Kapitel IX

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Der Morgen bricht an.
Sophia erscheint nicht.

Crest wacht auf und Kendra gesellt sich wieder zu uns.
„Sie kommt nicht mehr", spricht Kendra nach einigem Schweigen aus, was ich bereits um Mitternacht dachte.
Ich bin todmüde und erschöpft, meine Angst um Sophia ist mein Antrieb, nicht einzuschlafen.

„Wir müssen auf sie warten, wir haben es versprochen", meine Stimme ist heiser von der langen Redepause. „Wir müssen aber auch von hier weg", gibt Crest zu bedenken.

Sofort kriegt er die Wut ab, die meine Angst hervor gerufen hat: „Wie kannst du wagen, dass anzusprechen? Wir sind eine Familie. Wir sind ein Trio. Wir haben ihr versprochen zu warten. Ich werde nicht fortgehen." „Das sagte ich auch, nach dem Tod meines Vaters und ihr erinnertet mich an das wesentliche, dass wir uns schützen müssen."

„Hast du überhaupt keine Ahnung Treue?" „Ich habe nicht gesagt, dass wir sie zurücklassen müssen. Ich wollte andeuten, dass wir eine Möglichkeit finden müssen, auf sie zu warten und uns zu schützen."

Ich sage nichts mehr.
Den Gedanken den Ort und Sophia zu verlassen, kann ich nicht ertragen.
Kendra steht auf und geht hin und her, sie überlegt: „Ihr braucht einen neuen Zufluchtsort, Sophia muss euch aber finden können. Einen sicheren und doch leicht erreichbarer Ort... Wie wäre es mit anderen Rebellen?"

Crest lehnt bestimmt ab: „Wir können nicht noch mehr Menschen in Gefahr bringen." „Wie wäre es, wenn ihr das Kapitol verlasst?"
„Dann findet Sophia uns nicht wieder", wende ich ein. Kendra überlegt weiter: „Und wenn ihr Spuren hinterlasst?"

Keine so abwegige Idee. Gefährlich, aber was ist denn schon sicher?
„Ich bin dafür", stimmt Crest zu. Erleichtert nicke ich: „Dann bin ich auch dabei! Die Frage ist nur, was für Zeichen das sein sollen."
„Das entscheiden wir dann. Wir machen sie eindeutig, aber so auf Insidern gebaut, dass allein Sophia sie als Zeichen erkennt", beschließt Crest.

Damit sind wir uns einig und können uns auf die größte Herausforderung konzentrieren: „Wie können wir das Kapitol verlassen?"

Kendra legt ihren Kopf in den Nacken und sieht zur Decke: ,,Es gibt einen Weg... Noch gefährlicher als der Diebstahl. Noch riskanter.
Doch letztendlich der einzige von dem ich weiß." ,,Welcher?", Crest kneift nachdenklich die Augen zusammen.

,,Der Zug, er fährt heute Nachmittag die Distrikte ab. Es sind noch acht Tribute am Leben, das heißt, dass die Familien und Freunde interviewt werden. Ihr müsst unfällig rein kommen. Bei Distrikt zwei verlasst ihr den Zug. Der Distrikt hat keinen Stromzaun oder ähnliches, Distrikt zwei ist so unterworfen, sie würden nichts tun und das Kapitol überwacht sie weniger als andere."
Der zweite Plan ist noch verrückter, als der mit dem Diebstahl und wieder ist es der einzige den wir haben.

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,,Viel Erfolg" , wünscht Kendra uns.
Ich kann nur nicken, meine Stimme gehorcht mir nicht mehr.
Wir haben alles zurück gelassen außer den Decken, sie werden auch von Nöten sein.
Im Gedränge der Stadt verstecken wir uns und lassen uns mit dem Strom zum Bahnhof treiben.
Einzelheiten unseres Plans gibt es nur eine: Wir verstecken uns in der Ladung.
Wie Kendra vermutet hatte, sind nur Arbeiter da, die die großen Kisten verstauen.

Zwei stehen genau in unserer Nähe, Crest drückt meine Hand: ,,Wir schaffen das! Ich glaube an uns und unser Glück."
Ich schluchze einmal auf, dann küsse ich ihn, wenigstens ein letztes Mal, bevor wir sterben.

Die Arbeiter tragen eine der besonders schweren Kisten in den Zug, wir warten bis sie verschwunden sind und sprinten dann zu den vorderen Kisten, öffnen die Deckel, springen hinein und verschließen sie wieder.
In meiner Kiste sind Stoffe und Kleider, ich habe Glück gehabt, so kann ich mich bewegen, ohne Geräusche zu machen.

Die Arbeiter nehmen Crests Kiste und tragen sie davon, ich wage kaum, zu atmen.
Wenigstens bin ich so angespannt, dass ich meine Angst unterdrücken kann.
Die nächste Kiste die sie holen, ist meine. Ich spüre, wie ich hochgehoben werde und die Kiste wackelt.
Bei den Schritten der Arbeiter bebt das Holz und ich werde leicht durchgerüttelt.

Sie lassen mich unsanft fallen und ich kann nur warten.
Immer wieder erhallt das Donnern, wenn sie eine Kiste abstellen.
Irgendwann ist Stille.

Ich starre vor mich ins Dunkel.
Die Tür des Abteils wird geschlossen.
Ich höre gedämpfte Schreie und Rufe.
Dann geht ein Beben durch den Zug, ein Pfiff ertönt und der Zug fährt los.
Wir fahren in Richtung Distrikt zwei.

Ich verliere das Gefühl für Zeit, während ich nur abwarte.
Irgendwann hält der Zug.
Ich höre Crests Stimme: ,,Komm schnell raus! Wir verstecken uns, bevor sie die Kisten rausräumen."

Ich öffne den Deckel und richte mich auf, alles tut mir weh, von der gekrümmten Haltung über lange Zeit.
Ich nehme Crests Hand, steige aus der Kiste und schließe jene wieder.

Wir bahnen uns einen Weg zwischen den Kisten hindurch zur hintersten Ecke, dort kriechen wir unter eine Plane, in der Hoffnung in dem spärlich belichtetem Raum nicht aufzufallen.

Arbeiter kommen und räumen die Kisten aus dem Zug, dann gehen sie weiter.
Trotzdem bleibe ich wachsam und horxhe zuerst, bevor ich unter der Pläne durchschaue.
Die Tür wurde offen gelassen, draußen auf dem Bahnsteig stehen nur Kisten.
Crest wirft die Plane zur Seite und wir schleichen zur Tür.

Die Arbeiter sind im anderen Abteil.
,,Jetzt", befiehlt Crest und rennt los. Ich folge ihm.
Wir laufen hinter eine Mauer, die nicht weit entfernt ist.
Die Arbeiter haben uns nicht gesehen.
Wenigstens dieses Mal ist das Glück uns hold. Hier warten wir wieder, bis nichts mehr von dem Bahnsteig aus zu hören ist.
Die Kisten sind weiter getragen worden, die Arbeiter fort.

Langsam, um nicht aufzufallen laufen wir über den Bahnhofsplatz und bewegen uns auf die Stadt zu.
Bevor wir sie erreichen, gehen wir von der Straße herunter und zu dem Stacheldrahtzaun, der den Distrikt umgibt.
,,Wir haben wieder Glück, kein Strom!", murmelt Crest. ,,Halte du Wache, ich versuche den Zaun zu lockern."

Von hier aus habe ich einen guten Überblick, ich sehe früh, wenn sich jemand nähert.
Crest bastelt am Zaun herum und kurz darauf, ist eine größere Lücke zwischen Zaun und Boden.
Er deutet mir an, zuerst durchzukriechen. Ich mache mich ganz flach und hoffe nur, dass nicht plötzlich der Strom angeht.

Auf der anderen Seite vom Zaun komme ich wieder auf die Füße, ich fühle mich plötzlich sicher, frei.
Ich halte den Zaun etwas hoch, damit Crest besser durchkommt.
Doch als er sich auf den Boden legt, sehe ich sie. Zwei Friedenswächter die von der Stadt aus in Richtung Bahnhof gehen, und sie haben mich gesehen.

,,Beeil dich, Crest!", meine Stimme bricht. Die Friedenswächter rennen auf uns zu und ziehen ihre Pistolen.
Crest robbt schneller unter dem Zaun durch.
Schüsse werden auf uns abgefeuert.
Crest springt auf und wir rennen zum Wald.

Immer noch knallt es und ich rechne jeden Moment damit, getroffen zu werden.
Doch der Wald gibt uns Schutz, wir laufen zwischen den Bäumen und nutzen unseren Vorsprung.
Ich renne, wie ich noch nie zu vor gerannt bin.

Mit der Zeit hören wir keine Schüsse mehr und verlangsameren das Tempo, bleiben aber im flotten Tempo.
Langsam beruhigt sich wieder alles in mir und ich kann kaum glauben, dass wir es geschafft haben.
Ich greife Crests Hand und muss lächeln.
Wir sind noch nicht tot.


Schweigen - Hungergames FFWhere stories live. Discover now