Telefongeflüster

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Die vertraute Nummer eintippend machte es sich Lara auf der Couch gemütlich. Der Hörer piepste ein paar Mal, bis eine Stimme sich meldete. „Jenna Hamigan.“
„Hi, ich bin’s, Lara!“ Ein freudiges Aufschreien am anderen Ende der Leitung. „Das ist dann wohl eure neue Nummer - die muss ich unbedingt gleich speichern! Und wie war deine Reise? Hat alles geklappt mit deinen Sachen?“, fragte ihre beste Freundin los. „Ja, alles lief bestens“ - Lara klopfte auf die Schachteln neben ihr - „und die Wohnung ist echt der Wahnsinn! Ich freue mich schon, dass du morgen zum Kaffee kommst. Dann kann ich dir alles noch genauer zeigen. Und wie geht’s dir so? Gibt’s was Neues?“
„Charlie wird heiraten, ach Moment, das habe ich dir ja schon erzählt als wir das letzte Mal telefoniert haben. Aber ich soll dir noch schöne Grüsse ausrichten von ihm!“ Jenna hickste. Lara horchte sofort alarmiert auf. So weit sie sich erinnern konnte, hatte sie Jenna nie mit Schluckauf erlebt, ausser sie hatte vorhin geweint. „Was ist denn los, Süsse?“, fragte Lara vorsichtig. „Ach, es ist nichts. Nur ein dummer Streit, aber Mason wird sich schon wieder fangen. Hoff ich zumindest...“ Das klang aber gar nicht gut, fand Lara. „Was ist denn passiert?“ Tiefes Luftholen an der anderen Seite. „Ich hab mich doch beworben für ein Regiestudium, nachdem ich mein Praktikum beendet hatte. Und ich wurde angenommen.“
„Was ist daran nun schlimm?“ Ein Moment der Stille. „Ich hab mich nicht nur in der Nachbarsstadt beworben, sondern auch noch an anderen Kunsthochschulen. Davon habe ich Mason nichts erzählt, da ich nicht dachte, dass ich an ausländischen Schule überhaupt eine reelle Chance habe angenommen zu werden.“ Bis zu diesem Zeitpunkt hatte auch Lara nichts davon gewusst, aber die nächsten Worte ihrer besten Freundin brachten sie so aus dem Konzept, dass sie ganz vergass sich darüber zu wundern, dass nicht mal sie von diesen Bewerbungen gewusst hatte. „Die Zusage ist von einer Schule in New York.“
„Oh... Das ist ganz schön weit weg. Mit viel Wasser dazwischen. Sehr viel Wasser.“ Lara hätte sich für diese ungemein hilfreiche Feststellung gleich selber ohrfeigen können. Etwas Dümmeres hätte ihr auf der Stelle nicht einfallen können. Sie musste diese Neuigkeiten erstmals verdauen. „Wirst du dahin gehen?“, fragte sie schliesslich. „Es ist eine einmalige Chance, die sich mir bietet. Es ist eine der renommiertesten Schulen und sie wollen mich. Da kann ich kaum Nein sagen. Das will ich auch gar nicht. Für diesen Traum arbeite ich nun schon so lange“, gab Jenna zu. „Und Mason?“, hackte Lara nach. „Er wird es verstehen. Wir sind schon so lange zusammen und dann ist nicht einfach so Schluss. Oder?“
Die klägliche Stimme ihrer besten Freundin fuhr Lara tief unter die Haut. „Bestimmt nicht“, versuchte sie Jenna zu trösten. „Bis jetzt habt ihr noch jede Situation gemeistert.“
„Ich habe ihn mit den Neuigkeiten einfach überrollt und er weiss nur noch nicht, was er dazu sagen soll. Es wird bestimmt alles gut, ich sollte mir keine Sorgen machen.“ Lara konnte Jennas kleines Lächeln durch den Hörer spüren. „Ich freu mich für dich, dass du deinem Traum ein Stück näher bist, auch wenn du nun wegziehst, so kurz nachdem ich endlich wieder da bin. Und Mason wird sich auch noch freuen. Er liebt dich dafür, dass du für deinen Traum kämpfst.“
„Danke, Lara. Aber so schnell bist du mich auch nicht los“, grinste sie. „Hoffentlich nicht!“ Lara lachte auf. „Ausserdem sind wir morgen zum Kaffee verabredet, weisst du noch?“
„Klar doch! Soll ich Muffins mitbringen? Als Einweihungsgeschenk sozusagen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du und Sam zusammengezogen seid. Es ging alles so schnell!“
„Muffins wären toll! Aber welche mit Schokolade. Und ja, es ging alles sehr schnell, als ich entschieden habe, mein Studium hier zu beenden, aber es hat einfach perfekt gepasst.“ In diesem Augenblick hörte Lara das Drehen eines Schlüssels im Loch und die Türe sprang auf. Ein überraschter Sam stand im Türrahmen. „Du bist schon da? Dein Zug kommt doch erst morgen an?“ Lara lächelte. „Ich hielt es einfach nicht mehr länger aus und dann habe ich einen früheren Zug genommen. War es eine gute Überraschung?“ Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und schnurstracks überbrückte er die Distanz zwischen ihm und seiner Freundin. Doch anstatt sie zu küssen oder zu umarmen, wie er es sonst immer tat, schnappte er ihr das Telefon aus der Hand. „Hi, wer auch immer hier dran ist, Lara ist erst ab morgen wieder erreichbar. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“ Dann legte er einfach auf. „Hey! Das war Jenna!“ Die würde sie ja bald sehen, meinte Sam und dann erst küsste er sie. Als wäre es der erste und letzte Kuss gleichermassen und alles, was er sich wünschte.

Blanc ÉclatantWhere stories live. Discover now