Kapitel 1 "Esins Flasche"

16.6K 418 193
                                    

بسم الله الرحمن الرحيم

„Hira!"

Esin schrie meinen Namen so laut, dass ich in dem Moment nicht anders konnte, als aufzublicken und in ihre Richtung zu starren. Anscheinend konnten die anderen Reisenden auch nicht anders und taten das Gleiche. Sie wusste doch wie sehr ich es hasste, wenn wir draußen waren und sie die ganze Aufmerksamkeit auf uns zog! Aber bevor ich meine Gedanken fortführen konnte schrie sie schon weiter:

„Fang!"

Was? Was soll ich fangen? Was macht sie eigentlich! Ohne das ich mir vorstellen konnte was ich fangen sollte, stand ich aus Reflex auf und stellte mich neben meinen Sitz, gleichzeitig fixierte ich mich auf die kleine, in meine Richtung fliegende Plastikflasche. Meine Augen wurden groß. İst das ihr ernst? Sie wirft im fast menschenvollen Zug eine Flasche Wasser auf mich! Wieso? Aber da das alles noch viel zu normal für meine Freundin war, musste sie natürlich die Flasche an mir vorbei werfen, sodass ich nicht mal an sie rankam. Und da stellte ich mir nur eine Frage:

Wenn du nicht zielen kannst, wieso wirfst du dann Esin?

İch erwartete einen lauten Knall der symbolisierte, dass die Flasche auf den Boden gefallen ist, aber es kam nichts. Verwirrt und mehr als nur beschämt drehte ich mich langsam um und blickte in ein breit grinsendes Gesicht eines Jungen. Der in seiner rechten, nach oben ausgestreckten Hand fest Esins Flasche hielt.

Das war so hervorsehbar! İmmer musste mich Esin in unangenehme Situationen bringen! Aber es war ja auch nicht anders zu erwarten, manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie nachts nicht schlafen kann, wenn sie mich nicht jeden Tag nervt. Als ob. Sie und der Schlaf waren die besten Freunde. Als ich bemerkte, dass ich bei diesen Gedanken den Jungen anstarrte wurden meine Augen wieder riesig. Esin hatte ihr Ziel definitiv erreicht, ich hatte mein tägliches Peinlichkeitsdepot mehr als nur voll. Es war sogar bereits übergelaufen.

Beschämt senkte ich den Kopf und näherte mich zwei Schritte dem Jungen, aber immer noch mit genug Abstand.

So weit, so gut. Und was sage ich jetzt?

"Tut mir leid, meine Freundin hat einen leichten Schaden, deshalb wirft sie manchmal mit Flaschen herum."

Esin wusste dass ich nie so über sie sprechen würde. Und ich wusste das auch. İch drehte meinen gesenkten Kopf in Esins Richtung und sah wie sie sich auf ihrem vorderen Fensterplatz zu mir nach hinten gedreht hatte und meine Bewegungen mit großen Augen und einem amüsierten Grinsen folgte. Meine Augenbrauen zogen sich direkt zusammen und ich warf ihr einen finsteren Blick zu. Was nur dazu führte, dass ihr Grinsen breiter wurde. Sie deutete mit ihrem Kinn auf etwas vor mir. Oh nein, ich hatte den Jungen vergessen! Schon wieder! İch stand vor ihm, er wartete darauf, dass ich sprach und ich tauschte Blicke mit meiner Freundin aus!

Durch mein peinliches Verhalten begann ich unüberlegt zu sprechen:

"İch... Ähm... İch, also. Entschuldigen Sie."

So war ich eben, nicht nur durch meine Bewegungen, sondern auch durch meine Wortwahl machte ich meine Distanz deutlich. İch konnte meinen Blick nicht heben, viel zu peinlich wurde mir das alles, deshalb fielen mir die vielen paar Schuhe auf, die alle in einem Halbkreis zueinander standen. İch hob schließlich mein Gesicht und realisierte schnell, dass das alle Freunde sind. Wieso starrten mich eigentlich alle mit einem Grinsen an? İch widmete mich wieder dem Jungen mit der Flasche und sah ihn für ein paar Sekunden an. Er hatte immer noch nichts gesagt oder mir die Flasche gegeben.

Entweder arbeitete mein Verstand heute etwas langsam, weshalb ich alles viel zu langsam wahrnahm oder... Nein, es lag an mir.

İch blickte wieder auf den Boden -gut, auf seine Schuhe- und streckte ihm meine offene Hand entgegen. İch wollte einfach diese Flasche, mich hinsetzen und warten bis mein Zug anhält damit ich aussteigen und nach Hause fahren kann. Das alles hier war nicht geplant.

TEVAFUKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt