Kapitel 3

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Nachdem das langersehnte Klingeln mich endlich aus dem Biounterricht entlassen hatte, (denn seien wir doch mal ehrlich, nicht der Lehrer, sondern das Klingeln beendet den Unterricht) verließ ich, ohne mich noch einmal umzusehen, den Raum.

Ich schlenderte gerade über den Schulhof in Richtung Hauptgebäude, um dort auf Lina zu warten, als ich eine kalte Hand auf meiner Schulter spürte. Ich wirbelte erschrocken herum und bemerkte zu meiner Überraschung, dass ich Minou gegenüberstand.

„Bio?"

„Deine Stimmlage lässt auf eine Frage deuten, doch finde ich leider kein Prädikat und ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob Bio als Subjekt dienen soll oder als Obj..."

Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Oh Gott, wie affektiert kann ein Mensch bitte schön sein? War ich überhaupt ein Mensch? Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt.

„Ähm, was?", Minou schien eher verwirrt als sauer. Ich stoß erleichtert die Luft aus, von der ich nicht mal bemerkt hatte, dass ich sie angehalten hatte.

„Nichts, sorry", ich blickte zu Boden. In genau solchen Situationen hasste ich mich dafür, nicht darüber nachzudenken, bevor ich etwas sage.

„Also, was ist jetzt mit Bio?"

Ich richtete meinen Blick wieder hoch und betrachtete Minou zum ersten Mal wirklich. Sie hatte schulterlanges Kastanienbraunes Haar und so ziemlich genau die gleiche Augenfarbe. Ich überlegte, ob sie asiatische Wurzeln haben könnte, da ihr Name, glaube ich, aus Asien stammt, wobei ich das auch nur eine Vermutung war. Und auch wenn sie schon irgendwas asiatisches an sich hatte, sah sie irgendwie nicht wirklich asiatisch aus. Ich warf einen Blick auf ihre Kleidung und stellte zu meiner Überraschung fest, dass sie nichts in den Farben Pink oder Rosa trug. Dabei war doch heute Mittwoch ...
Ich lachte innerlich über meinen kleinen Witz, während ich bedauerte, dass es erst Montag und nicht wirklich schon Mittwoch war.

Ich weiß nicht wieso, aber in meinem Kopf trugen Melissa und ihre Freundinnen generell nur rosa.

Stattdessen hatte sie eines dieser enganliegenden, bauchfreien T-Shirts an, die derzeit echt viele Menschen trugen, aber von denen ich keine Ahnung hatte, wie sie hießen. (Vermutlich hätte Lina, die immer alles über die neusten Trends zu wissen schien, es mir sagen können, aber ich war mir nicht mal sicher, ob diese Tops nicht vielleicht schon seit Jahren weit verbreitet waren, es mir nur einfach nicht aufgefallen war. Und außerdem interessierte mich der Name sowieso nicht wirklich.) Dazu trug sie hellblaue Jeans und Stiefel mit Absätzen.

Ich versuchte gerade auszurechnen, ob sie ohne Schuhe immer noch größer wäre als ich, als ich bemerkte, dass sie genervt eine Augenbraue hochzog.

Ich lief auf der Stelle hoch rot an.

„Mach dir keinen Stress wegen Bio", ich bemerkte, wie ich mich wieder entspannte und hasste mich heute zum zweiten Mal selbst, aber dieses Mal aus dem Grund, dass ich mich von Minous Kleidung hatte aus dem Konzept bringen lassen. Ich meine, ich interessiere mich noch nicht einmal für Mode und noch weniger für Melissas beste Freunde!

„Stimmt, warum sollte ich mir Stress machen, es geht ja nur um die Hälfte meiner Halbjahresnote", erwiderte sie in einem spöttischen Tonfall.

Als ob dich deine Noten interessieren würden, fügte ich in meinem Kopf hinzu und war heil froh darüber, dass ich es dieses Mal nicht ausgesprochen hatte.

„Ich übernehme unser Projekt gerne, ich arbeite sowieso lieber allein."

Für mich war damit alles gesagt, doch als ich mich gerade umdrehen wollte, um zu verschwinden, schoss ihre Hand wieder nach vorne. Wüsste ich nicht, dass sie bei zehn Grad Außentemperatur bauchfrei rumläuft, würde ich mich wundern, wie ein Mensch nur so kalte Finger haben kann.

„Was denn?", fragte ich und war, was ich natürlich niemals zugeben würde, stolz darauf, dass ich jetzt diejenige mit dem genervten Tonfall war.

„Nein."

Ich sah sie überrascht an. „Nein?"

„Nein. Hast du heute Abend Zeit?", fragte sie mit unfassbar ausdrucksloser Stimme.

„Eh, ne, eigentlich nicht, Lina kommt noch mit zu mir und wir wollen ..."

Minou schnitt mir das Wort ab: „Mich interessiert nicht wirklich, was ihr noch vorhabt. Dann also Mittwoch, ich kann sonst nur Mittwoch."

Ich starrte sie mit offenem Mund an. Rein theoretisch hatte ich Mittwoch Zeit, aber ich überlegte dennoch kurz, den Termin abzusagen, einfach um dieser unhöflichen Kreatur aus dem Weg zu gehen und das Projekt in aller Ruhe allein zu bearbeiten. Warum zur Hölle hatte sie mein Angebot, die ganze Arbeit zu übernehmen, abgelehnt?

Ich schüttelte energisch den Kopf, um die Frage loszuwerden, was Minou jedoch falsch zu interpretieren schien: „Also hast du Mittwoch keine Zeit?"

„Nun, naja, doch, aber ...", murmelte ich.

„Okay, cool, wir treffen uns dann um sieben bei dir", lud sie sich kurzerhand selbst zu mir nach Hause ein. Und warum treffen sich die beliebten Leute eigentlich immer abends? Müssen sie die Nachmittage damit verbringen, sich darauf zu konzentrieren, ihre Hausaufgaben nicht zu machen und sich selbst im Spiegel zu bewundern?

Ich nickte schwach.

„Okay, wo?", fragte sie.

„Hä?", ich blicke sie fragend an. „Ich dachte, bei mir?"

Sie starrte mich an, als wäre ich dumm.

„Wo ist dein Haus? Ich brauche die Adresse."

Okay, ich BIN dumm. Wieder spürte ich, wie mir das Blut ins Gesicht schoss.

„Oh Gott, sorry", würgte ich hervor und nannte ihr dann den Namen der Straße mit samt meiner Hausnummer. Minou tippte alles in ihr Smartphone ein. „Wie heißt du eigentlich?", fragte sie mich dann.

Froh, endlich eine Frage verstanden zu haben, wollte ich gerade antworten, als sie mir zuvorkam. „Vivian, oder?"

„Vera ...", sagte ich. „Vera Drehler."

„Okay", sagte sie abwesend. Sie hatte sich mittlerweile vollkommen ihrem Handy gewidmet.

„Ja gut", ich biss mir leicht auf die Innenseite meiner rechten Wange. „Ich muss dann jetzt mal los."

Minou nickte fast unmerklich und ich drehte mich um, um zu verschwinden. Und dieses Mal hielt mich keine kalte Hand davon ab.

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