Kapitel 11

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Defnes Sicht

"Anne?" (Mama?)

Ich sah, wie mein Bruder, Fatih abi und zwei Freunde von meinem Vater, meine Mutter trugen. Besser gesagt ihren Sarg. Ich rannte auf meinem Bruder zu.

"Bırak annemizi! Annem ve babam nasıl kalsınlar orda? Lütfen eve götürelim! Levent abi bırak!" (Lass unsere Mutter! Wie sollen meine Mutter und Vater dort bleiben? Bringen wir sie nach Hause! Levent abi lass!)

Ich zerrte ihm an seinem Arm und schrie ihn an, doch er beachtete mich nicht.

Ich rannte nach vorne, zu dem Sarg meines Vaters und schrie meinen Onkel an, doch er beachtete mich genauso nicht.

"Defne lass es."

Ich drehte mich um und sah Ömer.

"Was soll ich lassen? Was?! Ich will nicht, dass meine Eltern gehen! Sie sollen bei mir bleiben!"

Ich konnte nicht mehr stehen. Meine Beine versagten. Ich hatte einfach keine Kraft mehr.

"Defne kalk! Du musst stark bleiben! Willst du hier deinen Anfall bekommen? Willst du während man deine Eltern beerdigt, im Krankenhaus liegen? Willst du deinen Bruder kaputt machen?!" (Steh auf!)

Erst jetzt merkte ich, wie schlecht ich atmete. Ich konnte nicht mal richtig trauern!

"Ömer hat recht Defne. Versuch wenigstens stark zu bleiben. Wir sind bei dir."

Ich sah hoch zu Eylül und wischte meine Tränen weg, doch immer mehr kamen. Immer mehr liefen meiner Wange entlang. Ömer und Eylül halfen mir beim Aufstehen und wir liefen hinter den zwei Särgen hinterher. Hätte ich nicht das Risiko meinen Anfall bekommen zu können, hätte ich weiter geschrien. Weiter gebettelt. Doch ich durfte es nicht. Ich konnte es nicht. Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. Wie ich das schaffen sollte, wusste ich nicht.

"Oraya götürün." (Bringt sie dorthin.)

Ich sah auf die Seite, wo mein anderer Onkel gezeigt hatte und musste noch mehr weinen, als ich mich daran erinnerte, wie meine Mutter jedes Jahr hier her kam. Genau dort hin, um ihren Vater zu besuchen. Und mein Vater etwas daneben. Um seine Eltern zu besuchen. Und jetzt sollten wir meine Eltern daneben begraben. Jetzt sollte ich die Person sein, die jedes Jahr bitterlich weint und nicht meine Eltern. Die Särge wurden auf den Boden gestellt und mein Onkel fing an zu graben. Er verlor dabei Tränen, doch versuchte sie schnell wegzuwischen, damit es niemand mitbekam. Cihan amca, der Mann meiner Tante, fing an, das Grab meiner Mutter zu graben und ich sah sie nur kalt an. Ich wusste nicht wieso, aber ich konnte nicht mehr weinen. Seitdem sie die Schaufel in der Hand hielten, waren meine Tränen wie verschwunden. Einfach nicht mehr da.

Der Hoca las, während jeder etwas grub, etwas vom Kuran vor und ich sah sie einfach nur dabei zu. Neben mir meine Oma, Frau Gencer, meine Tante und Eylül.

"Kızım." (Meine Tochter.)

Meine Oma weinte die ganze Zeit schon und wiederholte es immer und immer wieder.

Meine beide Onkel und zwei Freunde legten meinen Vater ins Grab und andere Freunde meiner Onkel taten es bei meiner Mutter gleich. Die Tränen kamen wie angeschossen und ich hielt es nicht mehr aus.

"Bırakın onları! Koymayın onları oraya! Ne yapsınlar orada onlar?!" (Lasst sie! Legt sie nicht dahin! Was sollen sie da tun?!)

Sie beachteten mich nicht und legten meine Eltern ins Grab. Fatih abi legte die Holzbretter darauf und mein Bruder nahm die Schaufel in die Hand und fing an die Erde auf meiner Mutter zu schütten.

"Abi yapma!" (Mach es nicht!)

Ich wollte auf ihn zu rennen, doch man packte mich an meinen Armen. Ich drehte mich um und sah Ömer.

"Bırak beni!" (Lass mich!)

Er hielt mich noch fester und ich versuchte mich zu befreien, jedoch zwecklos. Ich ließ mich auf meine Knie fallen und weinte. Währenddessen versuchte ich zu atmen, doch wegen den Tränen, die die ganze Zeit kamen, ging es nicht. Ömer umarmte mich und ich weinte an seiner Brust.

"Neden? Neden biz?" (Warum? Warum wir?)

"Defne nimm."

Ich sah verheult hoch und sah die Medikamente vor mir. Ich schluckte sie mit das Wasser von der Flasche aus und überreichte es Frau Gencer. Dann sah ich zu meinem Bruder, wie er paar mal auf die Erde klopfte und dann zu mir sah. Ich sah mal zu dem Grab meines Vaters, dann zu dem Grab meiner Mutter an und schüttelte heftig den Kopf.

"Nein!"

Ich stand auf und rannte auf die Gräber zu, bevor Ömer mich noch einmal aufhalten konnte.

"Baba! Anne!" (Papa! Mama!)

Ich weinte und setzte mich an das Grab von meinem Vater und versuchte mit meinen Händen die Erde wegzuschaufeln.

"Şaka olduğunu söyleyin! Rüya gördüğümü söyleyin!" (Sagt mir, dass das ein Witz ist! Sagt mir, dass ich träume!)

Ich schaufelte mit meinen Händen weiter, doch wurde gleich unterbrochen, da mein Bruder mich hochhob und mich ernst ansah.

"Defne kendine gel! Öldüler tamam mı?! Lass sie los!" (Komm zu dir! Sie sind gestorben okay?!)

Ich schüttelte meinen Kopf. Mein Bruder versuchte ernst zu bleiben, doch er bekam auch Tränen in den Augen und umarmte mich plötzlich.

"Defnem."

Ich umschloss meine Arme um ihn und schluchzte laut auf.

"Es soll ein Traum sein abi."

Er schüttelte den Kopf und ich weinte noch mehr. Levent abi löste sich von mir und ich sah mich um. Viele waren schon gegangen. Der Hoca auch. Dann sah ich zu die Gräber.

"Lass gehen."

Ich sah zu meinem Bruder, der mich bittend ansah und ich schüttelte meinen Kopf und setzte mich an die Gräber. Ich streichelte mir meiner Hand auf das Grab von meiner Mutter und versuchte nicht zu weinen. Doch vergeblich. Plötzlich wurde ich hochgehoben und landete auf die Schulter meinem Bruder.

"Abi lass mich!"

Er sagte nichts und lief vorraus. Hinter uns liefen die anderen.

"Yardım etsenize! Anne ve babamın yanında kalmak istiyorum!" (Hilft mir doch! Ich will bei meiner Mutter und meinem Vater bleiben!)

Niemand sagte etwas und ich schlug auf Levent abis Rücken, doch er lief einfach weiter. Ich versuchte mich zu befreien, doch vergebens. Somit gab ich nach und ließ es zu, dass mein Bruder mich nach Hause trug.

Defne & ÖmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt