gewöhnen konnte. Sie zierten meine blasse Haut sowie meine grasgrünen Augen. Ich sah tatsächlich nun aus wie eine Mia anstelle einer türkischen Migrantentochter.

Lauter Krach ließ mein Blick vom Spiegel ab und ich zuckte zusammen. Stimmen aus der Nebenwohnung mischten den Morgen, weshalb ich zum Balkon ging und versuchte, zu lauschen. Ich weiß, dass es nicht richtig war, aber was ist, wenn die Frau von neben an, die sich wohl mit einem Mann stritt, Hilfe braucht?
Mir wurde unwohl, als ich daran dachte, wie oft ich in dieser Lage war, und nichts und niemand etwas unternahm. Jeder wusste, was Sache ist und doch tat jeder so, als hätten sie nichts gesehen und gehört.

Es waren private Angelegenheiten, in die man sich nicht einmischen sollte, doch irgendwann gab es eine Grenze. Eine Frau, die der Gewalt eines Mannes ausgesetzt ist, hat nichts in der Hand. Wir waren nun mal das physiologisch schwächere Geschlecht als das ach so breite, schwer knöchrige Gegenstück.

Ich schloss langsam meine Tür auf, und erblickte sofort einen kleinen Jungen auf dem Boden, der die Knie an sich gezogen hatte und in sie sein Gesicht vergrub, während in der Wohnung nebenan die Hölle her ging.

„Hey, ist alles gut bei dir?", versuchte ich mich an ihn zu nähern und setzte mich auf die Knie, während ich ihm an die Schulter fasste. Er drehte sich sofort um, ohne sein Gesicht zu heben und ein Schluchzen ertönte.
Es brannte mir im Herzen, dass ein unschuldiges Kind am meisten unter solchen Situationen litt.
„Soll ich mal nach deiner Mama schauen?", ich ging einfach mal davon aus, dass es die Mama war, und die Reaktion, die ich erhielt, verschreckte mich.
„Nein, Nein! Mach das nicht, sonst wird Amir auch sauer auf dich!", hob der etwa 5-Jährige kleine Junge mit großen entzückenden braunen Augen sein Kopf, während seine kleinen Hände auf meinen Beinen ruhte. Ich spürte, wie er zitterte. Er hatte unglaubliche Angst, so große Angst, sodass sich seine Finger in meine Haut bohrten.
Es sollte ein Verbrechen sein, einem solchen Engel solche Angst einzujagen.
Meine Hände wanderten in seine und ich spürte, dass sie sich entspannten.

Um ehrlich zu sein wusste ich nicht, was ich tun sollte.
Die Polizei rufen?
An der Tür klopfen und mitten in den Streit geraten?
Den Jungen mit an die frische Luft nehmen und vom Geschehen ablenken?

O.G. - Aus der ZelleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt