Teil 4: Hitzige Ankunft

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Die Busfahrt hatte eine Weile gedauert und verlief nicht allzu spannend. Marcia schlief nach 10 Minuten ein und ich hörte Musik, was mir bald unmöglich wurde, weil die Kinder hinter mir lautstark in einer Sprache schimpften, die ich nicht kannte. Daraufhin schrie die Mutter der Kinder zurück, dann schrien die Kinder noch lauter. Ich versuchte das Treiben zu ignorieren, bis der Busfahrer eine Durchsage erklingen ließ. Eine sanfte Roboter-Frauenstimme sagte: "Liebe Fahrgäste, bitte bleiben Sie während der Fahrt auf ihren Sitzplätzen. Vielen Dank." Niemand war aufgestanden und der Lärm wurde dadurch auch nicht weniger. Ich blickte wieder zu meiner besten Freundin und wunderte mich, wie man bei dem Krach so seelenruhig schlafen konnte.

Ich konzentrierte mich auf die Umgebung, damit mich der Lärm und die Hektik nicht stressten. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann wurden die Kinder ruhiger oder ich bemerkte sie einfach nicht mehr. Unsere idyllische Kleinstadt hatten wir längst hinter uns gelassen und wir fuhren entlang einiger endloser Landstraßen. Mittlerweile verwandelte sich die Gegend aus trockenen Kornfeldern in dichte dunkelgrüne Nadelwälder. Die Sonne schien, wie man es von einem Tag im Juli erwartete. Eine ungewohnte Aufregung machte sich in mir breit, freute ich mich etwa? Viele Gedanken gingen mir während der Fahrt durch den Kopf, doch das schöne am Denken während einer Reise war, dass man die Gedanken auf seinem Weg zurücklassen konnte. Ich fühlte mich ein wenig frei, warum, das weiß ich auch nicht.


Wir hatten es nach fast 3 Stunden geschafft. Marcia, die eigentlich hätte ausgeschlafen sein müssen, schleppte sich verpennt aus dem Bus und ich schlurfte hinterher. Die Fahrt war anstrengend gewesen, dabei war das der Anfang vom Anfang. Es war nicht schwierig zu erkennen, dass wir keineswegs am Feriencamp angekommen waren, denn eigentlich standen wir im idyllischen Tal von Nirgendwo mitten auf einem Feld auf dem die Grillen gerade eine Sonate in G Dur zirpten. "Irgendwie ist das nicht richtig", erkannte Marci mit einem messerscharfen Verstand. Ich ließ mich auf die kleine Bank an der Haltestelle plumpsen und atmete genervt aus. Unsere Handys hatten beide keinen Empfang. "Und was jetzt?"

Marcia schaute ihr Handy an wie ein unbekanntes Flugobjekt. "Wenn man hier vom 5-G-Netz spricht, wird man vermutlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt."

"Dafür müsste dich erstmal jemand hören." Tatsächlich war von menschlichen Einwohnern oder Zivilisation keine Spur zu entdecken, nun ja, bis auf die Bushaltestelle. 

"Vermutlich ist im nächsten Tal schon ein kleines Dorf, da können wir ja mal nachfragen", schlug Marcia vor. Tatsächlich keine schlechte Idee, auch wenn diese beinhaltete, dass wir bei 32 °C und voller Sonne wandern gehen mussten. Ziel und Ankunftsort: unbekannt. 

Wir gingen einige Meter und schwitzten unter unseren Rucksäcken und dem anderen Gepäck wie man bei einem heißen Sommernachmittag in der Sonne eben schwitzen musste. Keiner von uns redete ein Wort oder machte sich Sorgen wegen der Kinder, des Camps oder was uns sonst noch erwarten würde, all unsere Anstrengung steckte im Schleppen von uns und unserem Hab und Gut. Ich dachte ein eine Folge von Riverdale, als Archie mit Jughead von zu Hause weglief, um Veronicas Vater zu entkommen. Ich versuchte mir vorzustellen, auch wir wären zwei Abenteurer, die von zu Hause weggelaufen waren und versuchten in der Fremde ein neues Leben anzufangen. Das machte die Tortour deutlich erträglicher. 

Nachdem wir etwa eine halbe Stunde gelaufen waren, fuhr ein kleines rotes Auto an uns vorbei und kam unter dem Knarren des Trockenen Kies' zum stehen. Zunächst hatte ich kein gutes Gefühl, dass ein Auto neben uns hielt und wer weiß was von uns wollte. Aber tatsächlich schauten uns zwei Jungen und ein Mädchen belustigt an, so als ob sie schon auf uns gewartet haben.

"Haha, na, ihr seid zum ersten Mal hier?", fragte ein gut aussehender braungebrannter Junge, nachdem er die Fensterscheibe runtergekurbelt hatte. Sah man uns das so deutlich an?

"Nein, wir stehen auf Hardcore-Sport", antwortete Marcia genervt und ich war ihr dankbar dafür. Egal in welcher Situation, Marcia war nie so verunsichert, dass sie nichts sagte, ganz im Gegenteil zu mir.

"Haha, Hardcore-Sport, ja?" Der Junge grinste pervers und zündete sich eine Zigarette an. Selbstverständlich versuchte er ganz offensichtlich den coolen Macker zu spielen, aber ich hätte lügen müssen, wenn es auf mich keinen Eindruck gemacht hätte. 

"Alter, ich hab gesagt in meinem Auto wird nicht geraucht", sagte der Junge neben ihm und schlug ihm einfach die Kippe aus der Hand. "Hey!", schrien er und das Mädchen auf dem Rücksitz gemeinsam. "Weißt du, wie gefährlich das bei der Trockenheit ist?" Sofort öffnete sie dir Tür und trat unnötig auf die Zigarette ein, die schon lange verglimmt war. Sie trug ein T-shirt mit einer großen Mickey-Mouse und gab und die Hand. "Ich bin Maja und ich gehöre nicht zu diesen Umweltsündern." Sie war sympathisch, trug kurzes braunes Haar und trug riesige Ohrringe. In ihrem Gesicht lag eine natürliche Schönheit, die man erst auf den zweiten Blick erkannte und ihre Hosen schienen drei Nummern zu groß, was dann ein Gürtel aus Stoff wieder ausbügeln musste. Der Junge, der uns zuerst angesprochen hatte, verdrehte die Augen. "Und wieder einmal hat Maja die Welt gerettet, also seid dankbar, Mädels." Er grinste. Irgendwas an ihm kam mir seltsam vor, was aber auch an seinem überzogenen Selbstbewusstsein liegen konnte, das mir wie üblich Angst einjagte. Der Junge am Steuer hingegen stieg auch aus dem uto auf. Er war nicht allzu groß und blond, aber seine schmalen treuen Augen gefielen mir, als er uns kurz ebenfalls begrüßte, schimmerten sie wie ein kleiner See an einem Sommermorgen. 

"Ich bin Yannis und das ist Kyle. Ihr seid nicht die ersten, denen das passiert." 

"Denen was passiert?", fragte meine beste Freundin. 

"Vor genau zwei Jahren waren wir es, die in der glühenden Hitze mit ihrem Gepäck herumirrten, weil dieses verflixt schöne Feriencamp so versteckt ist. Junge, das war heftig!" Maja schmückte ihre Erinnerungen mit ausschweifenden Handgesten. 

"Dann seid ihr also auch Campbetreuer?" 

"Es kann ja sprechen!", rief Kyle aus, der mittlerweile auch ausgestiegen war und sich, als wäre nichts gewesen, wieder eine Zigarette angezündet hatte. Ich wurde rot. 

"Hör nicht auf ihn", beruhigte mich Maja, "Ja sind wir. Ab morgen das dritte Jahr in Folge!" In ihrer Stimme klang Vorfreude, die ich noch nicht nachvollziehen konnte, mich aber beruhigte. 

"Es könnte ein wenig eng werden, aber wenn ihr wollt, nehmen wir euch mit."

"Steh auf ein wenig eng", lachte Kyle und sonst niemand. 

"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir wirklich bei euch mitfahren sollten", sagte Marcia mit verächtlichen Blick auf den Scherzkeks. Doch jeder bemerkte, dass es lediglich eine ironische Aussage war. Wir freuten uns, nicht länger herumzuirren und och dazu die ersten Kollegen bereits kennengelernt zu haben.

Die drei halfen uns, unser Gebäck in den Kofferraum zu packen, der bis oben hin voll wurde. "eure Rucksäcke müsst ihr wohl auf euren Schoß nehmen", erklärte der süße Blonde. 


Mein Sommer in Camp OdoretteWhere stories live. Discover now