Kapitel IV

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Es dauert, bis ich langsam wieder mehr wahr nehme.
Jemand hält meine Hände und spricht auf mich ein: „Alles ist gut, du bist sicher. Wir beschützen dich."

Crest sitzt vor mir auf dem Boden und schaut mich fest an.
Sophia streichelt meine Schulter.
Ich knie noch auf dem Boden und die Anspannung lässt langsam nach. „Danke", wispere ich.
Crest drückt meine Hände fester: „Du bist nicht allein, wir sind da."

Sophia nimmt meine Hände aus Crests Händen: „Lass uns zurück gehen, es gab keine Schüsse oder Knälle, dann dürfte nichts los sein bis jetzt. Eventuell können wir noch irgendwie eine Hilfe sein."
Sie hilft mir hoch und gibt mir ein Seidentaschentuch, ich wische meine Tränen weg und atme tief durch.

Eins, zwei, drei, vier... Ich zähle, so wie es Sally mir immer empfiehlt. Langsam kommt wieder richtig Leben in meinen Körper, ich gehe zwischen den beiden, sie stützen mich von den Seiten.

Gerade als wir zur Tür kommen, verlassen die Friedenswächter das Haus: „Uns tut die Verwechselung sehr leid, einen schönen Abend noch." Sally winkt ihnen hinterher: „Alles gut und Ihnen auch einen schönen Abend." Sie erblickt uns und erfasst sofort die Lage: „Kommt rein, du musst dich hinsetzen, Liebes."

Ich taumele durch den Flur zum Wohnzimmer und falle auf das Sofa.
Sally blickt aus dem Fenster auf die Straße und geht sicher, dass die Friedenswächter wirklich verschwinden. Sie eilt zum Schrank und schiebt ihn mit Crests Hilfe zur Seite, um die Tür freizulegen.

Als erstes bringen die Rebellen Daven in seinem Rollstuhl hoch, dann verlassen die ersten in einer kleinen Gruppe das Haus durch ein Fenster in Richtung Garten, sie wollen sich dort verstecken und dann abwarten, bis sie dann einen Weg suchen, das Gelände ungesehen von Kameras zu verlassen.
Drei andere verstecken sich auf dem Dachboden, sie nehmen einen Computer mit und wollen die Kameras im ganzen Viertel ausschalten.

Die anderen gehen zurück in den Keller oder in das Hinterhaus.
Sally, Sophia, Crest, Daven und ich bauen ein Brettspiel auf und spielen, falls jemand uns durch das große Fenster filmt.

Nichts passiert, alles bleibt ruhig. Sally bringt Daven wieder in sein Zimmer, damit er wieder schlafen kann.
Erst nach drei Stunden wird plötzlich alles dunkel. Schritte auf der Treppe erklingen, die Rebellen vom Dachboden kommen nach unten: „Stromausfall im halben Kapitol, wir haben höchstens zehn Minuten.
Jetzt oder nie!"

Alle verlassen geduckt das Haus durch die Hintertür und zwanzig Gestalten schleichen sich auf die Straße.
Sophias Eltern und Crests Vater gehören zu ihnen.

Fünf Minuten später geht das Licht wieder überall an.
Wir gehen zur Haupttür und verabschieden Sophia und Crest: „Bis dann, war ein netter Abend."
„Bis morgen", Sophia umarmt mich und dann gehen sie uns Crest auf die Straße.

Sally schließt die Tür und lehnt sich von hinten dagegen: „Das war knapp. Wir müssen uns beim nächsten Mal wo anders treffen." Ich nicke nur und wir gehen ohne weitere Worte ins Bett.
Heute sind wir dem Tod ganz knapp entgangen.

In meinem Zimmer mache ich einen Strich im Kalender und lege mich dann, ohne mich umzuziehen, ins Bett. Müdigkeit überfällt mich, nicht mal Angst habe ich mehr.

Es ist still im Haus, ich höre nur mein Atmen.
Ich überlege, wie lange ich noch in diesen Haus bleiben werde.
Werde ich überleben? Werde ich in wenigen Jahren studieren? Werde ich irgendwann eine Chance auf ein normales Leben haben?
Werde ich irgendwann glücklich sein und eine behütete Familie haben?

Mit diesen Gedanken schlafe ich ein.

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Drei Tage später

Heute ist der Tag.
Heute soll unser Auftrag ausgeführt werden.
„Wenn irgendwas schief läuft, verlasst sofort das Lokal. Selbst wenn ihr noch so tolle Möglichkeiten habt!", Daven schaut mich eindringlich an. Ich weiß nicht, wie oft er das in den letzten Tagen gesagt hat...

Trotzdem nicke ich geduldig, ich hatte sowieso nicht vor, mich in Konflikte oder ähnliches einzumischen. Vermutlich würde die Angst mich auch von selbst zum Fliehen zwingen.
Sally lächelt zart und umarmt mich, ich erwidere die Umarmung. Sie ist wirklich wie eine Mutter für mich geworden.

Daven lächelt mich nur gezwungen aufmunternd an, heute ist wieder einer der schlechten Tage. Er wird nicht mal im Laufe des Tages sein Bett verlassen können.
Ich schlucke und sehe die beiden an: „Danke für alles. Für die Chance, weiter zu leben. Für die Chance, mich nicht dem Krankenhaus aussetzen zu müssen, trotz meiner Angstanfälle. Danke, für all die Jahre mit euch!
Das wollte ich euch lange schon mal sagen."

Sally umarmt mich ein zweites Mal: „Danke, dass du uns eine Chance gegeben hast. Es war nicht immer leicht für dich, vor allem zu Anfang, aber du bist eine wunderbare Tochter für uns geworden."
„Und wir sind sehr stolz auf dich", fügt Daven hinzu. „Wir werden auch immer stolz sein."

Mir wird warm ums Herz und nehme seine Hand und drücke sie: „Danke! Bis heute Abend!"

„Bis heute Abend, viel Erfolg", er zwinkert aufmunternd. Ich drehe mich um und gehe durch das Haus, mit dem Blick auf die Tür.

Sophia wartet allein auf mich: „Crest wartet im Fireworker, Daven sagte, es wäre schlau es so zu machen!"
„Oh, wusste ich gar nicht", verwirrt werfe ich einen Blick zur Schlafzimmertür. Sally und Daven sprechen leise miteinander.
Egal, Hauptsache er ist dabei.

Ich und Sophia gehen die Straße entlang, sie beäugt mich von der Seite: „Morgen ist ihr Todestag, oder?" „Ja, morgen vor einem Jahr war die Eröffnungsfeier der damaligen Hungerspiele.", ich drücke meine Fingernägel in meine Handinnenflächen.

„Was kann ich dir morgen gutes tun?" „Nichts, danke." „Was hältst du davon, wenn wir etwas zu zweit machen?" Ich schaue sie dankbar an: „Das wäre eine wunderbare Ablenkung, du bist die Beste." „Vielleicht könnten wir zusammen ein Lied schreiben", schlägt sie vor. „Ich schreibe die Melodie und du schreibst den Text!"

„Es wäre ein Traum", meine Stimmung wird schlagartig besser. Wir haben schon öfter Lieder geschrieben, sie muss auch daran denken, denn sie fängt leise an zu singen:

Licht in der Nacht,
Hoffnung im Dunkel,
Klein trotz Macht,
Sternengefunkel

Bist allein,
trotz der Menschenmenge,
Fühlst dich klein,
Vernimmst nicht die tröstenden Klänge

Licht in der Nacht,
Es herrscht reine Stille,
bis einer lacht,
es besiegt den Unwille"

Hoffnung, wo es keine gibt. Hoffnung in der Angst. Das beschreibt mein Leben ziemlich gut.

Und doch gibt es immer Hoffnung, wenn man an sie glaubt.

Schweigen - Hungergames FFWhere stories live. Discover now