Prolog

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Zweige peitschen mir ins Gesicht. Meine Füße rutschen über den feuchten Boden.

Ich kneife meine Augen leicht zusammen, um sie vor Dreck und Dornen zu schützen. Blindheit wäre mein Tod.

Crest merkt, dass ich Schwierigkeiten habe, ihm zu folgen. Er fällt zu mir zurück und greift meine Hand: „Halte durch, ewig können sie uns hier nicht verfolgen. Bald kriegen wir Hilfe, es ist nicht mehr weit zu Distrikt 13." Ich kann nicht antworten, dafür fehlt mir die Luft, also nicke ich nur und laufe mit ihm zusammen weiter. Seine warme Hand zieht mich nach vorne, stärkt mich und gibt mir Hoffnung.

Trotzdem raubt mir zusätzlich auch die Angst noch den wenigen Atem.

Was ist, wenn sie uns doch kriegen? Was ist, wenn es Distrikt Dreizehn doch nicht gibt? Wenn alles umsonst war? Was ist, wenn wir vorher sterben und nie ankommen? Wenn ich ihn verliere und alleine weiter muss? Was ist, wenn ich ihn mit meinen Anfällen aufhalte und er dann wegen mir stirbt? Dann müsste ich mit sterben, denn die Schuld könnte ich nicht ertragen.

Diszipliniere deine Gedanken, rufe ich mir in den Kopf. Über Fragen, die nicht beantwortbar sind, nachzudenken, bringt nichts. Ich werde keine Antwort bekommen und werde dafür nur keine Zeit haben, zu reagieren, wenn es sein muss.

Die Vögel sind stumm, nehme ich nebenbei war. Sie schweigen, von unseren Schritten aufgescheucht.

Plötzlich stolpert Crest, er fängt sich, aber wir müssen kurz stoppen.

Er richtet sich wieder auf und zieht mich weiter, aber wir haben den Schwung verloren und er muss wieder sein Gleichgewicht finden.

Da sehe ich sie, ein Mädchen und ein Junge, sie hocken unter einem Felsvorsprung. Sie sehen überrascht aus, abschätzend, erkennend.

„Hilfe! Helft uns!", rufe ich. Ich weiß nicht, wer sie sind, aber wer hier im Wald ist, lehnt sich gegen das Kapitol auf, mehr brauche ich nicht zu wissen.

Aber sie bleiben wo sie sind, ob sie überlegen und nicht wissen, was sie tun sollen, ob sie einfach nicht helfen wollen oder mich nicht verstehen ist egal, sie reagieren nicht.

Und dann erstarrt Crest und ich erblicke das Hovercraft. Ein Netz fällt auf mich, ich werde erst zu Boden gerissen und dann in dem Netz hochgehoben.
Den Speer sehe ich vor Crest.
Ich warne ihn durch einen Aufschrei, um ihn zu schützen, doch der Speer schießt auf ihn zu und trifft ihn genau im Brustkorb.
„Crest!", meine Stimme überschlägt sich fast, so hoch spreche ich.
Es ist halb ein Keuchen, halb ein Schrei. Er will etwas sagen, aber ich werde nie erfahren was.

Am Speer, der mit einem Seil am Hovercraft befestigt ist, ziehen sie ihn zu mir hoch.

Er hängt schlaff, keine Regung in seinem Gesicht ist zu erkennen, denn er hat mich verlassen.

Alles dreht sich, alles verschwimmt. „Crest!", panisch rufe ich nach ihm.

Er hört mich nicht. Es gibt nichts mehr für mich.

Keine Antwort. Nie wieder. Stille. Schweigen.

Ca. ein Jahr später

Das Mädchen.
Nie wieder hatte ich erwartet, sie zu sehen. Aber doch sieht sie jetzt mich.

Gemischte Gefühle kommen in mir auf. Wut, Trauer, Mitleid, Angst.

„Hey, dich kenne ich doch!", durch den Satz habe ich sie erkannt, werde sie nicht wieder vergessen.
Ihr Gesichtsausdruck ist erst verwundert, dann mischt sich Grauen mit hinein.

Sie weiß es. Ich weiß es. Diese Erinnerung tut uns beiden weh, wobei mir noch deutlich mehr als ihr. Ich will es nicht, ich will sie nicht, ich will den Schmerz und die Sehnsucht nach Crest nicht. Und vor allem will ich nicht, dass sie es erzählt, dass sie auch noch sich in Gefahr bringt.

Es reicht das eine von uns nicht mehr sprechen kann, für immer schweigen muss.

Also schüttel ich den Kopf und gehe davon, versuche meine Tränen zu unterdrücken.

Ich gehe in den Nebenraum, in den ich mich immer flüchte, wenn ich einen meiner Anfälle habe. Wenn ich die Kontrolle verliere, die Angst mich überwältigt.

Dann sitze ich hier und drücke mir den alten Lappen in den Mund, um nicht aufzufallen durch mein Schluchzen und Schreien.

Ich knie mich hin und schon bricht es aus mir heraus. Ich kann nur daran denken, dass ich das Stoffstück brauche. Noch rechtzeitig unterdrückt der Lappen meinen Aufschrei.

Ich zittere und lasse den Tränen nach. Sie rollen über mein Gesicht und tropfen auf meine Arme und Hände. Von dort laufen sie hinunter, bis sie auf den Boden fallen.

Ich schüttele mich und werfe mich hin und her.
Crest. Sein Name ist das einzige was ich denke, alles um mich herum wirkt, wie aus einer anderen Welt.

Ich habe das Gefühl unterzugehen, zu ertrinken.
Ich kann nichts mehr wahrnehmen außer der Angst und sitze nur da und warte ab.
Mehr kann ich nicht tun.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich wieder zu mir und traue mich, den Lappen aus dem Mund zu nehmen und mich zurück an die Wand zu lehnen.

Langsam gehe ich durch, was passiert ist.
Sie ist hier. Sie hat mich erkannt. Ich bin gegangen und durch die Vorahnung hier hin gelangt.
Ich habe Angst bekommen und bin zusammen gebrochen.

Jetzt muss ich mich beruhigen, mich fassen. Denn wenn ich nicht bald erscheine, wird es durch die Strafen noch schlimmer.

Schnell wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und atme durch.

Seid seinem Tod sind die Anfälle Teil meines Tages. Die Hoffnung sie würden verschwinden - mit ihm ist auch sie gestorben.

Schweigen - Hungergames FFWhere stories live. Discover now