*:・゚✧Leo zieht sich an *:・゚✧

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Die Flügel würden ein Problem ergeben. Ich hatte so unendlich lange keine getragen, dass ihr Gewicht ungewohnt an meinem Körper zerrte und dafür sorgte, dass meine Schritte mehr als Stolpern ausfielen. Der Weg bis hin zum Ankleidetisch war abenteuerlich, und ich wollte nicht wissen, was für eine Figur ich beim Training machen wollte. Hinter mir konnte ich das Kichern des jungen Mädchens hören.

„Doch noch etwas erschöpft?" Ich sparte mir die Antwort. Als wäre mein Zustand nicht Aussage genug. Dankenswerterweise schob sie meine Flügel auseinander, als sie sich daran machte, meine Haarmähne auf dem Rücken zu richten – ich selbst hätte eine Weile gebraucht, um zu erraten, welche Muskeln ich wie bewegen musste, ohne ausversehen die Einrichtung des halben Zimmers mitzureißen.

„Etwas." Ich starrte dem Gesicht im Spiegel entgegen, dass mir so vertraut und gleichzeitig fremd vorkam. Mundwinkel heben, Wangen nach oben ziehen, Augenbrauen locker halten... ja, das sah fast wie ein genuines Lächeln aus. Wenn ich genug übte, dann würde meine Mimik hoffentlich bald überzeugen.

Meine Augen schimmerten in einer sonnenscheuen Mischung aus grau, blau und lila, und würde ich mich unten in den tiefen Höhlen befinden, würden sie ihr eigenes schwaches Licht ausstrahlen, aber hier oben wurde es schon von der Zimmerbeleuchtung überstrahlt. Die Haut rundherum war blassweiß, unterbrochen von einigen gräulichen Sprenkeln und Punkten, die sich an den Seiten der Augen und meinen Nasenrücken herunterzogen. Die Zähne – und ich öffnete meinen Mund kurz, um das noch einmal zu überprüfen – liefen ein klein wenig spitz zu, aber waren noch lange nichts im Vergleich zu den Daimonen, die auch ihren Kiefer zu einer Waffe machten. Ansonsten schien viel von der Gesichtsstruktur von m-... von meinem Vater durch. Hohe Wangenknochen, spitz zulaufendes Gesicht mit markantem Kiefer, dichte Brauen. Hätte ich mich um ein wenig mehr körperliche Betätigung bemüht, könnte ich irgendwann einem gutaussehenden Mann nahekommen, aber so waren meine Züge weich, gepflegt, behaglich und unsicher. Verwöhnt. Ich war bestenfalls ein hübsches Kind.

Ich hatte vermutlich versucht, meinem Gesicht mit ein paar Tattoos Schärfe und Eindringlichkeit zu verleihen, aber soweit ich seine – nein, meine – Mühen beurteilen konnte, war das vergebens. Die weißen Punkte und Linien zogen sich entlang der Augen und über den Nasenrücken, und ein einzelner zierte die Unterlippe, aber statt die weichen Gesichtszüge zu verbergen, hoben die Tattoos sie nur hervor.

Die Dienerin nahm keine Notiz von meiner Betrachtung, sondern war schon summend dabei, die langen grauen Strähnen zu einem Zopfgebilde zu flechten und sie vorsichtig um das Geweih herumzuziehen, dass oberhalb meiner Schläfen aus dem Kopf erwuchs.

Dieses Geweih. Dieses sizzei Geweih. Warum konnte der Junge – warum konnte ich mir nicht einfach ein paar praktische Hörner machen, wie jeder Krieger meines Alters? Warum hatte ich nur so konsequent anders aussehen wollen? Nein, Hörner hat ja jeder, wir wollen etwas herrschaftliches, etwas majestätisches, dass seine weißen Zacken gen Himmel recken kann – und die Tatsache, dass es sehr leicht zu packen ist, wenn jemand meinen Kopf in jede beliebige Richtung schmeißen möchte, schien dabei nicht bedacht worden zu sein. Diesmal lächelte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Sobald ich Gelegenheit sah, sollte ich diesen Körper wohl lieber auf meine Weise modifizieren.

Der Rest von mir war wenig Betrachtung wert. Weiche Krallenhände, weiche Haut, ein schlanker, schlaksiger Körper, der sich nach aller Möglichkeit vor Strapazen oder harter Arbeit gedrückt hatte. Meine Muskulatur schien so unterentwickelt, ich sollte vermutlich froh sein, dass ich noch kein Fett angesetzt hatte. Es erklärte außerdem, warum es mir so schwer fiel, meine Flügel zu schleppen. Wenn ich selbst nichts auf die Waage brachte, waren so ein paar Knochen und Federn plötzlich nicht mehr ganz zu vernachlässigen.

Das geschäftige Summen hinter mir brach ab, als mir jemand einen langen Flechtzopf über meine Schulter warf, und ich sah auf, während die Dienerin die Tür zum Nebenzimmer öffnete.

„Aaalso, wie siehts aus... hast du Wünsche bezüglich deiner Garderobe?" Sie kicherte, ehe sie heiter anfügte: „Mein Lord?" Ich stützte mich auf die Lehne meines Stuhls, um mich zu ihr herüberzudrehen und einen Blick auf den begehbaren Schrank zu werfen, in dem mich so viele bauschige Stoffbahnen entgegenfunkelten, dass ich bereits jetzt sicher war, ich würde den Großteil davon entsorgen müssen. So etwas trug doch kein Daimon – außer Leonydas, anscheinend.

„Trainingskleidung sollte reichen." Leises Kichern ertönte.

„Ich sehe, heute machen wir wirklich ernst. Wann hast du die eigentlich zum letzten Mal getragen?" Während ich zusah, wie sie weiter in die Tiefen des Kleiderraums schritt, beantwortete ich mir die Frage selbst. Vermutlich seit Jahren nicht.

Die kurze Pause von der Anwesenheit der Dienerin nutzte ich, um zurückzusinken und tief einzuatmen. Irgendetwas pochte hinten in meinem Kopf, drückte gegen meine Schläfen und meinen Hals und verlangte, dass ich mich mit Gedanken beschäftigte, die ich bislang von mir geschoben hatte. Das ich die Ereignisse der letzten Tage verarbeitete. Ich schob es noch ein wenig weiter von mir. Gut, dass mir heute wenig Zeit zum Grübeln bleiben würde.

Cadmiel Laughed As He FellWhere stories live. Discover now