Teil 13 | Ozeanblaue Augen

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Mein Kopf dröhnte, als ich in dem viel zu hell erleuchteten Zimmer aufwachte.
Die fragwürdige Farbgebung der Wände und das seltsame Gemälde, das einen Dachs beim Lesen einer Zeitung zeigte, kamen mir bekannt vor.

Nach einigen Sekunden realisierte ich, wo ich mich befand. Ich lag auf einem provisorisch aufgebauten Bett inmitten des Krankenzimmers meiner Schule.
Mein letzter Aufenthalt in diesem Raum musste schon mindestens fünf Jahre zurückliegen.

In der Grundschule hatte ich häufig Probleme mit plötzlich auftretender Übelkeit gehabt. Damals hatte ich wirklich darunter gelitten. Wie sehr wünschte ich mir, auch jetzt wieder wegen solch einer Lapallie hier zu liegen.

"Oh, du bist wieder wach", drang es plötzlich in mein rechtes Ohr.

Bis jetzt hatte ich noch gar nicht bemerkt, dass Sabrina neben mir saß.
Besorgnis lag in ihrem Blick, doch da war noch etwas anderes. War es Nervosität? Oder gar Angst?

"Ja...", war das einzige, was ich hervor brachte.

Meine Kehle fühlte sich an, als hätte ich einen ganzen Tag lang keine Flüssigkeit zu mir genommen. Unwillkürlich musste ich husten, was Sabrina aus irgendeinem Grund mehr erschreckte, als es sollte.

"Alles gut?", fragte sie so zögerlich, als würde ihr Leben von meiner Antwort abhängen.

Ich verneinte, indem ich meinen Kopf schüttelte.

Sabrina senkte traurig ihren Blick.
"Was ist denn nur los mit dir? Du bist plötzlich einfach umgekippt! Ich mach mir langsam echt Sorgen um dich."

Ich setzte mich auf und fixierte die Leinwand, auf der vor langer Zeit der seltsame Dachs verewigt worden war.

"Was mit mir los ist? Das kann ich dir sagen. Die Mitesser...", ich deutete auf meine Stirn, als würde ich meiner besten Freundin den Vogel zeigen, "...Sie sind im meinem Hirn angekommen."

Während ich die unangenehme Wahrheit aussprach, zog sich in mir alles zusammen, was einen erneuten Hustenreflex auslöste.

Sabrina verzog fast schon angewidert das Gesicht.

"Ernsthaft? Schon wieder diese Mitesser? Die Nummer hast du doch eben auf der Toilette schon gebracht. Oder ist das irgendein geheimer Code, den ich nicht verstehe?"

Es machte mich wütend, dass Sabrina mein Leid bloß als irgendein Hirngespinst abtat. War das etwa die Art, seine beste Freundin zu behandeln?

"Nein, so ist das nicht. Erinnerst du dich noch an letzten Sonntag? Da hab ich dich doch gefragt, ob es normal ist, dass Mitesser Schmerzen verursachen", begann ich langsam.

Ich wollte, dass Sabrina von meiner Geschichte erfuhr.
Wem sonst sollte ich von den Vorfällen erzählen? Wenn sie die gesamte Geschichte hörte, musste sie mir einfach glauben.

"Ja, das weiß ich noch. Und ich weiß auch noch, dass ich dir gesagt habe, dass deine Schmerzen ganz sicher nicht von irgendwelchen Mitessern ausgehen."

Ich ging nicht auf ihre Antwort ein.
Stattdessen erzählte ich einfach weiter. Schließlich wusste ich nicht, wie lange ich noch dazu in der Lage sein würde, klar zu denken und ganze Sätze zu formulieren.

"Ich hatte so starke Schmerzen, das glaubst du gar nicht. Aber es war Sonntag und alle Läden waren geschlossen. Also musste ich mir selbst helfen."

"Worauf willst du hinaus?"

Ich bemerkte die Mischung aus Unverständnis und Unsicherheit, die von Sabrinas ozeanblauen Augen ausging.

Ihre Augen hatten mich schon immer fasziniert.

In ihnen konnte man sich wirklich verlieren. Es war, als würde man in ein bodenloses, tiefes Gewässer sehen. Die pechschwarzen Pupillen rundete den Anblick perfekt ab. Es hatte fast den Anschein, als seien sie schwarze Löcher, die versuchten, die Wassermengen in sich hinein zu saugen.

Kein Wunder, dass Sabrina so beliebt bei den Jungs war.

"Annelie? Bist du noch da...?"

Ich hörte die Stimme meiner besten Freundin, doch ich konnte das Gesprochene nicht in sinnvolle Wörter übersetzen.

Nicht, weil ich ihre Bedeutung vergessen hatte, sondern weil ich so fixiert auf Sabrinas Augen war. Sie waren hübsch, aber das war nicht der Grund, wieso ich so sehr an ihnen klebte.

Ich hatte eine Anomalie bemerkt.
Eine erschreckende Anomalie, die bewirkte, dass mir die Kinnlade herunter fiel.

"Hallo? Was ist los?"

Ich wollte Sabrina erzählen, was ich da gerade vor mir sah, doch ich brachte kein Wort heraus. Zu schrecklich war der Anblick, der sich mir gerade bot.

Ihre Pupillen.

Eben hatten sie sich noch in einem normal großen Zustand befunden, doch jetzt waren sie dabei, das Meer um sich herum völlig zu verschlucken.

Und noch etwas war seltsam. Sie waren nicht mehr konstant rund. Stattdessen schienen sie instabile Ränder zu haben, die sich ständig neu verformten.

Das ungute Gefühl in meinem Bauch verschlimmerte sich drastisch.

"Annelie?"

Die schwarzen Löcher inmitten des tiefblauen Ozeans hatten einen festen, glibbrigen Zustand angenommen.
Langsam pressten sie sich nach vorne und durchbrachen somit die Hornhaut, die ihnen zuvor als Gefängnis gedient hatte.

Mir war es unbegreiflich, wie Sabrina so ruhig bleiben konnte.

Diese Konsistenz. Diese Farbe. Und diese wurmartige Form...

Kein Zweifel. Das was sich da in Sabrinas Augen eingenistet hatte, waren Mitesser!

Konnte es sein, dass ich sie angesteckt hatte?

War sie irgendwie mit dem Schleim in Berührung gekommen?

In diesem Moment konnte ich nur einen einzigen Gedanken fassen.

Ich musste Sabrina retten.

Ohne die Risiken abzuwägen, ballte ich die Fäuste und schlug meiner besten Freundin mit voller Wucht ins Gesicht.

MitesserWhere stories live. Discover now