Kapitel 19

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Defnes Sicht

Es ist erstaunlich, wie Menschen dir etwas vorspielen können. Wie sie dir vorspielen können, dass du für sie wichtig bist. Dass sie dich lieben. Dass sie für dich alles tun würden. Doch sei mal ehrlich, wer glaubt denn schon noch an so etwas? Jeder lügt und betrügt. Außer deiner Familie kannst du niemanden mehr vertrauen. Manchmal sogar kannst du auch deiner Familie nicht vertrauen. Jeder spielt nur etwas vor, bis sie das erreicht haben, was sie wollten. Jeder geht aus deinem Leben. Entweder sie gehen oder der Tod nimmt sie dir weg. Im Endeffekt bleibt keiner.

Und so war es auch bei mir. Meine Eltern waren weg, Ömer war weg, Dilan - die Exfreundin von meinem Bruder - war weg. Jeder geht. Bei meinen Eltern war es der Tod, der sie weggenommen hat. Aber was war mit den anderen? Sie wollten gehen und das sind sie auch. Ich dachte, ich wäre wichtig für Ömer und mein Bruder hatte es bei Dilan gedacht. Doch man täuschte sich immer. Zwei Wochen sind vergangen und er hatte sich nicht gemeldet. Dass ich so etwas denken konnte. Dass ich denken konnte, dass ich wichtig für ihn wäre. Wie dumm von mir.
Doch ich hatte auch Angst, dass mein Bruder und Eylül auch weggehen würden. Was würde ich ohne sie tun? Wenn ich schon bei Ömer litt, den ich erst seit einem Monat kannte, wie sollte ich es dann bei Levent abi und Eylül aushalten?

"Defne?"

Ich zuckte zusammen und sah nach rechts.

"Gehts dir gut?"

Ich nickte. Was aber gelogen war.

"Gut, okay also, wie gesagt ich habe dich wegen dem Spray hier her gerufen."

Wieder nickte ich.

"Ich habe einen gefunden, doch wir müssen dich damit in Kontrolle halten. Ich weiß nicht, ob das schadet oder nicht. Wir müssen es mal ausprobieren, okay?"

Ich nickte eifrig und nahm den Spray in die Hand.

"Muss ich noch die Medikamente einnehmen?"

Frau Gencer nickte und ich seufzte. Naja, wenigstens etwas.

"Die kann ich dir nicht verbieten. Ohne diese Medikamente wärst du vielleicht gar nicht mehr am Leben."

Ich nickte. Wie oft hatte ich schon genickt? Irgendwann würde mein Kopf noch abreißen vor lauter nicken.

"Man sieht, dass du heute nicht ansprechbar bist. Ich glaube, wenn du nicht noch etwas mehr zu sagen hast, wäre es das für heute."

"Tut mir leid, bin heute nicht so gut gelaunt."

Sie nickte verständlich und ich stand auf. Sollte ich sie nach Ömer fragen? Ja? Nein? Ich stoppte kurz, doch ohne etwas zu fragen ging ich raus. Wer weiß, vielleicht will sie ja nicht, dass ihr Sohn mit einem kranken Mädchen etwas zu tun hat. Ich lief aus dem Krankenhaus raus und dachte nach, was ich tun könnte. Eylül war sicherlich noch in der Schule und, wenn nicht, dann war sie bestimmt mit Gökhan unterwegs. Die letzten zwei Wochen sind die beide sich noch näher gekommen und ich gönnte Eylül ihren Glück.
Da mein Bruder arbeitete und wir nichts gemeinsam unternehmen könnten, wollte ich zu meinem Lieblingsplatz gehen. So wie in der Türkei hatte ich auch hier einen. Niemand wusste was davon, da es in einem abgelegenen Gegend war und ich immer dorthin ging, wenn ich Ruhe brauchte. Also lief ich zur Bushaltestelle, da es, wenn ich laufen würde etwa eine Stunde dauern würde. Nach zehn Minuten kam der Bus an der Bushaltestelle an und ich stieg ein. Während der Fahrt hörte ich Musik und dachte wie jeden Tag an meinem Leben nach. Ich hatte bis vor vier Wochen nie an meinem Leben gedacht. Nie so genaue Gedanken darüber gemacht.
Wie ein paar Ereignisse etwas verändern könnten. Wie sie Menschen verändern könnten.

Ich merkte, dass der Bus an meinem Ziel anhielt, also tat ich die Kopfhörer und meinen Handy in meiner Tasche, stand auf und stieg aus dem Bus aus. Mit schnellen Schritten lief ich ins Wald rein und lief immer tiefer rein. Als ich den Bank sah, an dem ich mich immer setzte, verschnellerte ich meine Schritte. Ich setzte mich hin und atmete die frische Luft hier ein. Mir tat es hier immer gut. Ich beruhigte mich immer hier. Die Landschaft beruhigte mich immer. Hier war mein Zufluchtsort. Hier dachte ich immer nach. Und diesmal waren meine Gedanken an meinem Bruder und Dilan gerichtet.

"Was glaubst du warum ich bis jetzt niemanden an meiner Seite habe? Ich habe niemanden außer Dilan geliebt. Ich konnte es nicht. Ich wollte es mir nicht zugeben. Kannst du dir es vorstellen? Die Person die du liebst, schläft mit jemanden anderen. Es war wie ein Schlag in die Fresse. Sie ist zu mir gekommen, hat geweint und meinte sie war angetrunken und wollte das alles nicht. Warum war sie an dem Tag angetrunken? Hast du eine Antwort dafür? Ich hatte auf jeden Fall keine, habe sie immer noch nicht. Bevor sie sich umgebracht hat, hatte sie einen Brief geschrieben. Da stand, dass Ömer sie verarscht hatte. Ich kannte ihn nur vom Sehen, hatte aber nie geredet mit ihm. Sein Argument war, sie wollte es auch und er war angetrunken. Nur noch schlimmer als sie. Du weißt ja, dass ich jedes Jahr weg war für zwei Tagen. Ich war sie besuchen. Bald gehe ich wieder hin Defne. Und von dem allen wusste nur Fatih was davon. Aber Defnem denk nicht, dass ich dir nicht vertraut habe. Ich wollte es geheim halten und Fatih hat es irgendwie herausbekommen, da musste ich es ihm erzählen. Am Anfang hatte ich es nicht mal vor, aber er hat mich gezwungen. Und weißt du was? Auch, wenn sie mich betrogen hat, ich liebe sie immer noch. Ich liebe einen Toten Defne."

Ich wischte meine Tränen weg holte den Spray aus meiner Tasche raus, spritzte zwei mal in meinem Mund rein und legte es wieder in meiner Tasche rein. Es war heftig was mein Bruder durchmachen musste. Vor drei Jahren ist das passiert und ich hatte es nicht bemerkt.
Auch, wenn es etwas spät war bei ihm zu sein und ihm zu helfen, ich werde es tun. So, wie er es immer bei mir getan hat, so werde ich es bei ihm tun.

"Defne?"

Ich zuckte zusammen, drehte mich ruckartig um und schaute geschockt in seinem Gesicht.

"Ömer?"

Defne & ÖmerWhere stories live. Discover now