Daenerys

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,,Unmöglich", rief sie, als ihr Botschafter geendet hatte. ,,Nein, wie kann das -... Seid Ihr Euch sicher?"

Zum dritten Mal fiel Dany auf, dass die Augen des Mannes kurz zu dem flackernden Kamin herüberhuschten. Sie sah Tyrion an, ihre Hand der Königin, doch er machte einen ähnlich erschrockenen Eindruck wie sie.

,,Ganz sicher, Euer Gnaden", antwortete der Botschafter, während er fahrig an seinem Wams herumfummelte. ,,Tyc - 'n Freund von mir, der in 'nem Wirtshaus im Wolfswald arbeitet - hat's gesagt, Euer Gnaden. Er glaubt solche Sachen nicht, hat sie nie geglaubt, hat mich immer als Dummkopf abgestempelt. Aber gestern war er ganz aufgeregt, hat gemeint, dass das sein Ruin sein wird und dass sie alle sterben werden, seine Familie und er... Er hat sie beim Holzhacken gesehn, als er tiefer im Wald war, 'ne ganze Armada von Toten. Musste sich verstecken, sonst hätten sie ihn auch gleich umgebracht. Scheint so, als wär'n die Toten geradewegs an uns vorbeimarschiert. Dachte ja, sie würden uns erst mal alle zu sich holen, aber die hatten anscheinend andere Pläne."

Ein paar Sekunden lang herrschte Stille, nur unterbrochen vom Knistern des Feuers im Kamin und dem unaufhörlichen Schniefen des Botschafters. Schließlich nickte ihm Dany kurz zu und sagte: ,,Danke für Eure Mühen. Ihr dürft gehen." Mit einem letzten wehmütigen Blick auf das prasselnde Feuer verbeugte er sich, zog ein Taschentuch aus seiner Bauchtasche und verschwand herzhaft schnäuzend aus der Tür.

Alle schienen den Atem anzuhalten. Tyrion war der Erste, der sich wieder fing. ,,Euer Gnaden", sagte er und trat näher zu ihr heran, das vernarbte Gesicht in Falten gelegt. ,,Wenn ich Euch einen Vorschlag unterbreiten dürfte - "

,,Ich verstehe einfach nicht, was das bedeuten soll", unterbrach ihn Dany mit leiser Stimme. ,,Ich meine... was beabsichtigt er damit? Seit Wochen laufen die Vorbereitungen auf den Krieg, Gendry hat mir berichtet, dass die Waffen aus Drachenglas beinahe fertig sind, und meine Männer hungern bereits, weil wir das Essen rationieren müssen. Ich dachte... wir dachten alle, sie würden uns bald angreifen, und dann würden wir sie vielleicht besiegen, und dann wäre der Winter vorbei! Wenn wir jetzt noch länger warten, verhungern wir, ich kann die Dothraki kaum noch ruhigstellen, sie wollen kämpfen! Jon..."

Sie wandte sich zu dem schwarzhaarigen Mann um, der bis jetzt nur die Lippen geschürzt und geschwiegen hatte.

,,Jon, dein Bruder sagte, sie wollten einen ewigen Winter erreichen, und wie könnten sie das besser als wenn sie zuerst den ganzen Norden einnähmen?Seit wann macht der Nachtkönig sich etwas aus seinen Opfern? Wieso greift er uns nicht an? Und warum hat uns dein Bruder nicht zuallererst davon berichtet?"

Mit fiebrigem Blick sah sie Jon an, ihren Geliebten, den Einzigen, der sie noch nicht einmal enttäuscht hatte, seit sie ihn kennengelernt hatte. Sie hoffte, er würde die Antwort auf dieses Rätsel kennen. Vielleicht hätte sie die Antwort selbst gekannt, wenn sie nicht so durcheinander gewesen wäre, und sie hatte das drängende Gefühl, dass sie eigentlich klüger sein müsste. Doch im Moment ließ ihr Verstand sie spürbar im Stich, und je mehr sie darüber nachzudenken versuchte, desto schlimmer wurden ihre Kopfschmerzen.

Jon zögerte zuerst, ehe er den Mund auftat; er schien seine Worte mit Bedacht zu wählen.

,,Kannst du dir nicht vorstellen, dass vielleicht genau das seine Absicht sein könnte?" Er trat aus dem Schatten hervor, wo er bisher an eine Wand gelehnt dagestanden hatte. Sein Gesicht wurde nun auf einer Seite vom Feuer erhellt. Mit ernsten Augen sah er Dany an.

,,Wenn ich so darüber nachdenke, war es närrisch von uns, anzunehmen, dass sich der Nachtkönig so einfach herbeipfeifen lässt, wenn wir es wünschen. Was wäre klüger als seine Feinde zuerst aushungern und erfrieren zu lassen und ihnen erst dann ein Ende zu setzen, wenn sie am Rande ihrer Kräfte sind, und währenddessen in aller Seelenruhe den ganzen Kontinent einzunehmen?
Ich war dumm, so unglaublich dumm, dass ich nicht früher auf diesen Gedanken gekommen bin. Was Bran angeht, habe ich allerdings keine Ahnung. In letzter Zeit sehe ich ihn kaum. Er scheint mit irgendetwas ganz beschäftigt zu sein. Ich... ich kenne ihn nicht mehr", schloss er bedauernd und senkte den Blick.

,,Meine Königin", sagte Tyrion, noch bevor Dany antworten konnte. ,,Wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt - wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn Jon recht hat und die Weißen Wanderer uns aushungern wollen, dann könnte es sein, dass sie die Burg umstellen und uns jeglichen Zugang zu Holz und Nahrung verwehren. Wir müssen handeln, jetzt sofort; ich schlage vor, dass Ihr eine Auswahl Eurer Männer losschickt, um Vorräte zu besorgen, bevor niemand von uns mehr die Burg verlassen kann."

Dany nickte abwesend und starrte scheinbar fasziniert ins Feuer.

,,Gut. Ihr habt recht. Ich werde gleich welche losschicken." Sie sah sich in dem ansonsten menschenleeren Raum um und dachte angestrengt nach, dann sprach sie die Frage aus, die ihr am meisten auf der Seele lag.
,,Und dann?", murmelte sie in die Stille hinein. ,,Was passiert dann?"

,,Was meinst du?", fragte Jon und fasste sie sanft am Arm. Dany drehte sich mit glasigen Augen wieder zu ihm um.

,,Ich meine nur..." Sie zögerte und fragte sich wieder, ob sie die Antwort auf ihre Frage nicht eigentlich kennen müsste. ,,Was machen wir, wenn ihr beide richtig liegt? Wohin sollen wir fliehen, wer soll uns helfen, wenn wir hier alle der Reihe nach sterben? Im Süden wären wir sicherer, zumindest eine Zeitlang, aber solange Cersei auf dem Thron sitzt, wären wir dort ebenso dem Tod ausgeliefert wie hier.
Wenn es so ist, wenn das die einzige Chance ist, die uns bleibt... dann müssen wir Cersei zuerst unschädlich machen."

Tyrion zögerte; er schien sie für genauso verrückt zu halten wie sie sich fühlte.
,,Wollt Ihr... wollt Ihr Königsmund einnehmen und den Eisernen Thron besteigen, ohne dass wir vorher den Nachtkönig besiegt haben?", fragte er sie vorsichtig. ,,Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Eure Männer und die von Jon sich einen solchen Aufstand leisten könnten, zumindest jetzt noch nicht.
Der Nachtkönig ist im Moment die größte Gefahr, und wir können nicht Tausende unserer Kämpfer riskieren, indem wir versuchen, Cersei vom Thron zu stoßen.

Und - nebenbei bemerkt - macht der Nachtkönig auch keinen Unterschied zwischen Königen, Lords oder Ladys; säßet Ihr auf dem Eisernen Thron, hätten wir vielleicht mehr Männer, aber nicht so viele, wie wir durch den Kampf gegen Königsmund verlieren würden. Letztendlich würde nichts davon den Nachtkönig wirklich aufhalten."

,,Ich habe nicht vom Eisernen Thron gesprochen", erwiderte Dany und sah kühl auf den Zwerg hinab.
,,Ich habe davon gesprochen, Cersei zu entführen."

Tyrion schwieg überrascht angesichts dieser Entgegnung. Dann neigte er den Kopf in ihre Richtung und fragte höflich: ,,Was schlagt Ihr vor?"

Game of Thrones - Das wahre Ende || Game of Thrones FFWhere stories live. Discover now