KAPITEL 11

311 17 20
                                    

»Und wenn ich dir sag, dass du viel mehr für mich bist«

Lea
Berlin, Mai 2020

»Ach ja, Paddys Abend«, seufzte Ilse im Erinnerungen versunken. »So ein unglaublich toller Mensch. Ich kann dir gar nicht sagen, wie geehrt ich mich gefühlt hab, mit ihm zu singen und ihn als Gastgeber zu haben.«
»Oh ja, das stimmt«, nickte ich und rührte gedankenverloren in meinem Latte herum. »Weißt du, Nico war so komisch an dem Abend... ich hab echt gedacht, dass er mir aus irgendeinem Grund absichtlich aus dem Weg gehen wollte. Dabei... dieser Moment wieder im Fahrstuhl... er wollte mich küssen, da bin ich zu einhundert Prozent sicher. Und ich könnte dir nicht sagen, wie weit ich mit ihm gegangen wäre.«

»Ach, Liebes«, säuselte Ilse, griff über den Tisch nach meiner Hand und streichelte sanft darüber. »Das ist schon wirklich kompliziert bei euch.« Mir fiel sehr wohl auf, dass sie wieder auf ihr Handy schaute, aber meine Gedanken waren doch zu sehr bei Nico und Südafrika. Und es fühlte sich an, als wäre das alles in einem anderen Leben passiert. So surreal, so weit weg und doch war das alles erst zweieinhalb Monate her.
»Oh ja«, seufzte ich. »Und ich sag dir, es wurde noch komplizierter. Weil ich Idiotin einfach meine Klappe nicht halten konnte...«

**

März 2020
Südafrika


Mein Herz war schwer, als der vorletzte Tag an diesem wunderschönen Flecken Erde angebrochen war. Ich konnte mir nach dieser intensiven Zeit voller Musik, Freundschaft und Klassenfahrtfeeling absolut nict vorstellen, wieder allein zuhause in meiner Wohnung zu sein, und ich war überzeugt, dass ich zuhause nicht nur einen Kopf- sondern auch einen Herzjetlag haben würde. Einen sehr schmerzhaften. Ich hätte mir nie erträumt, dass es solch ein krass schönes, unvergessliches Abenteuer werden würde, und es war noch tausendmal unnormaler gewesen. Jeder einzelne Abend so besonders, jeder Künstler, so besonders in seiner, ihrer Musik und ihren Geschichten, ich könnte nie aufhören, ihnen allen zuzuhören. Sei es nun ihren Worten oder ihren Songs.

Und natürlich Nico, aus dem ich immer noch nicht schlau wurde. Um ehrlich zu sein, immer weniger. Je näher er mir war, wie gestern im Fahrstuhl, als ich fest gedacht hatte, er würde mich wieder küssen, desto weiter entfernt schien er, weil er sich so sehr zwang. Glaubte er wirklich, dass ich das nicht bemerkte? Natürlich hatte ich es bemerkt, ich war weder blind noch blöd. Aber wieso um alles in der Welt sagte er nicht einfach, was Sache war? Ich spürte doch genauso, dass da etwas zwischen uns war, aber es war offensichtlich, dass Nico es sich verbot. Warum, konnte ich mir doch auch denken, aber warum sagte er nicht einfach etwas?
Vielleicht musste ich ihn wirklich mit der Nase darauf stoßen, wie wichtig er mir geworden war, aber würde ich ihn dann nicht erst recht von mir stoßen? Würde ich nicht alles riskieren? Unsere Freundschaft vor allem? Oder hätten wir eine Chance? Wenn Nico sich nicht traute, musste ich nicht die Initiative ergreifen, auch auf die Gefahr hin, ihn als Freund zu verlieren?

Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich mich nach dem Frühstück zuerst mit Michael Patrick zur Probe für Friends R Family traf. Aber wir hatten rasch ein wunderschönes Duett erarbeitet und ich wusste schon jetzt, dass ich jede Sekunde unseres gemeinsamen Auftritts genießen würde. Danach kam Max zur Probe für Für immer, und es war ebenso besonders, mit ihm zusammen zu singen..
»Ach, ich werd das hier so krass vermissen«, seufzte ich, als wir den Proberaum verlassen hatten. Ilse und Nico kamen uns entgegen, Nico schaute mir nur kurz in die Augen und mein Herz stand in Flammen. Ich musste ihm einfach sagen, was ich fühlte, konnte diese Zeit nicht einfach so verstreichen lassen, ohne etwas gesagt zu haben. Ohne ihm klar gemacht zu haben, wie viel er mir bedeutete.

Ich wusste nur noch nicht, wie und wann ich das tun würde, aber ich musste es ihm heute Abend sagen. Wir flogen morgen schon nach Hause, dann würde es zu spät sein.
Wehmütig packte ich meinen Koffer, bevor ich mich zum Set aufmachte. Ich hatte mich für diesen Abend für eine weiße Hose entschieden, ein schwarz-weiß kariertes Oberteil und eine blaue Jeansjacke darüber, und ich war so konzentriert im Packen, dabei, nichts zu vergessen, dass ich das Klopfen an meiner Suitentür zuerst gar nicht hörte.

»Ach, entschuldige, ich war schon am Packen«, entschuldigte ich mich bei Ilse, die vor der Tür stand und ließ sie herein. Wie hatten verabredet, zusammen zum Set zu gehen, und ich war erschrocken, als ich feststellte, dass es schon 18 Uhr war.
»Das hab ich auch eben schon erledigt«, sagte Ilse. »So schade, dass es schon nach Hause geht. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wieder zuhause zu sein.«
»Ich auch nicht«, stimmte ich zu. »Das wird so schrecklich.«
»Wir müssen uns unbedingt bald wieder treffen«, schlug sie vor. »Vielleicht können wir uns mal zu den Ausstrahlungen treffen, das wäre doch toll.«
»Oh ja, das müssen wir unbedingt«, stimmte ich zu. Wir verließen das Hotel und gingen langsam runter zum Set. Ein wunderschöner Sonnenuntergang tauchte die Walker Bay in alle Farben von Rot bis Orange und wir schossen noch ein paar Fotos.
»Und Nico und du?«, stieß Ilse mich dann in die Seite. »Seht ihr euch wieder, wenn wir zuhause sind?«

Herrgott, darüber hatte ich noch überhaupt nicht nachgedacht. »Ich weiß es nicht«, hob ich die Schultern. »Weißt du, es ist einfach so... kompliziert. Wenn ich ihm sage, wieviel er mir bedeutet, wird es nie mehr so sein wie vorher. Ich meine, ich weiß doch, dass er Angst hat, weil Leonie noch so nah ist. Aber dann soll er halt etwas sagen. Ich... ich würde doch auf ihn warten.«
»Du hast dich wirklich total in ihn verliebt, oder?«, fragte Ilse verständnisvoll.
Ich senkte die Augen. »Er hätte mich gestern Nachmittag schon wieder beinahe geküsst«, erzählte ich leise und Ilse schaut mich überrascht an. »Und dann hat er es wieder abgebrochen. Aber ich... weiß nicht, wie weit wir gegangen wären, wenn er es getan hätte.«
»Ach, Nico«, seufzte Ilse. »Männer können doch wirklich so kompliziert sein. Weißt du, Liebes, ich kann nur das sagen, was ich und was wir alle sehen, und das ist offensichtlich. Das muss ich dir auch nicht sagen, denke ich. Du machst das genau richtig, sag ihm, was du fühlst. Er muss entscheiden, ob er bereit ist für etwas Neues, aber so, wie er dich ansieht, gibt es da für mich gar keinen Zweifel. Vielleicht musst du ihn wirklich mit der Nase darauf stoßen. Ihr zwei seid so goldig zusammen, gib das nicht auf, Lea.«

... Und wenn ich's Dir sag?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt