17.11.2021

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Hey Pasi,

es ist wieder soweit. Es ist noch ein Jahr vergangen. Irgendwie fühlt es sich immer mehr so an, als wären die Jahre kürzer. Als würde dieser Tag immer schneller wieder kommen. Und mir gefällt das nicht.

Ich mach Ausbildung. Ich weiß die wollten wir eigentlich zusammen machen. Ich habe gewartet, aber naja. Du weißt ja. Warten bringt nichts mehr. Ich hab neue Freunde. Sowas wie ne Freundin habe ich auch. Sie ist cool, hilft mir viel bei dem ganzen Scheiß, der so abgeht. Depression, ED, der ganze Mist. Sie macht das gut, hat da ein Händchen für. Ich bin froh, dass ich sie im Moment habe. Weil, mir geht's wirklich nicht gut. Ich meine, klar, es ist November, es ist dunkel. Wem geht es da schon wirklich gut?

Aber selbst für einen November ist es im Moment echt hart.

Ich mache Praktikum, hab viel zu tun und muss irgendwie schauen, dass ich mich durchsetzen kann bei den größeren Kids. Einer von den Älteren hat mich heute gefragt, was das für eine Kette ist, die ich immer trage. Was das für ein Ring ist.

Hab ihm kurz erklärt, dass das dein Ring ist. Dass du nicht mehr da bist und ich die Kette deswegen trage.

Auch, wenn ich eigentlich nicht an Geister oder sowas glaube, hilft es mir, wenn ich etwas von dir bei mir habe. Und viel mehr als die Kette und ein paar Bücher hab ich von dir ja auch nicht mehr.

Ich vermisse dich im Moment echt. Ich denke oft darüber nach, wie du jetzt wohl aussehen würdest, wie groß du noch gewesen wärst, ob du die 1,90 noch vor dem 18. Geburtstag geknackt hättest. Ich überlege, wie es gewesen wäre, wenn wir unseren Plan wirklich hätten durchziehen können und den scheiß hier zusammen machen könnten. Ich überlege, wie es sein würde, wenn ich dir nicht jedes Jahr so einen Brief schreiben müsste. Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass das der einzige Tag im Jahr sei, an dem du mir zuhörst.

Immer, wenn ich jemandem von dir erzähle, fragen sie alle dasselbe: „Wie ist es passiert?" oder „Was ist passiert?"

Ich bin die Fragen ein bisschen Leid. Ich rede gerne über dich. Aber ich würde lieber über die schönen Erinnerungen reden als über den Abend von vor 7 Jahren. Denn dann fang ich immer zu heulen an. Auch, wenn ich immer wieder gesagt kriege, dass es nicht meine Schuld war, fühlt es sich nicht so an und gegen dieses Gefühl komme ich seit Jahren nicht an. Ein paar Worte von neuen Freunden helfen da nicht wirklich.

Ich würd gern wissen, was dein Bruder so treibt. Immerhin ist er ja auch schon 26. Vielleicht hat er Kinder oder so. Ne Frau? Würde mich interessieren. Zu wissen, ob er aus dem Loch wieder rauskommen konnte, das entstanden ist, als du gegangen bist.

Ich bin da noch nicht wirklich raus. Es gibt immer Momente, wo ich kurz davor bin. Aber dann kommt dieser eine Tag und ich falle wieder rein. Ich hoffe einfach, dass ich jetzt langsam mal rauskomme. Ich hab jetzt Hilfe, andere Hilfe als vorher. Ich hab Freunde, die sich wirklich für dich interessieren. Ich konnte schon viel über dich erzählen. Über das eine Mal, wo ich dir deine Jacke zugeworfen habe und das Portmonee darin dir das blaue Auge verpasst hat.
Oder wie wir als Kinder zusammen zu mir nach Hause gegangen sind und du mich an der Straße immer an die Hand genommen hast. Weil ich war ja die Kleine. Ich durfte nicht an der Straßenseite gehen.

Ich hab ihnen erzählt, dass wir mit meinem Vater zusammen kochen gelernt haben.

Und ich glaube du hättest sie alle gemocht. Sie erinnern mich manchmal sehr an dich. Und inzwischen bin ich so weit, dass ich sagen kann, dass ich weiß, wie ich sie davon abhalten kann deinem Beispiel zu folgen. Ich habe da zwar immer noch Angst vor, aber es wird besser.

Mehr hab ich grad auch nicht zu erzählen.

Und du ja auch nicht. Ändert sich ja nichts bei dir.

Also würde ich sagen – bis nächstes Jahr! <3

Irregular DiaryWhere stories live. Discover now