29: Freude.

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Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf, aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher Bertolt Brecht.

Ich kann so viel sagen, Bertolt Brecht hatte auf jeden Fall recht mit seinem Zitat. Ich bin ein Verbrecher, nur kann ich, so sehr ich es mir auch wünsche, für mein Vergehen nicht bestraft werden. Soweit ich weiß, steht im Strafgesetzbuch nichts davon, dass man fürs Lügen in eine Zelle gesperrt wird.

Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen, so das neunte Gebote Gottes, allerdings glaube ich nicht an Gott und seine Vorschriften. Klar, die meisten Aussagen, wie ‚du sollst nicht morden' ergeben Sinn und Zweck, aber ich finde Gott sollte sich ein bisschen entspannen und das mit dem ‚andere Götter verehren Verbot' nicht so eng sehen.

Ich schweife ab.

Ich schaue Paula an, sie schaut mich an. Unsere Blicke kreuzen sich und ich habe das Gefühl wir denken dasselbe. Jemand muss nach Jakob sehen...

„Ich gehe zuerst", Bestimme ich krächzend und schiebe meinen Stuhl nach hinten, „Okay?" Das schwarzhaarige Mädchen nickt, ihre Haare schimmern in der Sonne und sehen aus wie das Gefieder eines Raben, was mich erneut glauben lässt, dass sie nicht real sein kann.

Sie ist wunderschön.

Gut, bei dem Bruder. Wie müssen die Eltern der beiden wohl aussehen, wenn sie solch hübsche Kinder zur Welt bringen?

Ich erhebe mich, lächle sie noch kurz an und gehe dann den Weg entlang, welchen Jakob vor zehn Minuten eingeschlagen hat. Ich laufe langsamer als sonst, ich will mich drücken, aber ich weiß, dass ich es nicht kann. Ich habe den Unsegen über uns gebracht, ich muss ihn auch wieder wegscheuchen, oder es wenigstens versuchen.

Ich kann ihn schon von weitem sehen, er sitzt am Ende der kleinen Gasse, in welche ich ihm gefolgt bin, sitzt auf der weiten Stufe einer kleinen Treppe, die zu einer Tür hinaufführt, aus welcher das Klappern von Geschirr nach draußen dringt, und starrt auf die Hauswand vor sich. Seine Ellbogen stützen auf seinen Oberschenkeln, sein Gesicht ist bis zur Nase in seinen Händen vergraben und das Metallplättchen seines Lederarmbands blendet mich in der Sonne.

Als wüssten seine Haare wie er sich gerade fühlt, hängen sie schlaff in sein Gesicht und geben mir den Drang sie ihm nach oben zu streichen. Bei seinem Anblick drückt es mir den Magen zusammen, wie, als hätte jemand eine Schnur darumgebunden und würde nun ganz fest daran ziehen.

In meinem Hals bildet sich ein überdimensionaler Kloß, der auch nach dreimal schlucken nicht verschwinden will, während mein Unterkiefer vor sich hin klappert und der Kaltschweiß mich überkommt.

Ich übergebe mich. Einfach so und an Ort und Stelle. Weil ich mich schrecklich fühle, weil ich ihn belogen habe und weil ich eine Träne auf seiner Wange glitzern sah. Ich stütze mich an der gelben Hauswand neben mir ab. In meinem Augenwinkel bewegt sich etwas und sofort weiß ich wer neben mir steht, allein an der Standhaftigkeit der Schritte.

„Geht's?" Jakobs Stimme klingt belegt, tut mir leid, heute keine Sprechstunde für Louisa. Verständlich, ich bin nicht gut genug, um mit ihm zu reden, ich bin die Person, die an der ritterlichen Tafel nichts mehr zu Essen bekommt, weil sie Abschaum ist.

Und dennoch kann ich Jakob nicht unbeantwortet sich Sorgen machen lassen, also schaffe ich es ihm ein kleines Nicken zu geben, bevor ich ganz in Tränen ausbreche und mich gerade so zurückhalten kann ihm nicht um den Hals zu fallen.

„Es tut mir so leid! Ich weiß nicht was ich anderes sagen soll!" schluchze ich und ab jetzt bin ich nicht mehr Frau über mein Mundwerk, „Ich hatte Angst, dass du mir nicht glaubst, oder denkst, dass ich dir nicht glaube, dass deine Familie tot ist, was ja eigentlich total doof ist, aber ich wusste nicht, was, oder wie ich dir sagen soll, dass dieses Mädchen behauptet deine Schwester zu sein! Ich wollte sie gar nicht kennenlernen, aber ich konnte nicht Nein sagen, immerhin geht es um dich und nicht um mich und du musst ja entscheiden, ob du sie kennenlernen willst, aber eigentlich will ich nur den Urlaub genießen. Ich dachte- Ich dachte- Ich weiß nicht was ich dachte, aber-"

𝐴𝑢𝑓 𝑀𝑖𝑐ℎ 𝑊𝑎𝑟𝑡𝑒𝑛 𝐷𝑖𝑒 𝑆𝑡𝑒𝑟𝑛𝑒 ✔︎Where stories live. Discover now