Kapitel 5

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Im Streit klärt man nicht die Wahrheit, sondern die Beziehungen.

Wladimir Goloborodko

Sandra war verzweifelt

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Sandra war verzweifelt. Sie wollte doch gar nicht mehr weinen. Nicht vor Kai und vor allem nicht vor Finn, der wie auf Kommando ebenfalls anfing zu jammern. Der dies vielleicht aber nur deshalb tat, weil er sich mit dem Gipsarm nicht so frei bewegen konnte und nichts mehr zum Spielen in der Hand hatte.

Sie schaffte es nicht, ihr Schluchzen unter Kontrolle zu bringen, während ihr erneut heiße Tränen über das Gesicht liefen. Sie klammerte sich blindlings an Kai, der sie daraufhin noch etwas fester an sich drückte. Eine Hand strich über ihren Rücken, während sein anderer Arm ihre Schultern umfasste. Finn wurde immer lauter, doch Sandra fühlte sich nicht in der Lage, sich aus der Umarmung zu lösen.

Am Ende lockerte Sandra aber doch den Griff um Kais Oberkörper, der sie allerdings offenbar noch immer nicht wieder gehen lassen wollte. Erschöpft und nicht gewillt, sich von ihm loszureißen, lauschte sie seinem Atem und konnte spüren, wie sein Puls genau wie ihrer erhöht war. Sich mit einem Mal bewusst werdend, dass sie gerade mit einem fremden Mann in einem Hotelzimmer saß, an dessen Schulter lehnte und sich von ihm trösten ließ, versteifte sie sich.

»Es geht wieder«, flüsterte sie ihm zu und ließ es zu, dass er sie noch einmal an sich drückte. Er löste sich langsam von ihr und die angenehme Wärme, die sie eben noch umgeben hatte, verflog. Sie hörte Kai hörbar ausatmen, während er nochmal kurz über ihre Arme strich und sie dann endgültig losließ.

»Tut mir leid«, murmelte Kai und wirkte einen Moment fast schüchtern. Sandra war sich allerdings sicher, dass ihm nur ebenfalls aufgefallen war, dass sie sich nicht nur zu lang, sondern auch eine Spur zu eng aneinander geklammert hatten. Mit einer schnellen Bewegung fuhr er sich über die Augen, an deren Wimpern es feucht glänzte und lächelte schief. »Du sahst nur so aus, als könntest du eine Umarmung gut gebrauchen. Ich hoffe, ich bin dir nicht zu nahegetreten.«

»Nein, ist schon okay«, entgegnete Sandra und lächelte leicht zurück. Es hatte gutgetan, von jemandem in den Arm genommen zu werden. Nur hätte es nicht unbedingt Kai Naumann sein müssen.

Etwas beschämt, sich ihm gegenüber so schwach gezeigt zu haben, stand sie auf und griff zu einer Packung Taschentücher, die haufenweise auf dem Schreibtisch lagen. Sie nahm ihre Brille ab, putzte sich die Nase und tupfte zum Schluss über ihre feuchten und klebrigen Wangen und Augen. Dann setzte sie ihre Sehhilfe wieder auf und beobachtete, wie Kai sich auf dem Bett nach hinten lehnte, um nach Finn zu tasten. Der weinte mittlerweile laut und hatte begonnen, sich unruhig auf dem Rücken hin und her zu rollen.

»Ich glaube, der Kleine hat Hunger«, sagte Kai.

Sandra schaute zu ihrem Neffen und biss sich reumütig auf die Unterlippe. Sie hatte ihn viel zu lang schreien lassen. »Ja, wahrscheinlich.« Etwas umständlich hockte sie sich über einer der gut gefüllten Reisetaschen und wühlte in der größeren nach einem Gläschen Brei. »Du kannst ziemlich gut mit kleinen Kindern umgehen«, versuchte sie das Gespräch weiter aufrecht zu halten und fand nach weiterer Suche in den Seitenfächern einen Plastiklöffel, ein Lätzchen sowie ein Baumwolltuch.

Meine Liebe kann wartenWhere stories live. Discover now