Teil 10: Missverständnisse

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"Es war Willi. Ich bin mir sicher, dass es Willi war", sagte ich nun mehrfach zu Marcia. 

"Ach am Ende war es Kyle selbst, um sich wichtig zu machen", sagte sie. "Auf jeden Fall ist nichts an der Sache, Kyle war den ganzen Abend am Feuer und man hat gar nichts aus irgendeiner Hütte gehört. Außerdem würdest du es ja wohl merken, wenn dich gestern Nacht jemand entjungfert hätte. Dass Willi allerdings nicht weiß, wie sich so etwas anhört, kann ich mir vorstellen." Sie lachte. Irgendwie ekelte es mich, nur daran zu denken, dass Willi sich vorgestellt haben könnte, dass ich Sex habe.

"Wie ist das gestern eigentlich noch ausgegangen?", fragte ich, um diesen Gedanken endlich loszuwerden.

"Ich habe natürlich gewonnen und ich glaube Kyle war ziemlich beeindruckt, aber was noch viel besser war, Bella war richtig genervt davon." Ich freute mich, Sieg für unser Team, immerhin etwas. Auch wenn ich mir die Shots dann hätte sparen können. "Wie spät ist es?"

"Wir haben noch eine Stunde, dann kommen die Kinder." Man hatte jedem aus der Gruppe ein Klemmbrett in die Hand gedrückt auf der alle Namen der Kinder standen und Anmerkungen, ob die Eltern eine Fotoerlaubnis, irgendwelche Allergien oder Medikamente angegeben hatten. Wenn irgendwo etwas fehlte, mussten wir uns direkt bei den Eltern, die das Kind vorbei brachten, erkundigen, ansonsten hatten wir nur die Namen abzuhaken und die Kinder in das jeweilige Camp zu schicken, wo die anderen Betreuer der Gruppe bereits warteten und ihnen ihre Hütten und Betten zuwiesen. Ich war froh, dass ich den einfachen Part mit dem Abhaken bekommen hatte, Marcia ebenfalls. 

"Und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Yannis so etwas tut", sagte Marcia beiläufig nachdenklich. - "Dass Yannis was tut?" - "Na ja, er hat dich abgehalten den letzten Shot zu trinken und hat sich dann um dich gekümmert. Ich bin hinterher gerannt, aber er meinte, ich solle Kyle fertig machen, was ich getan habe." - "Und warum sagst du mir das erst jetzt?!" Dann hatte mich Yannis also nach Hause gebracht. Der süße Yannis. Irgendwie gefiel mir der Gedanke ja, vor allem, dass er mich vor dem letzten Shot und Kyles masochistischem Spiel gerettet hatte, aber hatte er vielleicht die Situation ausgenutzt? Marcia schien meine Gedanken zu lesen. "Hey, er ist heute morgen in seinem Zimmer gewesen." Das musste nichts heißen. "Vielleicht habt ihr ja ein bisschen rumgemacht, das wäre doch schön. Yannis ist ziemlich süß und er hat sich so um dich gekümmert." Ach, das machte doch alles keinen Sinn, ich musste mit ihm reden. Etwas anderes blieb mir wohl nicht übrig. 

Ich erklärte Marcia mein Vorhaben und ging zum grünen Camp, den Weg kannte ich wenigstens noch. Ob er nun süß war oder nicht, er hatte die Situation schamlos ausgenutzt und das war schäbig, darum war ich auch wütend, als ich am grünen Camp ankam. Er und Alex, der es offenbar auch nicht gut ging, saßen auf einer Bank im Schatten und warteten darauf, dass die ersten Kinder eintrudelten. Beide schauten mich überrascht an, als anstelle ich auftauchte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprach ihn an: "Können wir kurz unter vier Augen reden?" Yannis sah heute morgen wieder ziemlich gut aus, seine Haare waren ein wenig stubbelig und seine treuen grünen Augen strahlten nichts aus, was man nicht gern haben konnte.  "Klar", sagte er kurz, schwang sich auf und ging mit mir um das Haus herum.

"Gehts dir besser?", fragte er belustigt, bevor ich zu Wort kommen konnte.

"Ja, nein, pass auf", Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, "Ich erinnere mich nicht mehr an alles von gestern."

"Das würde mich auch wundern."

"Jedenfalls, falls da irgendwas gelaufen ist, tut es mir leid, ich hatte bereits Stress mit Lucy deswegen und ich will auf keinen Fall, dass sich das wiederholt, auch wenn das nicht heißen soll, dass ich dich nicht gut finde. Das soll auch nicht heißen, dass ich dich gut finde, aber..."

"Wow okay, stop it." Er lachte und sah dabei nur noch besser aus, während ich mich fühlte, als sei ich heute Morgen aus irgendeiner Höhle gekrochen. "Da lief nichts, Emily. Gar nichts." Oh, irgendwie war ich fast enttäuscht, aber viel mehr noch peinlich berührt. "Ich weiß nicht, wie Lucy darauf kommt und ich will dich nicht kränken, aber du warst gestern Nacht alles andere als sexy." Au, das hatte weh getan. "Ich meine, du warst voller Kotze", entschuldigte er sich fast. 

"Okay, das ist verdammt peinlich, können wir das vielleicht..." 

"Vergessen? Sehr gerne, aber mal ehrlich, wie kommt Lucy auf sowas?"

"Irgendjemand hat ihr es erzählt, also eigentlich dass ich und Kyle, aber das kann ja nicht sein und dann dachte ich..."

"Dass ich dich unzurechnungsfähig mal eben flachgelegt habe? Oh mann. Ich habe ja gestern schon gemerkt, dass du ganz schön für Chaos sorgst, aber das übertrifft ja nochmal alles." Er lachte, aber was er sagte, tat mir weh. Ich sorgte überhaupt nicht für Chaos, was konnte ich denn für diese Situation? Ich schaute auf die Uhr. Verflixt! "Scheiße, ich muss los." 

"Machs gut, Chaos-Emmy." Und ich weiß nicht warum, aber dass er mich "Emmy" nannte, gefiel mir, das "Chaos" weniger.  Hätte ich es doch nur nicht direkt am zweiten Tag mit ihm verdorben.

Wieder auf dem Weg zum Verwaltungsgebäude lief mir Maja über den Weg, eine der wenigen die bereits frisch und munter wirkte, so wie wir laut Lucy alle heute aussehen sollten. Mein Schädel brummte noch immer bestialisch. 

Maja grüßte mich freundlich. "Bin ich vielleicht froh, dass ich die Kinder in Empfang nehmen darf, zwischen unserem Traumpaar gibt es dicke Luft, dass die Milch sauer wird. Ich halte es ja nicht gerade für vorteilhaft, dass sie uns in das Drachencamp gesteckt haben." 

"Wieso nicht?"

"Weil die Drachen im Gegensatz zu den Zauberern die ältesten Kinder von 14 bis 16 aufnehmen. Deshalb auch hier nur bereits erfahrene Aufpasser. Ist doch eine super Voraussetzung, wenn die Betreuer bereits vor der Ankunft der Teenies ihre Dramen zum besten geben." Sie lachte, aber ich spürte, dass sie auf ihre Gruppenkonstellation genauso wenig Lust hatte wie ich. 

"Vielleicht sollten wir tauschen, Willi geht zu denen und du kommst zu uns?" Maja lachte nur als Antwort. Wir wussten beide, dass Willi nach wenigen Minuten durchgedreht wäre. "Was ist da eigentlich zwischen Bella und Kyle?"

Maja zuckte mit den Schultern und schaute sich um, als könne sie jemand hören. "Schwer zu sagen, ich denke, es ist eine Art Sommeraffäre? Jedes Jahr läuft irgendwie etwas zwischen den beiden, aber nie geht es darüber hinaus. Eigentlich sind sie doch das perfekte High-School-Prom-König-und-Königin-Paar, oder?" Da hatte sie nicht unrecht. Die wunderschöne Zicke und der trainierte Hübschling, aber dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass die beiden zusammen passen könnten. Worüber würden sich eine Bella und ein Kyle unterhalten? Vermutlich kannte ich beide aber auch viel zu wenig, um mir darüber ein Urteil zu erlauben. Ich hätte zu gern noch mehr Tratsch erfahren, aber im Augenwinkel sah ich Marcia auf uns zu kommen und ich wollte ihr Details über ihren heimlichen Schwarm und ihrer neuen Erzfeindin (und irgendwie auch meiner) ersparen. Da fiel mir noch etwas ein: "Danke übrigens für die Nachricht, das war echt cool." Maja machte ein Gesicht, das ich nicht deuten konnte. Doch bevor wir weiter auf das Thema eingingen, legte Marcia freudestrahlend ihren Arm um mich. "Und, was war da zwischen dem süßen Yannis und der noch süßeren Emmy?" Maja machte große Augen.

"Willst du es vielleicht noch mehr herumposaunen? Da war gar nichts. Er hat mich nach Hause gebracht, mehr nicht. Ich habe keine Ahnung, wer solche Gerüchte in die Welt setzt, aber es war verdammt peinlich, mit ihm zu sprechen." Meine beste Freundin verzog ihr Gesicht, als fühle sie Schmerzen, um mir Verständnis entgegenzubringen. "Ich habe da so eine Ahnung, wer so etwas tun könnte."

"Wer?", fragten Maja und ich gleichzeitig.

"Bella."

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⏰ Last updated: Aug 12, 2021 ⏰

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Mein Sommer in Camp OdoretteWhere stories live. Discover now