Schnell lasse ich ihn sinken, als alles anfängt noch mehr zu schmerzen. „Ich hole mir jetzt was zu essen, hat doch keinen Zweck hier blöd rumzusitzen, wir nehmen sie doch eh wieder mit nach Hause." Papa wirft ihm einen letzten bösen Blick zu als Timo sich aus der Tür schiebt und vermutlich zu einem der Snackautomaten schlendert. Oder zu den Krankenschwestern, bei welchen er sich vor elf Jahren eingeschleimt hat und nun immer einen Pudding oder ein Eis aus ihrem geheimen Kühlschrank bekommt.

Es ist eben seine ganz eigene Art zu trauern. Das versteht wohl niemand wirklich außer er.

Eine Weile ist es unangenehm still in dem kleinen Zimmer am Ende des langen Flurs, den ich schon so oft durchquert habe, dass ich mich an keine genaue Zahl erinnern kann. Früher, als meine hysterische Mutter mich bei jedem noch so kleinen Huster ins Krankenhaus gebracht hat, bin ich oft durch die Flure gestreunt und habe durch die kleinen Fenster, die in den meisten Türen angebracht sind, gelinst. Ich wollte wissen wie die Menschen beim Sterben aussehen, wie die Angehörigen das ganze verkraften und dann habe ich mir vorgestellt wie meine Angehörigen wohl reagieren, wenn ich letztendlich tot bin.

Natürlich wusste ich damals noch nicht offiziell, dass ich überhaupt so früh sterben werde, aber ganz ehrlich, wie meine Eltern gerade drauf sind trifft meine Vorstellungen ziemlich gut. Nur mit dem Unterschied, dass ich damals dachte mein absolut gutaussehender Mann, meine zwei süßen aber überaus frechen Kinder und eine kleine Ansammlung der großen Menge meiner Freunde würde auch hier sitzen. Aber vielleicht ist es gut, dass kaum jemand hier ist, noch mehr weinende Menschen auf einem Fleck könnte ich nicht ertragen.

Ein leises Klopfen an der Tür, Papa antwortet für mich mit einem „Ja, bitte?". Ich erkenne Dr. Götz, als er das Zimmer betritt, meine Eltern grüßt und dann mit seinem Klemmbrett und dem Stethoskop zu mir kommt. „Wie geht's es unserer Lieblingspatientin denn heute?" Fragt er mich mit seiner typischen Ladung Enthusiasmus und setzt sich auf einen fahrbaren Hocker, welchen er kurz zuvor unter meinem Bett hervorgeholt hat. Ich zeige ihm denselben Arm wie kurz zuvor meiner Mutter und ernte ein amüsiertes Lachen.

Hey, ja, ich finde die Situation auch echt lustig.

Als mein Arzt merkt, dass das wohl nicht der richtige Zeitpunkt ist, um zu lachen, ich gehe davon aus, meine Eltern haben ihn so angesehen, wie sie es bei Timo getan haben, räuspert er sich nickt kurz und nimmt dann das Stethoskop von seinem Hals. „Du weißt ja, wie das funktioniert", murmelt er, als er das Stethoskop unter mein Oberteil schiebt und meine Brust um die Narbe herum damit abtastet. Trotzdem gibt er mir Anweisungen, was ich tun soll. „Tief ein und ausatmen. Tief ein, tief aus. Noch mal tief ein und noch mal tief aus. Und noch mal. Tief ein und wieder tief aus"

Ich folge seinem Befehl, auch wenn diesen gar nicht bräuchte. Seitdem ich fünf bin, musste ich wöchentlich zur Herz- und Atemkontrolle zu Dr. Götz kommen. Seit zwölf Jahren atme ich tief ein, tief aus und wieder tief ein und wieder tief aus. Gruselig. Ich nehme mir die Luftzufuhr vom Mund, meine Mutter erleidet einen Kollaps. „Sie brauchen", schnaufe ich, muss eine Pause machen, um an Luft zu kommen, „Mich nicht weiter zu untersuchen." Meine Brust schmerzt, langsam sollte ich das Teil wieder aufsetzen. „Ich werde heute sterben, das wissen wir alle."

Mama schluchzt laut auf, Papas Druck auf meinen Füßen verstärkt sich um einiges, schnell ziehe ich die Atemmaske wieder über. Der Arzt nickt. „Ich würde sogar sagen in der nächsten Stunde." Diese Worte treffen mich hart, dabei weiß ich das doch schon. Irgendwie wusste ich es schon heute Morgen, als wir endlich über Europa waren und mein Herz immer langsamer wurde, da wusste ich, dass es noch heute mit mir zu Ende geht. Aber ich wollte es nicht wahrhaben, obwohl ich mich mein Leben lang auf heute vorbereiten konnte, macht es mir verdammt Angst diesen Moment nun wirklich zu erleben.

𝐴𝑢𝑓 𝑀𝑖𝑐ℎ 𝑊𝑎𝑟𝑡𝑒𝑛 𝐷𝑖𝑒 𝑆𝑡𝑒𝑟𝑛𝑒 ✔︎Donde viven las historias. Descúbrelo ahora