Kapitel 10

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Defnes Sicht

Ich öffnete meine Augen und sah Eylül, wie sie mit ihrem Körper fast auf mir lag. Ich versuchte mich zu befreien, doch je mehr ich das tat, desto mehr legte sie sich auf mich. Ich seufzte. Wie sollte ich jetzt aufstehen? Meine Blase machte sich bemerkbar, dass ich es leeren sollte und ich seufzte erneut. Als Eylül ihren Knie auf meiner Blase tat, setzte ich mich schlagartig auf und schlug auf ihrem Bein.

"Au!"

Ich stand auf und rannte aufs Klo, doch zu meiner Enttäuschung war es geschlossen.

"Kim varsa içeride, hemen çıksın!" (Wer auch immer drinnen ist, er soll schnell rauskommen!)

Ich schlug auf die Tür und hoffte, dass die Person, die drin war, so schnell wie möglich raus kommen würde.

"Ya lütfen!" (Man bitte!)

Die Tür wurde aufgeschlossen und Fatih abi kam raus. Ich rannte schnell rein, schloss die Tür und erledigte meinen Geschäft. Danach wusch ich meinen Gesicht und sah mich im Spiegel an. In ein paar Tagen konnte man sich so verändern also.

Wie das Leben sich von einem Tag auf dem anderen ändern konnte. Entweder konnte man glücklich werden oder traurig. Entweder konnte das Leben sich zum guten wenden oder zum schlechten. Bei mir hatte es sich definitiv zum schlechten verändert und ich konnte es mir nicht vorstellen, wieder ein gutes Leben führen zu können. Ich habe versucht mit meiner Krankheit klarzukommen, was seit ich 15 bin, ein Problem für mich war. Ich hatte versucht, mich nicht fertig zu machen, weil meine Freunde mich links liegen gelassen hatten. Hatte versucht, die Enttäuschungen niemandem merken zu lassen. Hatte versucht, so auszusehen, als würde es mir egal sein. Doch mir waren die Verluste meiner Freunde nicht egal gewesen. Wie denn auch? Jeder hatte mir den Rücken zugedreht, nur, weil ich fast jeden Tag meinen Anfall bekam und sie damit überfordert waren. Nur, weil sie damit nicht klar kamen. Ich war diejenige, die mit dieser Krankheit klarkommen musste! Ich war diejenige, die Angst hatte sterben zu müssen! Nicht sie! Warum konnten sie dann nicht bei mir bleiben?

'Wir wollen nicht jemanden als Freundin haben, die eine Krankheit hat. Sie muss schon fähig sein, das tun zu können, was wir tun wollen!'

Ich sah von dem Spiegel aus, wie die Tränen meiner Wange entlang liefen. Wie sie von meiner Wange auf den Waschbecken tropften. Ich sah auf die Cremen, Tuben, Schminksachen und schlug die mit einer Hand weg. Ich schrie, weinte und schlug all die Sachen, die meine Hände erwischten, weg.

Ich hatte alles positiv gesehen bis heute. Immer einen auf, mir geht es gut, getan. Immer einen auf, ich komme mit dieser Krankheit klar, getan. Jeden hatte ich durch meiner Positivismus, zum Lächeln gebracht. Mut gegeben. Hoffnung gegeben. Was bekam ich dafür zurück? Nichts. Nur eine beschissene Krankheit und Arschtritte, von den Personen, von denen ich es nie erwartet hätte.

'Mit der Zeit hab ich gelernt, dass Menschen gehen. Auch, wenn sie versprechen es nie zu tun.' Diesen Spruch hatte ich oft gelesen, doch hatte mir dabei immer gedacht, dass das Quatsch wäre. Aber jetzt wusste ich ganz genau, dass Menschen wirklich gingen. Egal was sie sagten. Egal wie viel du mit ihnen geweint hast. Egal wie viel du für sie getan hast. Hast du einmal einen Fehler getan, hast du einmal etwas an dir, was sie nicht mochten, bist du für sie ein nichts!

Ich setzte mich auf den Boden und schlug mit meiner Faust auf den Boden. Bei jeder vergossenen Träne, wurde meine Atmung flacher.

Diese Enttäuschungen hatten auch nicht gereicht und jetzt waren meine Eltern tot! Was hatte ich nur getan? Warum gerade ich? Warum meine Eltern?

Ich merkte, dass meine negative Seite wieder zum Vorschein kam und ich versuchte etwas positives davon zu sehen, doch da war nichts positives. Einfach nichts.

Erst jetzt bemerkte ich, dass irgendjemand an der Tür wie wild klopfte und, dass ich immer noch unnormal atmete. Ich versuchte mich zu beruhigen und atmete tief ein und aus, was mir etwas half, jedoch hatte ich immer noch Probleme beim Atmen. Ich schrie auf, als die Tür aufgebrochen wurde. Ömer sah sich geschockt um und setzte sich dann zu mir hin, als er mich sah. Er nahm mich in seine Arme und ich schloss meine Arme um ihn. Dass mein Herz schnell schlug, war mir egal.

"Tamam sakin ol." (Okay beruhig dich.)

Ich versuchte Luft zu holen, doch ich scheiterte. Ömer bemerkte es und stand schnell auf. Nicht mal nach zwei Minuten später kam er wieder zurück und gab mir meine Medikamente. Ich schluckte sie mit einem Glas Wasser runter und schloss meine Augen.

Es war nicht gut, wenn ich die Tabletten einnahm, wenn ich nicht mehr atmen konnte. Doch anders ging es mir nicht besser.

Ich öffnete meine Augen und sah, wie Ömer sich vor mir setzte.

"Iyimisin?" (Geht es dir gut?)

Ich nickte.

"Defne?"

Ich sah hoch und sah wie mein Bruder mich geschockt ansah.

"Noldu burada?" (Was ist hier passiert?)

Er kam auf mich zu und Ömer stand auf und ging. Er kniete sich vor mich hin und nahm meine Hand in seine.

"Was ist hier passiert Defnem? Was hat Ömer hier gemacht?"

Er sah mich ernst und zugleich traurig an.

"Ich habe geweint. Ömer hat es anscheinend dann gehört und ist hier her gekommen."

Er nickte.

"Hadi gel aşağıya gidelim." (Los komm gehen wir runter.)

Ich nickte und wir standen auf. Dann gingen wir runter und jeder kam auf mich zu, als wir in der Küche waren. Erst jetzt wurde es ihnen klar, dass es mir schlecht ging? Musste ich zeigen, dass es mir schlecht ging? Konnte man es nicht sehen? Von meinen Augen, die nicht mehr glänzten? Ich schüttelte lächelnd meinen Kopf. Jeder tat einen auf, wir denken an dich und wir sind traurig, wenn es dir nicht gut geht, doch es war nicht so. Ich glaubte nur an meinem Bruder, Eylül und Fatih abi, dass sie wirklich mich liebten, aber sonst keinem. Ich drehte mich um und ging wieder hoch. Auf keinen hatte ich Lust.

"Defne nereye?" (Defne wohin?)

Ich hob nur meine Hand und ging hoch. In meinem Zimmer suchte ich nach einem passenden Kleid, für die Beerdigung, denn es würde in drei Stunden stattfinden.

Defne & ÖmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt