Beben 5.1

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Als wir uns der Aufzugsgruppe näherten, wirkten wir wie die Gelassenheit in Person. Zu zwei Dritteln wenigstens.

Sergej hatte ein Talent entwickelt, den harten Kerl raushängen zu lassen, und da er kein Problem damit hatte, wenn das alles in einer blutigen Konfrontation endete, ganz im Gegenteil, nahm ich ihm seine Ruhe auch vollkommen ab. Moritz wirkte ein klein wenig aufgeregt, doch wenn man so ein Großereignis besuchte, war sicher jeder Junge ein wenig aufgeregt. Es war eine positive, unverdächtige Aufgeregtheit. Anders als bei mir. Ich konnte nur hoffen, dass man mir den Zustand, in dem sich mein Magen befand, nicht ansah.

Hinter zwei der fünf verglasten Türen warteten Aufzugskabinen darauf, von uns betreten zu werden. Wie einstudiert traten wir einfach auf eine der Türen zu, die sich genau im richtigen Moment in der richtigen Geschwindigkeit öffnete, dass wir nicht damit zusammenstießen. Wir mussten den Schein wahren, so aussehen, als gehörten wir dazu. Jeder in der Zitadelle verließ sich darauf, dass Scanner und Maschinen perfekt zusammenarbeiteten. War sicher ein lustiges Bild, wenn dann doch mal jemand gegen eine Tür lief.

Direkt nach uns betraten zwei grüngekleidete Techniker die Kabine, vertieft in ein Gespräch über ihre Arbeit. Ich blendete die Details aus, die meine Aufmerksamkeit an sich reißen wollten, und sah mich stattdessen im Inneren der Kabine um. Dieser Aufzug, eines der älteren Modelle der Unterwelt, besaß noch ein Schaltfeld, auf dem man per Hand sein Ziel auswählen musste. Sergej tippte lässig auf O1, dann trug uns der Aufzug sanft nach oben.

Ich hatte gehört, dass die Aufzüge in der Oberwelt per Gedankenübertragung bedient werden konnten. Jemand dachte an die Zieletage und irgendein Adapter verklickerte das dem Aufzug. Nun, wir mussten uns mit guten alten Knöpfen zufriedengeben und darüber war ich froh. Meine Gedanken sollten ruhig in meinem Kopf bleiben, unbehelligt von jedem, der sie mithören konnte.

Die Etagen sausten an uns vorbei, neue Passagiere gesellten sich zu uns, andere verließen den Aufzug. Als eine Gruppe Siks hinzustieg, stieß mein Magen ein hörbares Grummeln aus. Jetzt war ich also wirklich nervös.

"... den Minen. Verdammte ...", schimpfte einer von ihnen, wurde aber durch einen Ellenbogenstoß des Kollegen unterbrochen.

Natürlich war ihr Thema die Suche nach den Terroristen in den Minen. Wer hätte das gedacht.

Sergej schien das nicht zu stören. Er lehnte lässig an einer der Scheiben und betrachtete die Welt, die an uns vorbeizog. Moritz zockte ein Spiel auf einem von Numbakas mobilen Medienpanels, das dank seines Chips tatsächlich funktionierte. Er war so vertieft, dass er die Wachleute überhaupt nicht bemerkt hatte.

Die waren auf dem Weg in den Feierabend und bald hatten sie andere Themen gefunden, redeten über Freizeit und Familie. Ich atmete auf. Es waren eher ihre schlecht gelaunten und aufmerksamen Kollegen, wegen derer wir uns Sorgen machen mussten. Und die waren hoffentlich alle nach unten unterwegs.

Ich zupfte an meinen bunten Klamotten herum. Auffälligeres Zeug hatte Klara aber auch wirklich nicht finden können. Sie saßen für meinen Geschmack viel zu locker. Das kam davon, wenn man den ganzen Tag in enganliegenden Synthetikanzügen durch stickige Kanäle kroch. Plötzlich schnürte Freiheit einem die Kehle zu und brachte Mägen zum Rebellieren.

Das helle Licht, das von der Etage in die Kabine fiel, verschwand, als wir einen Etagenboden passierten. Die nächste Etage war nur in Dämmerlicht getaucht, erhellt von flackernden Laserschweißern, mit denen die Teks an Wänden und Säulen arbeiteten. Das musste eine der Etagen sein, die unserer Mission zum Opfer gefallen war. Kamen die Menschen hier trotzdem zurecht? Reichte der Notstrom aus? Bevor ich aber einen der Bewohner ausmachen konnte, waren die Etagen schon wieder verschwunden und wir passierten die Grenze zur Oberwelt, die unsere Bevölkerung in zwei Klassen spaltete.

HypothermieWhere stories live. Discover now